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Arbeit in Corona-Zeiten: "Wer ins Homeoffice ging, wurde bestraft"

Arbeitsminister Hubertus Heil plant ein Recht auf Homeoffice. 35 Prozent der Deutschen arbeiten seit der Corona-Krise regelmäßig von zu Hause aus. Fast die Hälfte der Unternehmen hat angekündigt auch über die Pandemie hinaus das mobile Arbeiten zu ermöglichen. Doch es gibt auch viele Chefs, Vorgesetzte und Unternehmen, die das ihren Angestellten vorenthalten. Hier erzählen drei Beschäftigte davon, wie sie eigentlich problemlos im Homeoffice arbeiten könnten, es aber nicht dürfen.

"Ich würde am liebsten den Job wechseln"

Lily Weimar, 30, Grafikerin aus München*

Auf der Arbeit treffe ich jeden Tag durchschnittlich 100 Leute. Im Eingangsbereich, im Treppenhaus und im Flur. In meiner Abteilung sind wir 30 Kollegen, im Gebäude etwa 1.000. Es wird natürlich Abstand gehalten, aber Begegnungen sind unvermeidbar. Dabei müsste ich für meine Arbeit gar nicht kommen, sondern könnte meinen Job auch von zu Hause aus erledigen. Aber Homeoffice ist bei uns nicht erwünscht.

Ich arbeite als Grafikerin im Marketing eines großen Einzelhandelsunternehmens. Dort kümmere ich mich um die Koordination der Produktverpackungen und betreue das Produkt von Anfang an, bis es im Regal liegt. Zu meinen Aufgaben gehören also Absprachen mit den Lieferanten, den Druckereien und den Agenturen, mit denen ich zusammen das Design der Verpackung erarbeite. Wir besprechen, welches Material wir nehmen, glänzend oder nicht, welche Auflage wir brauchen oder wie lange der Lieferprozess dauern kann. Manche der Druckereien, mit denen wir zusammenarbeiten, sitzen in Spanien. Sie schicken mir einen Farbproof per Post zu, also einen ersten Druck, und ich prüfe, ob die Farben stimmen.

"Für diese Aufgaben müsste ich eigentlich nicht im Büro sein." Lily Weimar, 30, Grafikerin aus München

Für all diese Aufgaben müsste ich eigentlich nicht im Büro sein, ich muss aber trotzdem hin. Nur für eine sehr kurze Zeit im März, als es Anweisungen aus der Politik gab und der Gesundheitsminister dazu aufgerufen hat, wurde unser komplettes Team ins Homeoffice geschickt. Einer meiner Vorgesetzten war positiv auf das Virus getestet worden. Nach etwa drei Wochen wurden wir zurück in die Zentrale bestellt. Seitdem gibt es einen Schichtplan. Normalerweise sitze ich mit drei Kolleginnen und Kollegen in einem Büro, doch da ist nicht genug Platz, um Abstand zu halten. Deswegen wurden vom Firmen-Krisenstab die Besprechungsräume zu Arbeitsplätzen umfunktioniert. Seitdem habe ich einen mobilen Arbeitsplatz, mal in meinem eigentlichen Büro, mal im dem Besprechungsraum, aber fast nie zu Hause.

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Ich arbeite an meinem Rechner, einem Laptop der Firma. Wenn ich umziehen muss, mal ist das wöchentlich, mal täglich, schleppe ich meinen Laptop, mein HDMI-Kabel, meine Tastatur und die Maus von einem Zimmer in das andere. Um die Technik muss ich mich selbst kümmern. Das Einzige, was nicht umziehen muss, ist der Monitor, den es an jedem Platz gibt. So einen habe ich auch zu Hause, Maus und Tastatur natürlich auch. Über einen Server könnte ich auch auf die Firmenmails zugreifen, auch auf die Laufwerke und die ganzen Dateien, die ich für meine Arbeit brauche. Selbst die Drucke könnte ich mir nach Hause schicken lassen.

In der kurzen Zeit, in der wir alle von zu Hause arbeiten mussten, haben wir regelmäßig Besprechungen per Video gemacht. Das hat gut funktioniert. Jetzt machen wir viele Besprechungen wieder vor Ort, dann stehen wir nebeneinander ohne Maske. Wir halten zwar Abstand, aber sind trotzdem zu fünft in einem Raum. Oder wir stehen im Flur, weil die Büros zu klein sind. Das führt dazu, dass ganz schön viel los ist, weil ständig Besprechungen auf dem Flur abgehalten werden. Dass es so unruhig ist, stört mich vor allem, wenn ich mich konzentrieren muss. Meinen Kolleginnen und Kollegen geht es ähnlich. Wir wünschen uns die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten.

"Ich arbeite leider in einem konservativ geführten Unternehmen, geleitet von alten, weißen Männern." Lily Weimar, 30, Grafikerin aus München

Meine Kolleginnen und direkten Vorgesetzten sind alle für das Homeoffice, aber entscheiden darf das eben nur der Vorstand. Und der sagt Nein. Das einzige Argument dafür lautet, dass wir uns solidarisch mit dem Kassenpersonal zeigen sollten. Die sitzen aber hinter einer Plexiglasscheibe, haben Mundschutz an und keine andere Wahl, weil sie ihren Beruf nicht von ihrem Wohnzimmer aus machen können - wir schon! Mir wird jetzt klar, dass ich in einem extrem konservativ geführten Unternehmen arbeite, geleitet von alten, weißen Männern, die nicht zukunftsorientiert sind. Ich vermute, hinter diesen Anweisungen steckt ein gewisser Kontrollzwang.

Ich fahre jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit, etwa eine Dreiviertelstunde, damit ich nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ins Büro kommen muss. Ein Auto habe ich nicht. Wenn es kälter wird, werde ich die U-Bahn nutzen müssen. Etwa ein Drittel meiner Kolleginnen und Kollegen kommt jetzt schon mit dem öffentlichen Nahverkehr. Wir leben in einer Großstadt, in der die Infektionszahlen wieder sehr hoch sind. Unser Bürogebäude liegt ein bisschen außerhalb und ist umgeben von anderen Bürogebäuden, die so gut wie leer sind, weil deren Angestellte ins Homeoffice geschickt wurden.

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