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Zürich: Unter der Käseglocke

Ein Jahr lang habe ich in der Provinz gelebt: Ich habe gelernt, das lemurenartige Starren, das Provinzfremde über sich ergehen lassen müssen, nicht als romantische Anbahnung misszuverstehen. Ich hörte auf, mich zu wundern, denselben Passanten mindestens zwei Mal am Tag zufällig über dem Weg zu laufen. Und ich gewöhnte mich daran die Menschen zu verwechseln, weil ich keinen Unterschied ausmachen konnte, weder in ihrer Mimik und Gestik, noch in ihren Sehnsüchten und Ängsten.

 

Als ich meine Koffer packte, um herzuziehen, habe ich nicht gewusst, dass ich urbanes Gebiet verlasse. In meiner Vorstellung bin ich lediglich von einer Stadt in die nächste gezogen.

Von Wien nach Zürich.

Nun muss man vorausschicken, dass einem Umzug von Österreich in die Schweiz nichts Exotisches innewohnt. Es ist der Transfer von einem Berggefängnis ins nächste, von dem man weiß, dass es nur noch enger, noch homogener, und noch konservativer sein wird.

Ein Upgrade ist höchstens in einer Hinsicht zu erwarten: in finanzieller. Seelisch, emotional oder intellektuell, ist eher Holzklasse angesagt. So wie zu Hause.

 

Trotzdem, jeder Migrant hat ein Set an Erwartungen, und selbst die größte Pessimistin hat eine kleine Schublade mit der Aufschrift: Hoffnung positiv überrascht zu werden.

 

Denn die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Bis sie nach Zürich kommt.

Da stirbt sie freiwillig.

 

 

Die perfekte Attrappe

 

Zürich ist ein surrealer Ort. So surreal, dass man sich nicht einmal ganz sicher ist, überhaupt da gewesen zu sein. Andere Städte umschmeicheln, fesseln, treten oder spucken Einheimische wie Fremde bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus. Sie werden geliebt oder gehasst dafür.

 

Zürich nicht.

Zürich tut nichts.

Zürich ist nur eines: perfekt. Als wäre es ein Filmset, in dem alles genau arrangiert wurde. Von der Empörung bis zum Exzess wurde an alles gedacht, in kleinen Portionen, die niemandem sauer aufstoßen, fein aufeinander abgestimmt inmitten einer geruchslosen funktionstüchtigen Infrastruktur, wo sich nur der graue Himmel nicht an das Skript zu halten scheint.

Gelegentlich schaut man in diesen Himmel und wartet wie Jim Carrey in der Trumanshow darauf, dass sich früher oder später in dieser ach so perfekten Welt von Bankern, Hipstern und Nutten ein Scheinwerfer löst und einem bestätigt wird, was man insgeheim schon immer vermutet hat: Das hier ist eine Attrappe, blutleer und ohne Charakter, nicht wert geliebt, gehasst oder auch nur verspottet zu werden.

 

Dabei gäbe es in Zürich so viel Potenzial. Ein so reicher Ort, der so viele Millionäre beherbergt, kann es sich doch leisten, bei uns Fremden ein bisschen Neid heraufzubeschwören. Wo ist der Protz? Die pervers raumeinnehmende Architektur? Die absurden Experimente, die nur der absolute Luxus möglich macht? Die Luftschlösser, die hier Wirklichkeit werden? Ein bisschen barockes Lebensgefühl? Aber nein! Geist und Körper müssen immerzu gegeißelt sein, das Auge streng Diät halten. Bloß nicht der Natur Konkurrenz machen. Ein Berg könnte sich noch in den Schlaf weinen, wenn irgendwo ein Architekt es sich in den Kopf gesetzt hätte, tatsächlich etwas Kreatives zu schaffen und uns vor der optischen Einöde zu retten. Wir, die höchstens mit dem Schornstein vom Triemlispital, der einer gigantischen Meerjungfrauenflosse gleicht, einen Moment lang eine Pause haben von der ästhetischen Anorexie.

 

Hungern, das können sie in Zürich. Auch wir beginnen uns daran zu gewöhnen.  Finden nichts mehr dabei an niedrigen Decken und unverschnörkelten Hauseingänge, und wie wahre Magersüchtige halten wir das krankhaft Abgespeckte für normal.

 

Modisch haben wir unsere Garderobe eingestellt auf die allgemeine Uniform, den  monochromen Gore-Tex Chic, auch wenn wir hie und da Gefahr laufen flamboyante Rückfälle zu erleiden. Zum Beispiel wenn wir im Caritas Shop über Chaneltaschen und Diane von Fürstenbergkleider stolpern und unser Herz kurz einen Sprung macht wenn wir Frauen am Bürkliplatz-Flohmarkt dabei beobachten, wie sie mit dem Gedanken spielen die asymmetrisch geschnittene Schleifchenblusen zu probieren und sich dann doch für das gestärkte weiße Hemd entscheiden.

 

Auch in Sachen Sprache ist slim fit angesagt. Das Vokabular reduziert und höchstens mit ein paar Anglizismen gestreckt. Geschichten wird man keine hören. Weil sie niemand erzählen kann. Es wird zwar geredet, aber ohne Pointe, ohne doppelten Boden, ohne Dramaturgie: sauberer Informationsaustausch in klar definierten Bahnen. Alles andere scheint dekadenter Firlefanz zu sein, manchmal sogar das Sprechen selbst. Und in vielen Fällen wird geschwiegen. Fast so als würde man sich penibel an Ludwig Wittgensteins vielzitierten Satz halten: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Man begreift schnell, dass dieses Schweigen nichts mit Reflexion oder gar Selbstzweifel zu tun hat. Es ist vielmehr die Hauptkommunikationsform. Und mehr noch: Es ist die Grundlage für die Funktionstüchtigkeit der perfekten Attrappe, der Kit, der alles zusammenhält, von der Freundschaft bis zum Unternehmen.

 

Keiner jagt einer Utopie hinterher

 

Richtig verstörend wird das alles erst bei der Begegnung mit anderen Fremden. Denn auch sie sind Teil dieser anorektischen Stille, unabhängig von Alter oder Milieu.

 

Für Fremde, die nicht gerade aus dem Mittelmeer gerettet wurden, oder in einem Kaff im Ruhrpott mit Asthma zu kämpfen haben, ist Zürich alles andere als ein Sehnsuchtsort. Oder haben Sie schon jemand sagen hören, dass er unbedingt eine Zeit lang in Zürich leben muss, sowie andere von Berlin, New York, Tel Aviv, Istanbul oder Tokyo schwärmen?

Zürich passiert einem, ob beruflich oder amourös. Nicht der Rede wert.

 

Das Faszinierend ist, dass einen die Stadt trotz ihrer fehlenden Größe verschluckt. Binnen kürzester Zeit ist man assimiliert. Fast schon möchte man Zürich für diese Leistung beglückwünschen: Wie gelingt es dem Ort diese mundfaule, blutleere Uniformität flächendeckend durchzusetzen, bei allen, egal ob reichen oder weniger reichen Ausländern, Eltern wie Kindern. Keiner beschmutzt das Nest. Keiner plant den Ausbruch, keiner jagt einer Utopie hinterher. Pure antiseptische Dankbarkeit. Als wären sie alle Mitglieder eines Kults, der so gnädig war sie aufzunehmen. Solange sie sich auf eidgenössischem Hoheitsgebiet befinden, sind sie der satten Fadesse der Mehrheit verpflichtet, egal welche Gesten, Gefühle oder Gewürze in einem früheren Leben einmal existiert haben. Ohne Widerrede. An Perfektion gibt es schließlich auch nichts auszusetzen. Kein Nachsalzen. Alles tip top. Nicht wahr?

 

Das Kollektiv darf nicht überfordert werden. Zu sensibel ist es bei der kleinsten Disruption, sei es neonfarbenen Socken aus der letzten Saison, einer ungewohnten Artikulation oder einem Wertesystem, das aus einer anderen politischen Dringlichkeit geformt wurde als jener alles daran zu setzen den Status Quo bis in alle Ewigkeit zu bewahren.

Wer keinen Argwohn heraufbeschwören will, tut gut daran, sich in der Kunst des stummen Stoizismus zu üben. Sie erinnert an jene von untergetauchten Dissidenten, die darauf hoffen, dass sie das Ende totalitärerer Regime noch erleben, wenn sie nur lange genug still halten.

 

Doch im Gegensatz zu Dissidenten, hat das Schweigegelübde in Zürich kein Ablaufdatum, auch kein hoffnungsvoll imaginiertes. Es wird beharrlich daran festgehalten.

 

Erst außerhalb der Käseglocke bricht man es. Unerwartet. Es wird geklagt, gespottet, geschimpft und gelegentlich lässt man sich auch wieder zu einem verschütteten Wesenszug hinreissen: der Ironie.

Draußen, fernab des Schweigegulags, wird plötzlich wieder gewollt, gestrebt, gewütet und das Leben als Widerstand gegen alles von der Mehrheit Aufgedrängte begriffen. Plötzlich ist auch wieder das Bedürfnis da aus der Masse herauszustechen, den Versuch von Individualität zu wagen, und zwar nicht jener, die als Attrappe für einen vorgesehen ist: gekrakelte Tätowierungen am Oberschenkel, Amphetaminen in der Blutbahn, ein Aussteigertippi in Graubünden. (In einer perfekten Attrappe ist eben an alles gedacht, auch an das dicke Drahtseil mit Sicherheitsnetz für die Inszenierung des Tabubruchs. Überraschend viele balancieren darauf. Keine Rolle scheint komfortabler zu sein als die des echten „Badass.“).

 

Ein Funken Hoffnung

 

Und dennoch. Nach einem Jahr ist die Hoffnung in und für Zürich noch nicht ganz gestorben. Zugegeben.  Irgendwo will man ja doch glauben, dass dieser Ort mehr ist als eine Attrappe. Dass er nicht ganz so perfekt ist. Dass es auch hier das echte Leben gibt.

Es läuft nur auf einer anderen Frequenz.

Nicht hörbar für uns großkotzigen Großstädter

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