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Kräftemessen der Jihadisten in Nahost

Al-Kaida sagte sich vom "Islamischen Staat im Irak und der Levante" los. Dieser gründet laufend neue Ableger

Der Bürgerkrieg in Syrien ist seit einigen Wochen um eine Facette reicher: Denn der Kampf tobt inzwischen nicht mehr nur zwischen der bewaffneten Opposition und dem Assad-Regime, sondern auch zwischen den Rebellengruppen selbst. Seit Anfang Jänner bekämpfen sich die "Front Syrischer Revolutionäre", die "Armee der Mujahideen" und die "Islamische Front" auf der einen Seite und der "Islamische Staat im Irak und der Levante" (ISIS) auf der anderen Seite.

Anfang Februar entschied sich schließlich die Führung der Al-Kaida ihre Verbindungen mit der ISIS - ihrem ehemaligen Ableger im Irak - endgültig zu kappen. Mit dem Bruch zwischen Al-Kaida und der ISIS endet eine Beziehung, die von Beginn an von Problemen gezeichnet war. Nachdem die Al-Kaida-Führung bereits die brutalen Taktiken ihres irakischen Ablegers ablehnte, versuchte sie 2013 ein Ausbreiten des Islamischen Staates nach Syrien zu verhindern - ohne Erfolg.

Machtdemonstration: Kämpfer des "Islamischen Staats im Irak und der Levante" (ISIS) in der syrischen Stadt ar-Raqqa.

Es folgte ein für Al-Kaida ungewöhnliches öffentliches Geplänkel: Nachdem der ISIS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi im April 2013 ankündigte, auch im syrischen Bürgerkrieg kämpfen zu wollen, forderte Al-Kaida-Chef Ayman az-Zawahiri ihn und seine Kämpfer auf, im Irak zu bleiben und der Jabhat an-Nusra - einem weiteren Al-Kaida-Ableger in Syrien - das Schlachtfeld zu überlassen. In einem Akt des öffentlichen Widerstandes gegen die Chefetage der Al-Kaida weigerte sich Al-Bagdadi öffentlich Folge zu leisten. Seine Kämpfer kamen und blieben in Syrien.

Am 2. Februar veröffentlicht die Al-Kaida-Führung schließlich eine Stellungnahme, die den Bruch finalisierte: "Der Islamische Staat im Irak und der Levante ist keine Filiale der Gruppe Kaida al-Jihad mehr; wir haben keine organisatorische Verbindung mit ihr, und die (Al-Kaida, Anm.) ist nicht verantwortlich für ihre Taten".

Konfrontation mit anderen Islamisten

Es ist das erste Mal in der Geschichte der von Osama bin Laden gegründeten Organisation, dass sie sich von einem ihrer eigenen lokalen Ableger lossagt - den Namen Al-Kaida hat die ISIS bereits 2006 abgelegt, nachdem sie sich nach Verschmelzung mit anderen Gruppen von "Al-Kaida im Irak" in "Islamischen Staat im Irak" (ISI) umbenannte.

Noch ist unklar, welche Auswirkungen die Abspaltung sowohl für den Konflikt in Syrien als auch auf die jihadistische Bewegung weltweit hat. Ohne historische Vorbilder ist sie jedoch nicht: Im ohnehin brutal geführten Bürgerkrieg Algeriens stach eine Gruppe an Grausamkeit hervor: Die "Groupe Islamique Armé" (GIA ) fand sich Mitte der 90er Jahren bald ohne Unterstützung anderer radikal-islamischer Gruppen.

Auslöser dafür war, dass die GIA - ähnlich wie die ISIS in Syrien - auf Konfrontationskurs zu anderen islamistischen Kämpfern ging, anstatt Ziele der verhassten Regierung anzugreifen. In Algerien entledigte sich die GIA von Kämpfern (sogar in den eigenen Reihen), die in ihren Augen vom Glauben abgefallen waren. Die Deutungshoheit darüber, wer gläubiger Muslim ist und wer nicht, beanspruchte die Gruppe für sich allein. Schnell bildete sich Widerstand bei anderen Islamisten gegen diese Vorgangsweise. In den 90er-Jahren in Algerien, 2014 in Syrien.

Appelle blieben ungehört

Bin Laden war damals die GIA suspekt und half bei der Gründung der "Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat" (GSPC), die 2007 ihren Namen in "Al-Kaida im Islamischen Maghreb" änderte. Die Lektionen aus dem Algerien-Disaster vergaß er nicht, als nach dem amerikanischen Einmarsch im Irak, die "Al-Kaida im Zweistromland" (AQI) gegründet wurde. Die von Abu Musab az-Zarqawi geführte Gruppe ging brutal gegen alle vermeintlichen Gegner vor - auch gegen sunnitische Muslime. Die Al-Kaida-Führung, die sich damals wie heute in Pakistan versteckt hielt, schickte mehrere Briefe an Zarqawi und forderte ihn auf, seine Angriffe auf Ziele der Amerikaner und der Übergangsregierung im Irak zu beschränken.

Die Appelle, sunnitische Muslime bei Angriffen zu schonen, ergingen auch an andere Ableger im Jemen und Syrien. Alle hielten sich meistens daran - außer der ISIS: Laut Amnesty International verübten die ISIS-Kämpfer Massenexekutionen in Syrien und folterten Menschen in "geheimen Gefängnissen". Syrer wurden wegen dem Rauchen von Zigaretten oder außerehelichem Geschlechtsverkehr verhaftet und hart bestraft. Drei Krankenhäuser wurden vom "Islamischen Staat im Irak und der Levante" angegriffen, Ärzte entführt und Medikamente geraubt.

Mächtige Ableger

In Syrien steht die ISIS nun alleine am Schlachtfeld, ist aber trotzdem nicht geschlagen. Zwar haben sich ideologische Schwergewichte des globalen Jihad, wie Abu Muhammed al-Maqdisi oder Abu Qatada gegen die ISIS-Kämpfer gestellt, doch andere religiöse Anführer und Gruppen wie z.B. die tunesische Ansar al-Sharia stehen nach wie vor hinter den Gotteskriegern. Und die Gruppe expandiert weiter. Nach der Gründung eines ISIS-Ablegers im Libanon, wurde am Dienstagabend ein Video veröffentlicht, in dem die Gründung eines ISIS-Ablegers für Palästina bekanntgegeben wurde.

Gründungsvideo eines neuen mutmaßlichen ISIS-Ableger in Palästina.

Für die Führung der Al-Kaida bedeutet die Abspaltung zunächst, dass sie keinen Ableger mehr im Irak hat. Die Jabhat an-Nusra in Syrien und vor allem die "Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel" im Jemen scheinen noch loyal zu sein. Doch die Risse im Netzwerk werden deutlicher. Am 11. September 2001 existierte Al-Kaida noch als eine einzelne Organisation mit klaren Kommandostrukturen, Kämpfern, Geld und Trainingscamps. Heute haben Ableger wie die Jabhat an-Nusra und ISIS mehr Männer, mehr Geld, mehr Bewegungsspielraum und mehr Unterstützung. ( Stefan Binde r, derStandard.at, 12.2.2014)

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