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VICE: So macht Connewitz nach dem Hooliganangriff von Montag weiter

Am Rande einer Legida-Kundgebung in der Leipziger Innenstadt marschierten 250 rechtsextreme Hooligans im linksalternativen Connewitz ein und demolierten innerhalb kürzester Zeit einen ganzen Straßenzug. Wie Betroffene aus Leipzigs alternativem Viertel den Angriff der Neonazis erlebt haben und wie es jetzt weitergeht.

Wenige Tage nach den Krawallen im Leipziger Stadtteil Connewitz: Nur wenige Läden haben geöffnet. Die meisten sind noch immer mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Ein paar Passanten linsen durch die mit Plastik oder Holz bedeckten Fensterscheiben, fotografieren mit ihren Smartphones die Scherben auf der Straße. Die letzten Spuren der Verwüstung werden bald verwischt sein—was aber bleibt, ist die Angst vor weiteren Angriffen.

„Die Hooligans haben die Scheiben eingeschlagen und Böller in den Laden geworfen", erzählt Ramy Gawish. Sein Vater besitzt ein arabisches Restaurant, das Shahia, auf der Wolfgang-Heinze-Straße, dem Zentrum der Zerstörung. Ramy ist schockiert: „Die Angst ist jetzt umso größer, dass so was nochmal passiert."

Eine Angst, die nicht unbegründet ist. Auf der Online-Plattform linksunten.indymedia.org kündigte am späten Montagabend ein anonymer User namens „Hoolizei" an: „Wir haben Leipziger Hurensohn-Antifa platt gemacht! Wir werden bald wieder kommen, ihr Untermenschen."

Ramy war auf dem Weg nach Connewitz, um noch eine Kleinigkeit essen zu gehen, als er vom Angriff auf das Shahia hörte. „Ich hatte große Angst, dass meinem Vater und unseren Mitarbeitern etwas passiert sein könnte." Als er ankam, war die Wolfgang-Heinze-Straße bereits großräumig abgesperrt: „Die Situation war sehr angespannt, überall war Polizei."

Das Restaurant seines Vaters hat es besonders schlimm getroffen. Fast die gesamte Inneneinrichtung haben die rechtsextremen Angreifer zerstört. „Alles wirkte verwirrend und unwirklich", beschreibt der Student die Lage. Vor allem die beiden Mitarbeiter, die den Angriff miterlebt haben, standen unter Schock. Trotzdem haben alle zusammen noch bis spät nach Mitternacht aufgeräumt. „Die Betroffenen haben sich in diesen schweren Stunden gegenseitig unterstützt", erzählt der Sohn des Restaurantbesitzers.

Gegenüber vom Shahia ist das BillHart, eine der vielen gemütlichen Szenekneipen in Connewitz. Dort saß Sarah Sturm mit einer Freundin. „Plötzlich hat es geknallt", sagt sie, „im nächsten Moment haben dann auch schon die Scheiben geklirrt." Im BillHart waren zu dem Zeitpunkt fünf Leute. „Alle haben sich fassungslos angestarrt." Die Angestellten sind als erste Reaktion in die Küche gerannt und haben sich dort für wenige Minuten verbarrikadiert, erzählt die 32-jährige, die auch in Connewitz wohnt. Nach dem ersten Schock sind sie wieder nach vorne gekommen und haben sich um alles gekümmert. „Uns war allen klar, dass wir angegriffen werden. Wir hatten richtig Schiss und haben gedacht, jetzt kommen die gleich rein und wir sind dran."


Als es auf der Straße ruhiger wurde, sind die beiden Frauen vor die Tür gegangen. „Es sah aus wie im Krieg", sagt Sarah. Überall standen Polizisten mit Schlagstöcken, Wasserwerfer haben die Straße blockiert, die Feuerwehr hat einen Brand gelöscht. Die Connewitzerin hat sofort mit angepackt und geholfen die vielen Scherben wegzuräumen. „In den Stunden nach dem Angriff war dann die ganze Szene auf der Straße. Alle haben ihre Solidarität bekundet."


In solchen Momenten rücken alle ein bisschen enger zusammen.


Das erlebte auch Jürgen Kasek, Landesvorsitzender der Grünen in Sachsen. „Als wir in der Innenstadt mitbekommen haben, dass Nazis unterwegs sein sollen, haben mir sofort eine Reihe von Freunden angeboten, dass ich bei ihnen schlafen kann", erzählt der Grünen-Chef, der am Montag mehrere Drohungen aus der rechten Szene erhalten hat.


Gedroht wurde ihm in sozialen Netzwerken, aber auch per Telefon. „Kasek Kopfschuss" hörte er eine Stimme sagen, als er auf die Abspieltaste seines Anrufbeantworters drückte. „Wenn die Drohungen den digitalen Raum verlassen, dann wird die Bedrohungslage plötzlich greifbar."


Eine Bedrohung, die auch Trang Dang fürchtet: Sie hat vietnamesische Wurzeln und fühlt sich von den Angriffen rechtsextremer Gruppierungen besonders eingeschüchtert. „Ich habe eine kaum zu beschreibende Furcht aus der Ferne gespürt", erzählt die 28-Jährige. Als die rechtsextremen Hooligans im linksalternativen Connewitz eingefallen sind, kam sie gerade nach Hause. Trang erfuhr im Netz, was los war: „Ich war fassungslos." Zwei Jahre hat Trang in Connewitz gewohnt, jetzt fährt sie jeden Tag zum Arbeiten in das Viertel.


Das linke Connewitz lässt sich von den Krawallen aber nicht einschüchtern. Ganz im Gegenteil: Die Antwort der Linken ließ nicht lange auf sich warten. 24 Stunden nach den Hooligan-Randalen zogen rund 2.000 Demonstranten friedlich durch den Süden Leipzigs und riefen lautstark: „Nazis raus! Nazis raus!"


Doch so ruhig wie die Demonstration an diesem Abend waren, werden nicht alle bleiben, vermutet Kasek. „Es gibt schon Aufrufe, die sagen ganz klar: Antifaschistischer Selbstschutz ist das Gebot der Stunde." Die Connewitzer fühlen sich alleine gelassen, fragen sich, warum die Polizei die Gefahr nicht früher erkannt hat. „Der Vertrauensverlust einerseits und die entstandene Wut andererseits ist eine ganz gefährliche Mischung, die sich in Gewalt entladen kann", sagt Kasek.


Auch die Connewitzerin Sarah ist sich sicher, dass die Hooligan-Randale Nachwirkungen haben werden. „Die Omi, deren Buchladen zerstört wurde, oder die Leute, die eine Naturbäckerei haben, die sind sicher einfach erschüttert und haben Angst", vermutet die 32-Jährige, „bei Anderen werden aber Rachegefühle aufkeimen." Denn Connewitz, sagt Sarah, war der letzte Wohlfühlort für die Szene.


Für Sarah persönlich haben die Ereignisse auch etwas verändert: Sie will in Zukunft aufmerksamer sein—und damit wird sie nicht alleine im Viertel sein.






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