Eigentlich ist Max Kersting nicht nur Künstler und Autor, sondern auch - und vor alledem - Sammler. Das ist hervorragend an seinen früheren Arbeiten zu erkennen, die häufig aus Flohmarkt-Fundstücken und alten Fotos aus Antiquariaten bestanden. Scheinbar Belangloses, das in seine Hände gerät, wird dort zu humorigen Schmuckstücken aus Schrift, Nostalgie und Witz. Das hat ihm bis dato nicht nur viele Fans beschert, die seine Kolumnen, Illustrationen, Plakate und Wochenkalender zusammentragen, sondern auch großartige Kollaborationen mit Gestaltern, die sein Gespür für Raffinesse teilen.
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Jüngst hat sich das gezeigt bei einer hochkarätigen Zusammenarbeit mit dem unabhängigen Künstlerbuchverlag Edition Taube und dem Berliner Kreativstudio HelloMe. Im Verlagsprogramm von Edition Taube sind weit mehr als 90 Titel publiziert worden, die gemein haben, dass sie junge Kunst fördern. Ihre Publikationen sind mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, wie dem "Prix Bob Calle du livre d'artiste" und "Schönste deutsche Bücher". HelloMe möchte mit seinen Projekten ebenso zeitgenössische Kultur in den Fokus rücken. Das internationale Studio unter Leitung von Till Wiedeck ist spezialisiert auf fortschrittliche visuelle Strategien und Designs für diverse Marken in Mode, Kunst und Kultur.
"Edition Taube hatte ich seit ihrem tollen kleinen Buch "Asiatische Adlernase" von Thomas Jeppe auf dem Schirm", erzählt Max Kersting. "Als ich meinen Titel und ein erstes Konzept für das Buch hatte, habe ich sie einfach angeschrieben. Bei den vielen Bildern und Texten war mir allerdings schnell klar, dass ich neben Jan von Edition Taube noch einen Experten für die Auswahl und das Design brauche. Till von HelloMe kenne ich von früher, und er hat schon viele schöne Fotobücher begleitet und gestaltet. Da wir noch auch noch alte DJ-Kollegen sind, konnte er nicht nein sagen. Er war technisch der Beste - ich hatte wahrscheinlich dafür den besseren Musikgeschmack. Es war schön, sich neun Monaten lang regelmäßig zu sehen und gemeinsam an dem Projekt zu arbeiten."
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So entstand aus diesem Team, alle mehr oder minder Kinder der 1980er, eine Ode an Teenager der Neunziger Jahre, welche sich für viele von ihnen darin manifestierten, draußen abzuhängen - und im Falle Max Kerstings dem Inlineskaten zu frönen. "Planet der Anfänger" zeichnet das Bild einer unbeschwerten Jugend voller Enthusiasmus für die Zukunft, der Freude am Entdecken der Liebe und des Abenteuers. Illustriert wird die angenehm knapp gehaltene Handlung von 100 Videostills aus Max Kerstings Mini DV Kassetten-Archiv. Hier im Bild: Inlineskate-Sessions, Kellerparties und Regionalbahnausflüge in die umliegenden Städte. Der Autor Leif Randt interpretierte: "Was Jonah Hill mit seinem Film Mid90s für Kalifornien geleistet hat, leistet Max Kersting mit seinem Buch für Nordrhein-Westfalen. Ich fühle mich beiden Künstlern zu tiefem Dank verpflichtet."
Die Protagonisten des Romans sind festgehalten in wackeligen Bildern, die bunten, wilden Schatten ähneln. Im Zusammenspiel mit Kerstings Texten verdichtet sich ein Gefühl, das von außen im besten Fall als brutal öde Langeweile beschreibbar ist, aber treffend echt, wie chaotische, ahnungslose, knutschende Pseudoskater eben sind.
Ob Max Kersting die Neunziger Jahre vermisse? "Die Welt war irgendwie kleiner, überschaubarer. Weniger Reize, trotzdem natürlich viel Konsum. Und es war anstregend. Ich vermisse es nicht. Ich bin dankbar und glücklich in der Zeit aufgewachsen sein zu dürfen, wünsche es aber auch niemanden. Obwohl, es war schon ein starkes Gefühl, den ersten eigenen - winzigen - SONY Fernseher auf dem Zimmer zu haben, die Nummer eines Mädchens vom Festnetz anzurufen und erstmal den Vater oder die Schwester am Apparat zu haben, oder nach Dortmund zu fahren und bei COAST die erste Homeboy Hose anzuprobieren und zu merken, dass man selbst für die kleinste Größe zu klein ist. Man trug die Hose dann mit Gürtel bis unter die Brust. Egal! Hauptsache Home Boy."
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Es ist spannend, wenn Materialien und Medien aus scheinbar längst vergangener, analoger Zeit wieder in der Gegewart aufploppen und sich neu zusammenfügen. "Die Schuhkartons voller Bänder aus meiner Jugend im Keller meiner Eltern hatte ich seit vielen Jahren ständig im Hinterkopf, zusammen mit dem Gedanken: Irgendwann mache ich etwas damit. Irgendwann mache ich aus dem Material etwas, dass die Zeit und ein bestimmtes Gefühl festhält, dass ich damals hatte, oder dachte zu haben", beschreibt es Kersting. "Es fühlte sich gut an, die Schuhkartons zu haben und immer wieder an sie denken zu können. Dann habe ich mir zu Weihnachten selbst die Digitalisierung des Materials geschenkt und beim ersten Sichten sofort gedacht: Mach mit dem Material ein Fotoshooting und schreibe etwas dazu, um es noch etwas zu verdichten und leicht merkwürdig zu machen. Ich hoffe, es hat geklappt."
In der Tat!
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Max Kersting: Planet der Anfänger 224 Seiten, 13.4 x 19.0 cm, Taschenbuch Zahlreiche Abbildungen in Farbe sowie kurze Texte in Deutsch. Verlag: Edition Taube, München/Zürich, September 2019 1. Auflage: 1000 Exemplare ISBN 978-3-945900-41-3 16,-€