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Die erste Exil-Uni der Europäischen Union

Es braucht einiges, um das Glas halb voll zu sehen, wenn einem die andere Hälfte kurz davor ins Gesicht geschüttet wurde. Michael Ignatieff schafft das. Milde lächelt er ins Auditorium. Knapp 30 Journalisten sind an diesem Montag­vormittag in Wiens Quellenstrasse 51 gekommen. Normalerweise schwärmen sie in diesen Teil der Stadt nur aus, wenn ihnen ihre Redaktionen aufgetragen haben, eine Wahlkampf­veranstaltung der FPÖ zu dokumentieren oder den Puls des multikulturellen Wiens aufzuspüren.

Nicht heute. Heute geht es um nichts Geringeres als die liberale Demokratie. Still warten sie darauf, was Michael Ignatieff und seine ernst dreinschauenden Kollegen, die neben ihm vorne hinter dem Tisch Platz genommen haben, verkünden wollen.

Ignatieff, 72, Kanadier, dunkelblauer Anzug, wache Augen, lächelt beständig in die Runde. Seine Kollegen tun es ihm gleich. Es gilt vor dem Publikum nun das Kunststück zu vollführen. Zu zeigen, wie voll ein Glas am Ende sein kann, das einem Viktor Orbán zuvor über den Kopf gekippt hat.

Michael Ignatieff ist Rektor der Central European University, der CEU. 1450 Studenten, 100 Nationen, 400 Lehrkräfte - und ein Problem: Viktor Orbán, seit 2010 Regierungs­chef von Ungarn. Die CEU ist jene Privat­universität in Budapest, die der ungarisch­stämmige Milliardär und Holocaust-Überlebende George Soros 1991 gründete - und die deswegen seit Jahren im Visier von Orbáns rechts­nationaler Regierungs­politik steht. Nun ist die Elite­universität aus Budapest weggezogen.

"Es ist ein Skandal, aber er hat eine glückliche Folge: Wir sind jetzt in Wien", sagt Ignatieff zu Beginn der Presse­konferenz. "Wir sind gespannt auf die neue Phase in unserer Geschichte, und Sie sind hier, um sie gemeinsam mit uns zu feiern." Er breitet die Arme leicht aus, als wäre dieser Raum nun sein neues Zuhause.

Und in gewisser Weise ist er das auch. Hier in der Quellenstrasse 51, einem ehemaligen Bankgebäude inmitten von Discountern und Döner­imbiss­ständen in Wiens Arbeiter­bezirk Favoriten ist der neue Standort der Central European University.

23 Jahre lang wurde auf einem Campus im Zentrum Budapests unterrichtet. Nun, seit dem 30. September, geschieht dies in einem sechs­stöckigen Glas­gebäude im Süden Wiens.

Es ist das erste Semester in Wien. Das erste Semester im Exil.

Verraten von der EU

Zum ersten Mal in der Geschichte wird eine Universität innerhalb der Europäischen Union ins Exil gejagt. Ein europäischer Regierungs­chef hat eine gesamte akademische Institution ins Ausland gemobbt. Und die EU? Sie steht hilflos daneben.

Dabei stand die Universität doch einmal ganz oben auf der Agenda von Europas Staats­männern. Im EU-Parlaments­wahlkampf etwa, da erklärte sie der Spitzen­kandidat der Europäischen Volks­partei, Manfred Weber, zur Chefsache. Wenn die CEU nicht in Budapest bleiben dürfe, dürfe es auch Orbáns Partei Fidesz nicht länger in der Europäischen Parteien­familie, so die Drohung. Im April 2019 machte die Volks­partei Ernst. Fidesz' Mitgliedschaft wurde suspendiert. Ein Win-Win für beide Seiten. Das Enfant terrible kann sich weiter austoben. Und die Familie kann sagen, sie habe gehandelt.

Und die CEU? Die wusste spätestens im Sommer, wie sehr sich Europa für ihren Verbleib in Ungarn starkmachen würde. Im August besuchte Deutschlands Bundes­kanzlerin Angela Merkel das westungarische Sopron und betonte, wie gut die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern seien. Keine Rede mehr von Orbáns Kampf­terminus der "illiberalen Demokratie", die Merkel 2015 noch so heftig kritisiert hatte. Keine Rede von der CEU. Keine Rede von akademischer Freiheit.

Enttäuschend sei die ausbleibende Reaktion der EU-Politiker gewesen, sagt Rektor Ignatieff am Podium. Er hackt nicht weiter darauf herum. Ignatieff war einmal Chef der Liberalen Partei Kanadas. Er weiss, wie man dem eigenen Frust diplomatisch Luft macht.

In der Cafeteria nebenan ist man da schon etwas forscher. Von Verrat sprechen einige Studenten und Professorinnen. Im Stich gelassen wurden sie, von all jenen, die sich anfangs so solidarisch gezeigt hatten. Schritt für Schritt hat Europa zugesehen, wie die Universität und ihr Patron Soros zu Ungarns Staats­feinden erklärt wurden. Wie im Fernsehen die Hexen­jagd gegen den "liberal-extremistischen Hort" für "Soros-Söldner" eröffnet wurde, wie Professorinnen und Professoren als "Vaterlands­verräter" beschimpft wurden und sie ihre Namen in regierungsnahen Zeitungen mit dem Titel "die Leute des Spekulanten" entdecken mussten, als seien sie Schwerverbrecher.

Vor zwei Jahren stellte Orbán mit der "Lex CEU" die Weichen für die Vertreibung der Universität aus Ungarn. Im April 2017 unterzeichnete Ungarns Staats­präsident János Áder die Novelle des neuen Hochschul­gesetzes. Sie sah vor, dass ausländische Universitäten in Ungarn nur dann ihren Betrieb aufrecht­erhalten dürfen, wenn sie auch in ihrem Heimat­land einen Lehr­betrieb unterhalten.

Das traf auf die CEU nicht zu - als einzige aller ausländischen Universitäten in Ungarn. Zwar schloss die CEU unmittelbar darauf einen Kooperations­vertrag mit dem Bard College im US-Bundes­staat New York und richtete dort auch einen Lehr­betrieb ein, doch Orbáns Regierung weigerte sich, den Vertrag mit New York zu unterschreiben. Zehntausende gingen auf die Strasse. Es hagelte internationalen Protest, inklusive Petition von 17 Nobelpreisträgern. Umsonst. Ungarns Regierung blieb stur.

Nach langem Abwägen verkündete die Universität im Dezember 2018 ihren endgültigen Umzug nach Wien.

"Wir hängen dich an den nächsten Baum"

"Wir hatten die Wahl", sagt András Bozóki und hebt theatralisch die Faust, "ob wir wie Freiheits­kämpfer bis zum letzten Tropfen Blut in Budapest die Stellung halten und dabei riskieren, alles zu verlieren. Oder ob wir nach Wien ziehen und unsere akademische Arbeit hier fortsetzen." Die CEU liess den Pathos Pathos sein und entschied sich für Letzteres. "Natürlich ist es eine Niederlage", sagt Bozóki und lässt die Arme in den Schoss sinken.

Seit 1993 unterrichtet der heute 60-Jährige an der CEU, seit 2006 als fester Professor für Politik­wissenschaft. Er gehört zu den Schwer­gewichten der Uni. Ein Jahr lang war er als Parteiloser ungarischer Kultur­minister in der Regierung des Sozialisten Ferenc Gyurcsány, jenem Politiker, der vor Parteigenossen unumwunden zugab, im Wahlkampf Lügen verbreitet zu haben.

Schon damals, 2006, spürte Bozóki, wie das politische Klima in seiner Heimat rauer wurde. Er erinnert sich, wie ihm ein junges Pärchen in grün-grauer Uniform und Boxer­hund bei einem Spazier­gang im Park entgegenkam. Man kannte Bozóki, er war zu oft im Fernsehen aufgetreten, der dickliche Minister mit den Locken. "Wart nur ab, bald hängen wir dich an einen Baum, gleich neben deinem Kommunisten­chef", hat ihm der Hundebesitzer gedroht.

Bozóki schmunzelt über die Anekdote. Er war nie Kommunist. Auch nicht Sozialist. Die einzige Partei, der er je angehörte, war eine andere: die Fidesz. Bozóki gehörte zu ihren ersten Mitgliedern. Lustig fand er das damals, 1988, ein Haufen langhaariger Mittzwanziger, die von einer liberaleren Welt träumten. Unter ihnen Viktor Orbán. Bozóki war beeindruckt von Orbán, seiner Dynamik, wie er sprach und vor allem, wie er Dinge anzupacken wusste. Freunde waren sie nie. Orbán, der Prolet vom Land, Bozóki, der Snob aus der Stadt. "Hätte es Fidesz nicht gegeben, wären wir einander nie begegnet", sagt er. Bozóki schüttelt den Kopf. 1992 trat er aus der Partei aus. Das war das letzte Mal, dass er mit Orbán ein Wort gewechselt hat.

Bozóki rührt in seinem Americano, versunken in einen der gelben Couch­sessel in der Cafeteria. Um ihm herum sitzen junge Männer und Frauen, verschanzt hinter ihren Laptops, die Kopfhörer in den Ohren. Es ist Mittwoch­nachmittag. Nie hätte er gedacht, dass er ins Exil muss, vertrieben von einem einstigen Partei­kollegen. Bozóki schüttelt den Kopf.

Uni für Diplomatentöchter und Putzfrauen­söhne

Zwei Tage die Woche ist Bozóki nun hier. So wie der Grossteil seiner Kollegen pendelt er derzeit zwischen Budapest und Wien. Noch werden einige Vorlesungen auf dem Budapester Campus gehalten. Ab dem nächsten akademischen Jahr finden alle in Wien statt.

Bis 2022 gilt die ungarische Akkreditierung für die Universität. Danach weiss niemand, wie es in Budapest weitergeht. Man setze alles daran, sie zu behalten, sagt die Universitäts­leitung. Die CEU-Flagge wird immer in Budapest gehisst sein. Schliesslich gehören der Universität die Gebäude des Campus. Man wird weiterhin Kurse anbieten, Vorträge halten, ein Ort des Austausches bleiben, auch wenn keine Diplome mehr ausgehändigt werden. Ganz vertreiben lässt man sich nicht.

Das beruhigt Henriete Pozsar. "Das ist ein wichtiges Signal für die progressiven Kräfte in Ungarn, dass wir noch da sind", sagt die 27-jährige Studentin aus Rumänien. Ihre Kommilitonen nicken. Es ist Donnerstag­abend, im irischen Pub Shebeen, einer Studenten­kneipe im Zentrum Wiens.

Einen langen Tag haben die sechs Studenten der Politik­wissenschaft aus Gross­britannien, Indien, Österreich, der Ukraine und Rumänien hinter sich. Sie gönnen sich ein Bier und ziehen an ihren selbst gedrehten Zigaretten. Vor ein paar Tagen waren sie noch in Budapest. Busse hatte die Universitäts­leitung organisiert, sie von ihren Studenten­heimen abgeholt und nach Wien gebracht.

In Budapest sollten sie ein paar Wochen die wahre CEU miterleben, die mit dem schönen Campus an der Nádor-Strasse 9 in Budapest, mit der riesigen Bibliothek und dem Gefühl, dass dieser Ort mit Harvard, Princeton und Oxford zweifellos mithalten kann. Wehmütig denken sie an die ersten Tage zurück. Wie hübsch ihr kleiner Campus doch war, viel schöner als dieser Glaskasten in Wien. Den historischen Moment, den Rektor Michael Ignatieff immer wieder gegenüber seinen Studenten in internen Ansprachen in den vergangenen Tagen herauf­beschwört hat, fühlen die jungen Männer und Frauen im Pub an diesem Abend kaum. Ob in Wien oder Budapest, spielt für die meisten ausländischen Studenten keine wesentliche Rolle.

Anastasia Kovalska aus der Ukraine will später einmal in der Sicherheitspolitik arbeiten.

"Immerhin sind wir noch da": Henriete Pozsar, Studentin aus Rumänien.

Für sie ist die CEU vor allem eine Elite­universität, die man sich leisten kann. Ihre Studien­gänge werden in internationalen Rankings unter die besten 100 weltweit gereiht. Doch im Gegensatz zu Harvard, Princeton und Co. kostet hier ein Studien­jahr in der Regel "nur" 12'000 Euro. Die wenigsten müssen den vollen Preis zahlen. 82 Prozent aller Studenten bekommen ein Stipendium. Das erlaubt eine hohe Diversität, nicht nur in nationaler Hinsicht. Kinder von Akademikerinnen und Regierungs­beamten studieren hier Seite an Seite mit jenen von Kellnern und Putzfrauen. Das ist einzigartig.

Doch Diversität kostet. In Wien mehr als in Budapest. Fünf Millionen Euro waren es im Vorjahr, knapp sieben Millionen bereits dieses Jahr in Wien. Allein das Taschen­geld, in Budapest 160 Euro, beträgt in Wien 240 Euro.

Werden sich in Zukunft nur mehr reiche Westler, russische Oligarchen­töchter und arabische Ölmagnaten­söhne den Unterricht leisten können? Wird die Universität ein schnödes amerikanisches College? Verliert die CEU ihre Identität als liberale Institution, deren Mission es immer war, eine Generation kritischer Geister auszubilden, die diese Möglichkeit in ihren Heimat­ländern nicht haben?

Die Unileitung verneint. Egal, wie hoch die Kosten in Zukunft sein werden. An einer Sache will man immer festhalten: dem grosszügigen Stipendien­programm.

So hat auch alles angefangen. Schon in den 1980er-Jahren ermöglichte George Soros mit Stipendien den Kindern seiner Landsleute ein Studium auf Unis im Westen, davon profitierte auch Viktor Orbán (der seinen Aufenthalt in Oxford seiner Partei­karriere wegen vorzeitig abbrach). Mit gebildeten kritischen Köpfen liess sich ein neuer Staat machen, eine neue freiheitliche, demokratische und pluralistische Gesellschafts­ordnung in den ehemaligen Ostblock­staaten aufbauen.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs intensivierte Soros sein Engagement. Mit der Gründung der CEU, die anfangs noch in Prag und Warschau Institute unterhielt und ab 1996 ihren alleinigen Sitz in Budapest hatte, sollte eine Institution im Geiste des Wiener Philosophen und Exilanten Karl Popper und seiner These "der offenen Gesellschaft" geschaffen werden. Die Studenten sollten hier zu kritischen Individuen ausgebildet werden, sich üben in Toleranz und Debatte, ohne Anspruch auf die ultimative Wahrheit. Hier sollte die nächste Elite geformt werden, ihr beigebracht werden, wie sie die Transition, wie es alle hier nennen, aus ihrer post­kommunistischen Realität in die demokratische Zukunft schaffen.

Die bösen Genderstudies

Dieser Spirit ist Geschichte, beklagt Andrea Pető. Früher hätte die Universität zwar etwas Amateur­haftes gehabt, aber sie verkörperte auch eine Art Utopie. Mittlerweile sei sie längst zu einer amerikanischen Schule geworden, erzählt Pető. Sie sitzt auf der blauen Couch im ersten Stock des CEU-Gebäudes, dort, wo sich unter anderem die Büros der Professorinnen befinden. Derzeit teilt sie sich einen Raum mit drei Kolleginnen. Sie will sie nicht stören, also lädt sie zum Gespräch neben dem Kopierer ein. Noch ist alles sehr provisorisch.

Pető gehört zu den ersten Professoren, die 1991 an der Universität angestellt wurden. Die vierte war sie, sagt sie stolz. Pető, 55, blonde kurze Haare, grosse Kunststoff­brille, noch grösserer Silber­schmuck, ist Historikerin. Sie zählt zu den Persönlichkeiten der CEU. Ihr Spezialgebiet sind Genderstudies, jenes Fach, das seit 2018 in Ungarn nicht mehr unterrichtet werden darf. Anfangs argumentierte die Regierung die Streichung damit, dass die Absolventinnen keinen Platz am Arbeits­markt finden würden; später wurde klar, dass das Fach die Geschlechter­rollen im neuen konservativen, christlichen Ungarn mit seinem traditionellen Familien­bild zu sehr infrage stellen würde.

Pető hat sich lautstark dagegen gewehrt. Sie ist eine streitbare Akademikerin, in den Kommentar­spalten, auf Podien, auch im Fernsehen. Bemüht, die verknorrte Sprache der Wissenschaft für den Mainstream zu vereinfachen, um den Leuten zu erklären, was in Viktor Orbáns sich langsam konsolidierendem Einparteien­staat eigentlich auf dem Spiel steht.

In Ungarn hat sie sich damit keine Freunde gemacht.

Als Frau, Gender­forscherin und Jüdin war Pető in Orbáns Ungarn das Feindbild schlechthin. Die regierungs­nahe Presse widmet ihr seitenweise Bericht­erstattung. Auf Plattformen wünschte ihr ein anonymer User den Tod, satanistische Verse wurden ihr zugeschickt, in denen man ihr versprach, sie und "ihre Brut" auszulöschen. Die Polizei weigerte sich, den Drohungen nachzugehen.

Sie verschränkt die Arme vor der Brust. Auch wenn das Exil hart ist und es sie nervt, einmal die Woche von Budapest nach Wien und wieder zurück zu pendeln, ist Pető erleichtert. Endlich kann sie sich nur auf ihre Arbeit konzentrieren, muss sich nicht jeden Tag fürchten, ihren Namen in den Orbán-treuen Zeitungen zu lesen. Ein schönes Leben würde sie sich in Wien machen, haben einige Kollegen geätzt, während sie in Ungarn die Stellung halten müssen. "Ich soll nicht nur glücklich über mein politisches Exil sein, sondern sie auch noch bemitleiden, dass sie bleiben mussten?", sagt sie und lacht bitter. Niemand habe ihren Kollegen die Kalaschnikow an die Schläfe gehalten, niemand verlange von ihnen, dass sie in ihren von der Regierung subventionierten Stellen ihr Gehalt kassieren und ihrer Forschung nachgehen. Sie winkt ab. Sie will nicht moralisieren.

Bald beginnt ein neues Kapitel, ein ruhigeres, ein ausschliesslich akademisches.

Von den eigenen Alumni vertrieben

Geweint hat Miklós Szabó, als er erfahren hat, dass die CEU nach Wien zieht. Der 21-Jährige schämt sich ein bisschen, das zuzugeben. Er lächelt schüchtern. "Es war der Moment, als ich das Gefühl hatte, dass sich für uns das Fenster nach Europa schliesst", erklärt der schlaksige Junge mit den Paus­backen. Für Szabó stand sehr früh fest, dass die CEU die einzige Universität in Ungarn ist, an der er studieren möchte. Aufgewachsen in der kleinen Stadt Pannonhalma im Westen Ungarns, der Vater Lehrer, die Mutter Psychologin, stammt er aus einer intellektuellen Familie, wie er sagt. Die Werte, für die die CEU bekannt war - Toleranz und Offenheit -, waren auch ihre Werte. Viele Freunde seiner Familie kamen aus dem Umfeld der CEU.

Persönlich hatte Szabó die Professoren der CEU das erste Mal 2015 getroffen, damals, als die Flüchtlinge kamen. Einige der Geflüchteten - junge Männer aus Syrien, Afghanistan und dem Iran - wohnten bei ihm und seiner Familie zu Hause. In dieser Zeit hat Szabó viele Leute kennengelernt, die extra aus Budapest zu ihnen in die Stadt gekommen sind, um Quartiere, Kleidung und Verpflegung zu organisieren. Nette, hilfsbereite Menschen waren das. Erst auf Nachfragen erfuhr er, dass es sich bei ihnen um Professoren der CEU handelt. "Da habe ich erst verstanden, was das für Menschen sind und welche Mentalität sie haben", sagt er.

Dann hält er inne. Er fürchtet, dass die Anekdote falsch verstanden werden könnte. Dass sie genau reinpasst in das Propaganda­narrativ eines Orbán, der immer sagt, George Soros würde mit der Ansiedlung muslimischer Migranten die nationale und konfessionelle Identität Ungarns und des ganzen Kontinents zerstören. Und dass er, Szabó, als Student der "Soros-Universität", dieser Mentalität, dieser Gehirn­wäsche, ganz natürlich anheimgefallen ist.

"Sie indoktrinieren dich nicht hier", stellt Miklós Szabó rasch klar. Im Gegenteil. Es gibt immer einerseits-andererseits. So wie es auf guten Universitäten nun einmal sein sollte.

16'000 Absolventen zählt die CEU. Darunter sind Präsidenten, Ministerinnen und Diplomaten. Und es sind Politiker der Fidesz, Leute aus dem inneren Kreis Orbáns, auch sein Sprecher Zoltán Kovács, der immer wieder in Interviews sein Leid als Konservativer auf einer liberalen Universität Revue passieren lässt.

Sind Leute wie Kovács nicht der beste Beweis, dass die Mission der CEU gescheitert ist, eine Elite auszubilden, die sich liberalen und demokratischen und Werten einer Popper'schen "offenen Gesellschaft" verpflichtet fühlt? Dass ausgerechnet jene Leute, die durch die Ausbildung einer CEU gelaufen sind, dieselben sind, die sie vertrieben haben? Ist das nicht deprimierend?

Miklós lächelt. Nein, sagt er. "Genau das liebe ich an der CEU", sagt er stolz, "sie gibt dir keine Haltung vor. Sie gibt dir nur die Werkzeuge, um die Dinge einmal aus einem anderen Blick­winkel zu sehen."

Leute wie Kovács seien ein ganz anderer Beweis. Nämlich dafür, dass die Universität keine Apparatschiks heranzüchtet, keine "Soros-Söldner", wie propagiert wird. Miklós Szabó zuckt mit den Schultern. "Es zeigt vor allem eines: Du kannst auch in der CEU ein Arschloch sein."

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