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Abtreibung spaltet Argentinien

Noch am vergangenen Sonntag demonstrierten Aktivistinnen in Buenos Aires für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche. © afp

Recht auf Abtreibung

Aus Protesten gegen Frauenmorde hat sich in Argentinien eine Bewegung entwickelt, die das Recht auf Abtreibung durchsetzen könnte. Darüber entscheidet nun der Senat.

„Heute Argentinien, morgen Lateinamerika" - unter diesem Motto versammeln sich an diesem Mittwoch Tausende Frauen in verschiedenen Städten Lateinamerikas, um sich mit den argentinischen Frauen zu solidarisieren. Sie tragen grüne Halstücher, die zum Symbol für den Kampf für einen legalen Schwangerschaftsabbruch geworden sind. Der argentinische Senat trifft heute eine historische Entscheidung. Er stimmt über das Gesetz zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ab.

Das neue Gesetz sieht vor, dass Frauen innerhalb der ersten 14 Wochen eine Schwangerschaft abbrechen dürfen und dass staatliche und private Kliniken den Eingriff kostenfrei vornehmen müssen. Nach dieser Frist soll eine Abtreibung im Fall einer Vergewaltigung, bei Gefahr für das Leben der Frau und bei schwerwiegenden Missbildungen des Fötus erlaubt sein.

Gesetzesentwürfe zur Legalisierung

Argentinien könnte neben Uruguay, Cuba, Guyana und Französisch-Guayana eines von fünf Ländern Lateinamerikas werden, in denen Abtreibung straffrei ist. In den anderen Ländern sind Schwangerschaftsabbrüche nur unter bestimmten Umständen erlaubt oder ganz verboten.

Allerdings war es kein leichter Weg bis hierhin für die Frauenbewegung in Argentinien. Sechs Mal hat das Parlament Gesetzentwürfe zur Legalisierung der Abtreibung abgelehnt. Mehr als 20 Stunden diskutierten die Abgeordneten im Parlament, bis am 14. Juni eine knappe Mehrheit von 129 zu 125 Stimmen für den legalen Schwangerschaftsabbruch stimmten.

Eine der polemischsten Aussagen der Debatte war die der Abgeordneten Estela Regidor, die schwangere Frauen mit Tieren verglich: „Was machen wir, wenn eine Hündin schwanger ist? Wir bringen sie nicht zum Tierarzt, damit sie abtreibt. Wir suchen Menschen, denen wir die Welpen geben können. Die schlimmsten Raubtiere lieben ihre Jungen. Was ist mit uns Menschen los?" Die abschließende Debatte wurde über die ganze Nacht live übertragen, Tausende Menschen sahen zu. Vor dem Parlamentsgebäude hatten Befürworter und Gegner zwei parallel stattfindende Demonstrationen organisiert. Am Ende war die „grüne Flut", so die Farbe der Frauenrechtlerinnen, deutlich zahlreicher vertreten.

Bis heute ist Argentinien gespalten zwischen Abtreibungsgegnern und -befürwortern. Wenige Tage vor der Senatsentscheidung riefen evangelikale Kirchen und katholische Gemeinden zu einer Demonstration gegen das geplante Gesetz auf, Tausende Menschen gingen auf die Straße. Wie fast alle Länder Lateinamerikas ist auch Argentinien stark von der katholischen Kirche geprägt. Abtreibungsgegner sind zahlreich und vertreten ihre Position teilweise aggressiv. Frauen mit grünen Halstüchern werden in der Öffentlichkeit häufig von ihnen angeschrien, geschubst, geschlagen und mit Plastikföten beworfen.

Der argentinische Papst Franziskus feuerte die Debatte noch zusätzlich an, indem er Abtreibungen von schwerkranken Föten mit Programmen der Nationalsozialisten verglich. Die Abtreibungsgegner setzen sich in Argentinien wie auch in anderen Ländern unter dem Motto „Pro Vida" für das „Leben der Ungeborenen" ein. In Opposition zu den Abtreibungsbefürwortern haben sie das hellblaue Halstuch zu ihrem Symbol gemacht.

Frauenrechte sind heute ein Thema in Argentinien

Die argentinische Frauenbewegung hat es dennoch geschafft, die Forderung nach legaler Abtreibung mehrheitsfähig zu machen. Kommt der Entwurf durch, wäre ihr Erfolg nicht nur die rechtliche Straffreiheit, sondern auch die gesellschaftliche Akzeptanz von Abtreibungen. Laut einer Studie von Amnesty International und dem nationalen Forschungszentrum Cedes befürworten inzwischen 59 Prozent der Argentinier die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Ein weiterer Erfolg: Frauenrechte sind heute ein Thema in Argentinien.

Die Grundlage dafür hat die Bewegung gegen Frauenmorde „Ni Una Menos" („Nicht eine Frau weniger") gelegt. 2015 empörte der Fall der 14-jährigen Chiara Pérez, die von ihrem Freund grausam ermordet worden war, das ganze Land. Journalistinnen reagierten mit dem Hashtag #NiUnaMenos, der sich über Twitter und Facebook wie ein Lauffeuer verbreitete. Am 3. Juni 2015 demonstrierten in Buenos Aires und in anderen Städten Argentiniens eine halbe Million Menschen. Anschließend protestierten Frauen in ganz Lateinamerika gegen Frauenmorde und Gewalt gegen Frauen. Heute kennt jeder den Ausdruck „Ni Una Menos", er ist zum Kampfruf der Frauenbewegung geworden.

Gemeint sind damit mittlerweile auch die Frauen, die jedes Jahr bei illegalen Abtreibungen sterben. Denn auch wenn Abtreibungen bisher verboten waren, sind sie längst Realität. Amnesty International zufolge gibt es jährlich etwa 450.000 illegale Schwangerschaftsabbrüche in Argentinien.

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