Brüssel. Bart Somers passt auf seine Burschen auf. Und damit meint der 53-Jährige nicht seine Söhne. Er spricht von all den jungen Männern in seiner Ortschaft Mechelen, einer Kleinstadt im Norden Belgiens. Er ist stolz auf diese Burschen. Darauf, dass sie Teil von Mechelen sind. Und darauf, dass sie sich nicht von den Heilsversprechen der Terrormiliz "Islamischer Staat" verführen haben lassen, so wie es andere getan haben, in Antwerpen, Brüssel oder der Nachbarstadt Vilvoorde.
Somers ist seit 17 Jahren Bürgermeister der flämischen 84.000 Seelengemeinde. Vor 17 Jahren erfüllte sie die Voraussetzungen für einen idealen Rekrutierungsboden für Terroristen: Armut, Kriminalität, isolierte Migranten.
Doch Bart Somers hat seine Heimatstadt gedreht. Aus der einst tristen Einöde eine Vorzeigegemeinde gemacht. Mit harter Hand und massiver Videoüberwachung ist er gegen Dealer und Kleinkriminelle vorgegangen. Das brachte dem Liberalen den Spitznamen Mr. Zero Tolerance ein. Gleichzeitig verfolgte er eine bedingungslose Inklusionspolitik, wo Rassismus und Diskriminierung nicht toleriert werden. Eine Begegnung mit einem Politiker, der den Leitkulturgedanken verachtet und davon überzeugt ist, dass sich alle seine Mitbürger anpassen müssen - egal, ob sie seit 13 Generationen Teil von Mechelen sind oder erst seit zwei Wochen.
"Wiener Zeitung": Linke halten sie für einen Law-and-Order-Hardliner, Rechte für einen Integrationssoftie. Wie geht das zusammen?
Bart Somers: Ich bin kein Multi-Kulti-Kumbaya-Bürgermeister. In einer diversen Stadt brauchen wir Regeln, an die sich alle halten. Jeder hat ein Recht auf eine sichere Stadt. Man braucht eine gute Sicherheitspolitik, um die Basis für eine offene diverse Gesellschaft zu schaffen. Wer sich nicht an die Regeln hält, wird bestraft. Nur: Diese Regeln gelten für alle. Ich dulde keine Diskriminierung und keinen Rassismus.
Was heißt das in der Praxis?
Im Mai haben wir beispielsweise beschlossen, dass Polizisten bei jeder Ausweiskontrolle angeben müssen, warum sie den Betreffenden kontrollieren. So versuchen wir, gegen Racial Profiling anzukämpfen. Viele Migranten fühlen sich diskriminiert und als Bürger zweiter Klasse. Nur wenn wir transparent in unseren Aktionen sind und den Leuten erklären können, warum gewisse Dinge passieren, akzeptieren sie es auch.
Sie setzen bei Ihrer Sicherheitspolitik auch auf die Eigenverantwortung der Bürger und begreifen die Gemeinschaft als aufmerksames und allumfassendes Kontrollorgan. Wie funktioniert das?
Man muss die Leute in das Sicherheitskonzept einbeziehen. Beispielsweise haben wir auf den Spielplätzen "Big Brothers" und "Big Sisters" aus der jeweiligen Umgebung engagiert, die dafür sorgen, dass sich alle am Spielplatz benehmen. So verinnerlichen die Parkbetreuer, dass Regeln wichtig sind, und die Kinder erkennen sich in der Person, die die Stadt in dieser Kontrollfunktion repräsentiert, wieder. Ein anderes Beispiel ist die Arbeit mit den Vätern. Wenn ihre Kinder Probleme machen, gehen wir zu den Vätern und stellen sie zur Rede. Sie müssen für ihre Kinder da sein. Nicht die Polizei oder die Stadt.
So lassen die Väter mit sich reden?
Einigen ist es peinlich, wenn ihnen der Bürgermeister das sagt. Andere sind beleidigt, aber Ende machen sie mit, weil es in jeder Kultur die Aufgabe der Eltern ist, sich um ihre Kinder zu kümmern. Vor zehn Jahren hatten wir Probleme in einigen Vierteln und haben einander jeden Abend einen Monat lang getroffen, bis wir gemeinsam eine Lösung gefunden haben.
Im Gegensatz zu anderen Politikern wehren Sie sich dagegen, ihre Bewohner in Communitys einzuordnen, mit deren Sprechern man in Dialog treten müsste, wie das andere Politiker immer wieder propagieren, wenn es um das Thema Integration geht.
Was soll eine Community sein? Sind diese Sprecher von irgendwem gewählt? Welche Autorität haben sie denn bitte? Ich denke, dass dieser Community-Gedanke gefährlich ist, denn er verleitet zum Groupthink, derer sich sowohl die Linken als auch die Rechten bedienen. Die Linken benutzen diese Art, in Gruppen zu denken, um gewisse Leute zu verhätscheln und als Opfer darzustellen, die Rechten, um genau diese Menschen zu kriminalisieren. Das versuchen wir zu vermeiden. Wir schauen auf Individuen. Wenn man beginnt, in Gruppen zu denken, ist Segregation eine logische Konsequenz.
Selbst wenn Sie nicht so denken, findet Segregation auch in Ihrer Stadt statt. Was tun Sie dagegen?
Wir müssen Segregation bekämpfen und soziale Aufstiegsmöglichkeiten schaffen. Wir leben in keiner diversen Gesellschaft. Wir leben alle auf monokulturellen Inseln. Ob jetzt nur mental oder auch physisch. Das müssen wir ändern.
Wie animieren Sie eine reiche Mutter, ihr Kind in eine Schule mit Kindern aus weniger privilegierten Familien zu schicken?
Wir versuchen sie zusammenzubringen. Viele argumentieren: Ich bin bereit, viel zu tun, aber mein Kind ist heilig, es ist kein soziales Experiment. Wenn ich mein Kind in so eine Schule schicke, ist es der schwarze Schwan, wird benachteiligt und erhält eine schlechtere Ausbildung, weil seine Mitschüler weniger soziales Kapital von zu Hause mitbringen. Daher haben wir eine Organisation gegründet, die Familien aus der Mittelschicht zusammenbringt ihre Kinder in diese Schulen zu schicken. Denn wenn sie alle dort die Schulbank drücken, sind sie nicht länger allein. Es gibt nicht einen schwarzen Schwan, sondern zehn schwarze Schwäne in der Klasse. So wird die Klasse durchmischt. Außerdem haben wir versprochen, dass der Prozess von der Schulleitung und der Stadt begleitet wird. So garantieren wir eine gute Schulqualität. Auf diesem Weg haben wir hunderte Eltern überzeugen können.