Humanitäre Hilfe neu gedacht. Globale Krisen brauchen Innovation.
Radio Ö1 Radiokolleg, 25.–28.7.2016
Gestaltung: Sonja Bettel
Im Sommer 2015 ist die Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa kamen, stark gestiegen. Viele Staaten und Gemeinden waren darauf nicht ausreichend vorbereitet, obwohl Hilfsorganisationen seit längerem darauf hingewiesen hatten, dass es aufgrund zahlreicher Krisen zu verstärkten Fluchtbewegungen kommen wird. Österreich und andere europäische Länder haben mit Obergrenzen, Zäunen und gesetzlichen Verschärfungen reagiert, doch Fluchtbewegungen werden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten nicht abnehmen, sondern vermutlich noch zunehmen. Die Gründe dafür sind eine steigende wirtschaftliche Ungleichheit, Konflikte, Terror und Kriege, und nicht zuletzt der Klimawandel, der Wetterkatastrophen und die Unbewohnbarkeit von größeren Gebieten mit sich bringen wird. Fast 60 Million Menschen sind zurzeit vor Konflikten und Gewalt auf der Flucht, 218 Millionen Menschen waren in den vergangenen 20 Jahren von Katastrophen betroffen, berichten die Vereinten Nationen. Die Kosten dieser humanitären Katastrophen betragen durchschnittlich 300 Milliarden Dollar.
Vor allem die reichen Länder in den gemäßigten Klimazonen müssen sich darauf einstellen, in den kommenden Jahrzehnten verstärkt humanitäre Hilfe leisten zu müssen. Die Flüchtlingsbewegungen seit dem Sommer 2015 haben jedoch gezeigt, dass die gewohnten Strukturen und Vorgangsweisen in der humanitären Hilfe nicht reichen oder nicht mehr zeitgemäß sind.
Viele Staaten sind freilich nicht bereit, ausreichend Geld für die von Kriegen und Katastrophen betroffenen Menschen bereit zu stellen. Die Vereinten Nationen und Nichtregierungsorganisationen müssen deshalb überlegen, wie sie durch bessere Organisation, bessere Koordination und Innovationen Geld sparen beziehungsweise es effizienter einsetzen können. Wie das gelingen könnte - das war eines der Themen des ersten World Humanitarian Summit in Istanbul Ende Mai.
Die gute Nachricht ist: Wo Lücken klafften, sind eine ungemein engagierte Zivilgesellschaft und innovative Menschen eingesprungen, die mit Hilfe neuer Medien, sozialer Netzwerke, kreativer Ideen, handwerklichem Geschick und einem erfrischenden Nonkonformismus neue Lösungen gefunden haben. Das reicht von der Umprogrammierung einer beliebten Nachrichten-App zum Deutschlernen über Plattformen für die Wohnungs- und Jobsuche für Geflüchtete bis zu neuen Modellen von Flüchtlingszelten und Unterkünften. Vieles davon ist preisgünstig, flexibel einsetzbar und auf die Bedürfnisse der Nutzer/innen abgestimmt. Gemeinsam ist den innovativen neuen Helfern auch, dass sie Flüchtlinge und andere von Kriegen und Katastrophen Betroffene auch nicht mehr als passive Hilfsbedürftige, sondern als Menschen mit Potenzial sehen, die man dabei unterstützen muss, sich selbst zu helfen.