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Syrien: Humanitäre Helfer mit Kalaschnikow

Experte Thomas Hegghammer hält Attentatsversuche in Europa von Rückkehrern aus dem Syrien-Krieg für wahrscheinlich

Immer mehr junge Europäer nehmen am Bürgerkrieg in Syrien teil. Mehr als 80 Personen aus Österreich kämpfen an der Seite islamistischer Rebellen. Einige kehren zurück und sorgen bei den heimischen Behörden für Nervosität. Für Thomas Hegghammer, Experte für militanten Islamismus, ist die leichte Erreichbarkeit des Landes einer der Hauptgründe für die große Anzahl an vorwiegend jungen Männern, nach Syrien zu reisen. Für Islamisten gebe es keine große Unterscheidung zwischen humanitärer Hilfe und militärischer Unterstützung. Wie groß die Gefahr für Europa ist, hänge davon ab, welche Strategie die syrischen Rebellen in Zukunft wählen werden.

Ein islamistischer Kämpfer in Aleppo. (Foto: Reuter/Goran Tomasevic/Files)

derStandard.at: Immer mehr Europäer entschließen sich, im syrischen Bürgerkrieg an der Seite von Rebellen gegen das Assad-Regime zu kämpfen. Was motiviert junge Männer, die teilweise hier geboren und aufgewachsen sind, an einem Konflikt in einem für sie fremden Land teilzunehmen?

Hegghammer: Der Schlüssel ist das Gefühl der Solidarität. Sie fühlen eine Verbindung mit Syrien und den Menschen, die dort leben. In ihren Augen ist es eine Art moralische Verpflichtung, jenen zu helfen, die sie als ihresgleichen sehen. Dieses Gefühl ist nicht auf Syrien oder Islamisten beschränkt. Tatsächlich ist das Phänomen, sich in anderer Leute Kriegen zu engagieren, relativ weit verbreitet - in vielen Phasen der Geschichte und in vielen Teilen der Welt. Ich erinnere nur an den Spanischen Bürgerkrieg.

In all diesen Konflikten fühlen die Kämpfer eine moralische Verpflichtung, anderen zu helfen. Es geht weniger darum, andere zu hassen, als um Zuneigung für die Menschen auf der anderen Seite des Konflikts. Ich denke, viele dieser ausländischen Kämpfer sehen sich selbst als eine Art humanitäre Helfer - aber eben humanitäre Helfer mit Kalaschnikow. In islamistischen Kreisen gibt es keine große Unterscheidung zwischen echter humanitärer Hilfe und militärischer Unterstützung, beide können Hand in Hand gehen. Viele Leute, die kämpfen, denken also, dass sie helfen.

derStandard.at: Warum ist die Zahl der Europäer, die an diesem Konflikt teilnehmen, größer als bei anderen Konflikten?

Hegghammer: Es sind mehrere Faktoren: Einerseits ist es die Brutalität des Konflikts, die sichtbarer ist als bei vorangegangenen Konflikten. Das ist der Grund, warum so viele interessiert sind. Andererseits ist es viel leichter, nach Syrien zu kommen, als in irgendeine andere Konfliktregion in der Vergangenheit. Es ist ein Leichtes, die Grenze zu überqueren, der Zugang im Norden Syriens wird von den Rebellen kontrolliert. Die geopolitische Situation spielt natürlich auch eine Rolle. Viele Länder unterstützen den Krieg der Rebellen mit Geld und Waffen.

Umso schwieriger ist es jetzt für diese Länder, gegen Kämpfer, die nach Syrien reisen, vorzugehen. Politisch ist es für solche Staaten schwierig, Menschen zu bestrafen, die nach Syrien gehen wollen. Insbesondere wenn diese Menschen behaupten, sie würden nur humanitäre Hilfe leisten - ein Vorwand, um ihre wahre Motivation zu verschleiern. Für einen europäischen Islamisten ist Syrien also ein Konflikt, der leicht erreichbar ist und für den er zu Hause wenige Konsequenzen zu befürchten hat.

"Letztlich tragen die ausländischen Kämpfer zwar nicht besonders viel zur militärischen Stärke der Rebellen bei, aber andererseits kosten sie auch nicht viel"

derStandard.at: Was nutzen ausländische Kämpfer aus Europa eigentlich den Rebellen? Viele dieser oft sehr jungen Männern haben keine militärische Ausbildung, keine Erfahrung und sterben relativ rasch auf dem Schlachtfeld.

Hegghammer: Deswegen sind Rebellen in vielen anderen Konflikten oft nicht sehr interessiert an ausländischen Kämpfern. Es gibt auch einige Fälle, in denen die Präsenz ausländischer Kämpfer zu Spannungen zwischen ausländischen und einheimischen Islamisten geführt hat. Im Falle Syriens ist die bewaffnete Opposition allerdings stark fragmentiert, und die kämpfenden Gruppen sind vergleichsweise klein. Wäre die syrische Opposition vereint, wäre sie an ausländischen Kämpfern wohl nicht so sehr interessiert. Aber dadurch, dass sie so zersplittert sind und auch untereinander um Einfluss und Ressourcen konkurrieren, akzeptieren sie freiwillige Kämpfer aus dem Ausland. Sie erhalten dadurch viele internationale Kontakte, und das ist eine Möglichkeit, das Netzwerk von potenziellen internationalen Spendern zu erweitern. Auch die Aufmerksamkeit, die sie durch Kämpfer aus der ganzen Welt erhalten, ist ein Grund, dass sie die Ausländer in ihren Reihen akzeptieren. Letztlich tragen die ausländischen Kämpfer zwar nicht besonders viel zur militärischen Stärke der Rebellen bei, aber andererseits kosten sie auch nicht viel. Sie sind hoch motiviert und bringen oft Geld mit, sind also keine Belastung für die lokalen Einheiten.

derStandard.at: Werden die Reisen der europäischen Kämpfer ins Kriegsgebiet im großen Stil organisiert, oder erfolgt die Anreise auf individueller Basis?

Hegghammer: Darüber wissen wir nur sehr wenig. Auf jeden Fall gibt es keine einzelne große Organisation. Die Menschen gehen unterschiedliche Wege. Wie schon gesagt ist es auch sehr einfach: Man muss nur in der Südtürkei mit ein wenig Eigeninitative auftauchen. Viele waren natürlich mit irgendeiner Art von Anwerbern in ihrem Land im Kontakt.

Ich glaube aber nicht, dass die Reisen von hier aus stark organisiert werden. Vielmehr gibt es in Europa Menschen, die ihren Anhängern erzählen, wie wichtig es ist, in Syrien zu kämpfen, und die allgemeine Ratschläge erteilen, wie man dorthin gelangt. Sie stellen möglicherweise die eine oder andere Telefonnummer zur Verfügung und sagen, was vor Ort zu tun ist, aber sie organisieren nicht die gesamte Reise.

"Das Interessante am Konflikt in Syrien ist, dass man überhaupt zurückkehren kann"

derStandard.at: Einige Kämpfer kehren relativ rasch aus Syrien nach Europa zurück. Warum?

Hegghammer: Wir haben dafür keine öffentlich zugänglichen Zahlen, aber wir kennen Fälle, in denen Menschen sehr schnell wieder zurückkehren, weil sie desillusioniert sind.

Das Interessante am Konflikt in Syrien ist, dass man überhaupt zurückkehren kann. In den meisten Auseinandersetzungen seit den 1990er-Jahren war das nicht der Fall. Wenn man ging, blieb man dort, bis man starb oder der Konflikt vorbei war.

derStandard.at: Die hohe Zahl an Europäern, die derzeit in Syrien kämpft, sorgt für große Nervosität bei Medien und Politik. Wie groß ist die Gefahr tatsächlich, dass zurückkehrende Kämpfer aus Syrien auch in Europa zur Gefahr werden?

Hegghammer: Niemand, der sich ernsthaft mit dem Problem auseinandersetzt, denkt, dass aus allen Rückkehrern Terroristen werden. Die entscheidende Frage ist, welcher Prozentsatz an Rückkehren künftig im internationalen Terrorismus tätig sein wird und wer genau das sein wird. Das ist die Millionen-Dollar-Frage. Die Angst, dass Rückkehrer auch im Inland zum Problem werden, stammt aus den Erfahrungen aus anderen Konflikten. Bei allen großen Anschlägen und Attentatsversuchen der letzten Jahre spielten Veteranen aus Konflikten im Ausland eine wichtige Rolle.

Statistisch gesehen haben Attentatsversuche, die von Rückkehrern durchgeführt werden, eine größere Chance erfolgreich zu sein. Alle größeren Konflikte der vergangen Jahre haben auch im Westen zu mindestens einem großen Anschlag oder Attentatsversuch geführt. Ich denke also, dass es sehr wahrscheinlich ist, einige Anschläge in Europa als Resultat von Syrien zu sehen. Schließlich kämpfen auch rund 2000 Personen aus Europa in Syrien. Die Idee, dass nicht ein einziger davon ein Verbrechen begehen wird, wenn er zurückkehrt, ist unsinnig.

derStandard.at: Aber wenn Jihadisten durch eine gemeinsame Ideologie verbunden sind, warum entschließen sich dann einige, Anschläge auszuführen, andere aber nicht?

Hegghammer: Das hängt einerseits von vielen persönlichen und biografischen Faktoren des jeweiligen Menschen ab, andererseits von der Strategie der jeweiligen kämpfenden Gruppen. Wir werden eine hohe Rückstoßrate - einen hohen Prozentsatz an Rückkehrern, die auch bereit sind, hier Attentate zu verüben - haben, wenn eine der Gruppen in Syrien entscheidet, das zu ihrer Strategie zu erklären. Wir hatten zuletzt in Afghanistan eine hohe Rückstoßrate, weil dort die Führung der Al-Kaida saß, deren Hauptziel es war, den Westen anzugreifen. Es wurden dort also viele ausländische Kämpfer dazu überredet, Anschläge im Westen zu verüben.

In vielen anderen Konflikten ist das anders: Im Irak gibt es sogar einen lokalen Al-Kaida-Ableger, und trotzdem war die Rückstoßrate gering, weil sie Angriffe im Westen nicht auf ihrer Agenda hatten. Es gab im Zusammenhang mit dem Irak nur eine Handvoll Anschlagsversuche und Attentate in Europa, obwohl in dem Konflikt viele Ausländer kämpften. Derzeit gibt es in Syrien keine Gruppe, die eine Strategie verfolgt, im Westen zuzuschlagen. Wenn sich das aber ändert, wird die Bedrohung sehr viel ernster, weil diese Gruppe dann eine Menge Menschen mit europäischen Pässen zur Verfügung hat.

( Stefan Binder, derStandard.at, 13.2.2014)

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