Bei Lancia in Turin staunten sie nicht schlecht, als ein archaischer Keil um die Ecke bog, kurzerhand unterm Schranken der Werkseinfahrt durchglitt und - spontaner Applaus von den Arbeitern - im Hof Position bezog. Dem futuristischen Flachmann entstieg Giuseppe Bertone, Rufname "Nuccio", der Padrone der Gruppo Bertone. An diesem Tag im Jahr 1970 war der Meister gekommen, um Lancia die Zukunft zu verkaufen.
Die Turiner konnten nach dem spektakulären Auftritt gar nicht anders, als zuzugreifen. Schließlich war Bertone damals einer der Prinzipale des italienischen Automobil-Designs. Sein Mitbringsel, der Stratos Zero, sollte die Blaupause für den später so erfolgreichen Rallye-Keil Stratos HF geben und den Ruf der nahe Turin beheimateten Stilistik-Schmiede und ihres Chefs mehren, der als einer der größten, prägendsten Designer in die Automobilgeschichte eingehen sollte.
Doch Nuccio Bertone, der vor 100 Jahren, am 4. Juli 1914, in Turin zur Welt kam, war nicht bloß ein Blech-Couturier, er verstand es auch wie kein anderer, Design nicht nur als Musenkunst, sondern als Geschäftsmodell zu verstehen.
Ab Anfang der 1950er baute der ehemalige Rennfahrer, der 1933 in die Carrozzeria seines Vaters eingestiegen war, unter dem Dach seiner Gruppo Bertone eine komplette Entwicklungs- und Produktionskette auf: Vom Design über den Bau von Klein- und Kleinstserien sowie die Entwicklung von Fertigungsanlagen bis hin zum Werkzeugbau - all das boten die Italiener. Dankbar griffen die Kunden zu: Lamborghini, Ferrari, Alfa Romeo, Fiat, Citroën, Opel, Volvo oder General Motors ließen sich ihre Modelle einkleiden oder für sie unrentable Kleinserien, Cabriolets meist, nahe Turin fertigen.
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