„Russian Doll" in der Schleife der Wiedergeburt.
Die Welt von Nadia Vulvokov (Natasha Lyonne) ist schwarz-rot, düster, vulgär, verraucht. Es hat etwas Schweres an sich, wenn die Frau mit den roten Locken auf der Party zu ihrem 36. Geburtstag rauchend und schlechtgelaunt zwischen den Gästen lungert, einen zynischen Spruch nach dem anderen bringt und schließlich mit dem nächstbesten, unangenehm selbstverliebten Kerl nach Hause geht.
Doch auf dem Weg geschieht das Unglück: Nadia wird von einem Taxi überfahren. Sie stirbt noch auf der Straße und ... kommt wieder in der Anfangsszene der Serie zu sich. Sie steht auf ihrer Geburtstagsparty im Bad vor dem Spiegel. Und alles läuft wieder genau gleich ab, als wäre das alles nicht passiert, der gleiche nervige Song, die gleichen Gespräche. Nadia ist irritiert und streift verwirrt ein zweites Mal über ihre Party, stellt Theorien von Amnesie über Déjà-vu auf, geht schließlich ihre verschwundene Katze suchen und ... stirbt wieder. Diesmal fällt sie in einen Fluss. Wieder das Badezimmer. Von vorne. Raus aus dem Bad, versuchen zu verstehen. Und wieder ist sie tot. Kellerschacht. Was ist hier los?
Trotz des ähnlichen Szenarios zu dem 90er-Jahre Kinofilm mit Bill Murray ist die Netflix-Serie „Russian Doll" nicht einfach nur ein moderner Abklatsch von „Und täglich grüßt das Murmeltier". Es geht hier um eine tiefgreifende Lebenskrise und die Überwindung von Mustern.
Nadias ständige Wiedergeburt ist ein Gleichnis für die Gefangenschaft, zu der sich ihr Leben entwickelt hat. Sie befindet sich in einem Strudel von Zigaretten, Drogen und Alkohol, sie ist einsam, unglücklich und ohne Ziel in ihrem Leben. Dennoch behält sie ihren Lebensstil bei, ohne Intention, etwas zu ändern.
Auch, dass der mysteriöse Murmeltiertag an Nadias 36. Geburtstag stattfindet, ist kein Zufall. Ihre psychisch kranke Mutter nahm sich mit 36 das Leben. Die Misshandlung durch ihre Mutter sind der Auslöser für Nadias Probleme mit Nähe und Beziehungen, sie stößt Menschen, die ihr nahe stehen und sie lieben weg. Nadia gibt sich die Schuld am Suizid ihrer Mutter, da sie als Kind entschied, nicht mehr bei ihr leben zu wollen.
Dass Nadia ihr Verhalten schließlich ändert, ist nun der von Nadia nicht bewusst forcierte Prozess, dem wir in der Serie folgen. Sie sucht den Grund für ihre dauernden Tode und die anschließende Wiedergeburt und beginnt, sich Menschen zu öffnen und Dinge zu tun, die sie nie wollte. Ein große Rolle spielt dabei, dass sie jemanden trifft, dem das gleiche Phänomen widerfährt: Alan (Charlie Barnett). Er ist in allem das komplette Gegenteil von Nadia, kontrolliert, hängt an seiner Beziehung, ein Gesundheitsfanatiker. Aber auch er steckt in seinem Leben fest. Metaphorisch wie buchstäblich durch die dauernde Wiedergeburt.
Viele kleine versteckte Hinweise (die Fische!), Bildschnitte, Hintergründe, Dialoge, machen die Serie zu einem Gesamtkunstwerk. Es ist eine durchdachte, hintergründige Geschichte, bei der das zweite Mal ansehen fast noch mehr Spaß macht als das erste Mal.
Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Dieses oft fälschlich Albert Einstein zugeschriebene Zitat ist die Lehre, die wir aus „Russian Doll" ziehen können. Wenn du unglücklich bist, wenn dein Leben den Bach runter geht, musst du etwas anders machen. Sonst stirbst du eigentlich jeden Tag.
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