Dieses Bild kursiert auf Facebook: Moderator Peter Frey hält seine Notizkarten in die Kamera - sie zeigen Fotos der Zuschauer.
Es ist ein kurzer Moment, in dem ZDF-Moderator und Chefredakteur Peter Frey seine Notizkarten in die Kamera hält. Doch dieser Moment genügt, um die Gerüchteküche im Internet kochen zu lassen. Denn die Karte zeigt Fotos der Zuschauer, versehen mit Notizen. Klar zu lesen ist die Karte nicht.
Doch für viele Nutzer auf Facebook ist sie der Beweis, dass die 90-minütige Live-Sendung "Klartext, Frau Merkel!" - und auch ihr Pendant mit dem SPD-Kanzlerkandidaten "Klartext, Herr Schulz!" - nicht authentisch seien, die Fragen abgesprochen und womöglich sogar vorgegeben. "Gästeliste mit vorgeschriebenen Fragen", lautet die Kritik, teilweise ist auch von komplett auswendig gelernten Texten der Gäste die Rede. Auch die AfD teilte am Freitag auf Facebook einen Post zu der Sendung mit dem Kommentar "Zweites Deutsches Fakefernsehen". Merkel sei gar nicht "mutig", sich den Fragen der Zuschauer zu stellen, denn es sei ja alles abgesprochen - vermutlich habe Merkel die Fragen schon vorher gekannt. Der Post der Partei wurde über 4700 Mal geteilt (Stand 15.30 Uhr).
Die AfD nennt das ZDF auf Facebook "Zweites Deutsches Fakefernsehen".
Stimmt das?Die Kritik zeigt, dass viele Menschen nicht wissen, wie eine Live-Sendung funktioniert. Denn "live" bedeutet nicht, dass es kein Konzept, keine Struktur gibt. Die 150 Bürger, die zu der Sendung eingeladen wurden, wurden nicht zufällig am selben Tag auf der Straße eingesammelt. Sie wurden ausgewählt. Dabei ging es der Redaktion darum, "die deutsche Gesellschaft in ihrer Vielfalt zu zeigen - Alt und Jung, Mann und Frau, Stadt und Land, Ost und West", sagt ZDF-Sprecher Thomas Hagedorn.
Einige der eingeladenen Bürger waren dem ZDF bereits durch das Video-Projekt #IchbinDeutschland bekannt - das machte der Sender auch vor der Sendung bekannt, und die Moderatoren erwähnten diesen Umstand ebenfalls. Somit wusste das ZDF natürlich, welcher Bürger zu welchem Thema Fragen stellen würde. Die Redaktion bereitete vor der Sendung ein Konzept vor, das die Abfolge grob festlegte, so Hagedorn.
ZDF-Sprecher: Merkel kannte die Fragen nichtEinige der Gäste wurden während "Klartext, Frau Merkel!" in eigenen Kurzfilmen vorgestellt. Diese Gäste sollten auf jeden Fall zu Wort kommen. Sie sollten einen bestimmten Themenkomplex, zum Beispiel Bildung, einleiten und daher die erste Frage stellen dürfen, sagt Hagedorn. Die Notizkarte mit den Fotos diene als Orientierung für den Moderator, damit dieser wisse, wo die jeweilige Person sitze. Die Fragen wurden den Gästen jedoch nicht vorgegeben.
Zu der Frage, ob Angela Merkel und Martin Schulz die Fragen der Zuschauer vorher gekannt hätten, sagt der ZDF-Sprecher: "Natürlich nicht!" Die beiden Kandidaten seien im Frühjahr zu der Sendung eingeladen worden und hätten zugesagt, das sei alles, betont er.
Zuschauerin ist Mitglied der LinkenBesondere Aufmerksamkeit erhielt in der Sendung eine Frau namens Petra Vogel, die als Reinigungskraft in einem Krankenhaus in Bochum arbeitet. Sie konfrontierte die Kanzlerin mit der Tatsache, dass sie nach 40 Arbeitsjahren nur 656 Euro Rente verdienen werde und gab ihr ordentlich Kontra. Auch dieser Auftritt führte nach der Sendung zu Kritik.
Vogel wurde im Netz als "U-Boot der Linken" bezeichnet. In der Sendung sei nicht transparent gemacht worden, dass sie Mitglied in der Linkspartei sei. Tatsächlich wird das in dem ZDF-Kurzfilm nicht erwähnt. Dort heißt es aber, dass Vogel sich als Betriebsrätin engagiere und bei Tarifverhandlungen für die Gewerkschaft mit am Tisch sitze. "Wir laden versuchsweise Leute mit und ohne politischen Hintergrund ein", erklärt Thomas Hagedorn. Das sorge für die richtige Mischung in der Sendung und sei beabsichtigt.
Fazit: Die Reihenfolge der Themen in der ZDF-Sendung "Klartext, Frau Merkel!" war abgesprochen. Der Moderator wusste, welcher Gast eine Frage zu welchem Thema stellen würde - so geht Fernsehen nun mal. Zur Orientierung hatte er eine Notizkarte mit den Gesichtern der ausgewählten Zuschauer, die in der Sendung persönlich vorgestellt wurden. Aber die Gespräche waren nicht einstudiert, die Fragen nicht vorgegeben und die Gäste waren keine "Schauspieler", was auch der lebhafte Schlagabtausch zwischen Petra Vogel und Angela Merkel zeigt. Der vermeintliche Skandal, er ist gar keiner.
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