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Galerie Kernweine Magazine - 1 Jahr

So richtig auf dem Radar erschien das Stuttgarter Studio Orel, als es 2018 zur Rookie Agentur des Jahres gekürt wurde. Der Art Directors Club lobte die drei Gründer Mick und Dennis Orel sowie Oliver Kröning für Innovation im Bereich Werbung, die sich darin bezeugt, dass sie stetig Kunst mit Kommerz verzahnen und ihr Team eher als facettenreiches "Communication Department" titulieren statt als klassische Werbeagentur.

Als gäbe es in ebenjenem nicht genug zu tun, haben die Orel-Brüder mit dem Fotografen Kröning vergangenes Jahr die Galerie Kernweine eröffnet, die junger Fotokunst frönt und in der ehemaligen Kelterei stadtprominente Parties feiert. Mit dem Zusatz "Foto und Raum" im Titel wird einerseits der Fokus auf junge Fotografen signalisiert, andererseits sich der Wert eines Ortes bewusst gemacht, an dem Begegnungen stattfinden und Dialoge angeregt werden sollen. Für dieses Projekt kollaborieren die drei Agenturgründer mit dem Hausbesitzer Tino Kraft, der der Geschäftsführer des Malergeschäfts Helmut Schweizer ist. Und so kam es, dass das Gebäude in der boomenden Tübinger Straße, das ehemals für besonders guten Most bekannt war, seine Beliebtheit nun durch ungewöhnliche Fotoausstellungen, einen kleinen Cafébetrieb und zugehöriges Ladenkonzept mit hochwertigen Bildbänden erfährt.

Nach einem erfolgreichen ersten Jahr haben die Galeriebetreiber als "Studio Orel x GK-Publishing" nun ein über 300seitiges Magazin gestaltet, das die Ausstellungen, Vorträge, Events und Workshops adäquat Revue passieren lässt. Auf Rough White Papier von Metapaper gedruckt und mit Smooth Silk 325 gr Papier eingebunden sowie mit transparentem Umschlag samt eingängigen, wiedererkennbaren schwarzen Punkt versehen, kommt der Katalog unter Verwendung von Arial und Times ("are good") nonchalant daher und lässt keine Zweifel an der Coolness der Galerie.

"Auf unser grafisches-Konzept für die Galerie zurückgreifend, nahmen wir die Reproduktion als Vorbild und ließen diese in unterschiedlichsten Formen als roten Faden durch das Magazin laufen", erklärt Oliver Kröning. "Auf das Cover druckten wir das Erkennungssymbol der Galerie Kernweine, den schwarzen Kreis. Dieser steht nicht etwa dafür, etwas zu verdecken, sondern soll den Betrachter dazu animieren, das dahinter Verbogene zu entdecken und zu erforschen."

Was die überaus unterschiedlichen Fotokünstler hierin vereint, ist die gleichbleibende Fragestellung an sie: Ein massives "WHY?" zieht sich genauso prägnant durch die Publikation wie der besagte schwarze Punkt durch die restliche Grafik der Galerie. Und weil sie sich als Ort versteht, an dem unterschiedlichste Menschen zusammenkommen, sich austauschen und neue Geschichten entstehen lassen, geht sie den einzelnen Hintergründen der Fotokünstler sehr genau auf den Grund.

Eddie O'Keefe

Felix Gärtner etwa, der mit "The Felix Gärtner color system. Powerful. Relevant. Revolutionary" ein eigenes Farbschema begründet, das Leute dabei beraten soll, das richtige Grün für ihren ersten Lamborghini oder ein perfektes Braun für ihre Perücke zu finden, und dabei humorvoll veranschaulicht, wie anstrengend und frustrierend es sein kann, die enorme Informationsfülle an Farbsystemen zu begreifen. Bei ihm heißen sie ganz ironisch etwa "most beautiful mosquito in the world", "Balenciaga sneakers - up to 90% off" oder "I wish there was an iphone xr ina nice green tone like ›blue wikipedia‹".

Felix Gärtner

Der freie Künstler und Fotograf Max Siedentopf - hauptsächlich einer der kreativen Köpfe hinter den Projekten von KesselsKramer, und nebenher Mitbegründer des "Ordinary Magazine" -schafft unablässig Ideen über die klassischen Designdisziplinen hinaus. Galerie Kernweine stellte seine Fotoserie "Slapdash Supercars" aus, für die er nachts fremde Autos mit Spoilern und Lufthutzen aus Pappkartons zu Pseudo-Supercars aufmotzte. Aus der Schweiz stammt die Künstlerin Maya Rochat, die mittlerweile mit ihren Arbeiten vom Palais de Tokyo, über den Centre Culturel Suisse (Bibliothek), bis zum TATE Moden und dem Centre de la photographie Genève wanderte und in ihrer Kunst Fotografie mit Malerei vermischt: "Ich arbeite mit CILLIT BANG, Sprühfarbe, Druckverfahren, Weiterverarbeitungstechniken, Bildüberlagerung und Verzerrung von Texturen", zitiert sie der Katalog. "Dabei experimentiere ich mit Chemikalien, um die Grenzen meiner Bilder verschwimmen zu lassen."

Maya Rochat

Neben weiteren Interviews, wie mit dem Philosophie- und Wirtschaftsmagazin agora42, oder einem Pfannkuchenrezept, das den Artikel über Fotograf Robert Puflebs und Designerin Nadine Schliepers Projekt "Alternative Moons" ergänzt, oder einer Bildstrecke über den Themenabend mit dem internationalen Numéro Magazine wird deutlich: Die Betreiber der Galerie Kernweine finden Gefallen an materieller Vielseitigkeit, an grafischen Experimenten, an einer ausgeklügelten Balance zwischen Haptik und Optik. Und wenn man ihrem Manifest auf der Studio Orel-Website Glauben schenken darf, kommt diese Qualität von Herzen.

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