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Oma von rechts

Wien. 500 Mitstreiter erwartet sich Gertraud Burtscher am Freitag am Heldenplatz. Mindestens. All die Interviews müssten sich doch bezahlt machen. Schließlich mobilisiert die 74-Jährige seit vier Monaten für ihre Sache: die "Oma-Revolte", den Kampf älterer Frauen um gerechtere Pensionen. Für Mütter, die jahrzehntelang in die Kindererziehung investiert haben und denen im Alter die 30 Beitragsjahre fehlen, um auf 1000 Euro im Monat zu kommen. Für Mütter, wie sie selbst eine ist.

Eine hehre Sache. Die FPÖ, die Grünen, die KPÖ Graz, der ÖVP-Seniorenbund und die SPÖ Vorarlberg, wo Burtscher lebt, haben der gebürtigen Wienerin ihre Unterstützung zugesichert. Selbst im Sozialministerium hat sie bereits vorgesprochen. Burtscher ist eine gefragte Frau. Sowohl in den Medien als auch in der Politik. Zu gut ist ihre Biografie, um sie nicht für seine Zwecke zu nutzen.

Sieben Kinder hat Burtscher zur Welt gebracht. 32 Jahre lang hat sie sich um sie gekümmert. Ausschließlich. Nach ihrer zweiten Scheidung arbeitete sie fünf Jahre lang als Kassiererin. Bis zu ihrer Pension. Eine mickrige Pension. 643,54 Euro gab es im Monat. Mehr war nicht drinnen für eine alte Frau, die kaum in ihrem Leben erwerbstätig war. Daraufhin beschloss Burtscher mit 60 Jahren, Jus zu studieren. Drei Jahre später war sie bereits fertig und arbeitete in einer Steuerberatungskanzlei. Bis heute.

Es ist eine gute Geschichte. So echt. So authentisch. Perfekt zu vermarkten. Die Geschichte einer resoluten Frau, die sich nicht ohnmächtig ihrem Schicksal ergeben hat, sondern Widerstand leistet. Für sich und ihre Altersgenossinnen. Aus diesem Stoff werden Heldinnenmythen gemacht.

Nun holt sie ihre politische Vergangenheit ein. In den 1980er Jahren gehörte Burtscher zum Kader der Nationaldemokratischen Partei (NDP) von Neonazi Norbert Burger. Die österreichische Partei verstieß gegen das Verbotsgesetz und musste 1988 aufgelöst werden. Burtscher wird im Handbuch zum Rechtsextremismus, herausgegeben vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW), als NDP-Mitglied unter dem Namen Gertraud Orlich geführt. Es ist der Nachname ihres ersten Ehemanns.

Ebenso taucht sie darin als Obmann-Stellvertreterin der Österreichischen Bürgerpartei (ÖBP) auf, einer neonazistischen Abspaltung der NDP, einem "Rohrkrepierer", wie sie heute sagt. "Ich kandidiere für die ÖBP, weil ich nicht mehr mitansehen kann, wie in Österreich der eigene ungeborene Nachwuchs getötet wird und die fehlenden Arbeitskräfte dann ganz einfach durch Ausländer ersetzt werden. Dies kommt zweifellos einem Selbstmord unsere Heimat gleich", begründete sie 1983 ihr politisches Engagement im Propagandaorgan der Partei, der "Neuen Österreichischen Bürgerpresse".

Dass sie tief in der braunen Gedankenwelt beheimatet war, beweist ein Brief, den sie 1990 den Mitarbeitern des DÖW zukommen ließ. Es handelt sich dabei um ein "orientalisches Märchen", das sie den Holocaustleugnern Robert Faurisson und Emil Lachout gewidmet hat. Das Märchen strotzt von neonazistischen Codes.

"Obwohl es nicht einen einzigen Sachbeweis über die Badehäusermorde, sondern nur Zeugenaussagen der Minderheit gab, und obwohl die Kadis wußten, dass die Religion dieser Minderheit ausdrücklich Meineide erlaubt, wenn diese beim Schwur ihrer Kopfbedeckung nicht aufhaben und kein Gleichgläubiger im Raum ist, wurden die Massenmorde als kadibekannt angesehen", schreibt sie. Die Badehäuser stehen für die Gaskammern, die Minderheit für die Juden und mit "kadibekannt" kritisiere sie, dass Gerichte keine Beweisführung in puncto Holocaust zulassen, ein klassischer Vorwurf aus Neonazikreisen, dechiffriert der Rechtsextremismusforscher Andreas Peham vom DÖW.

Wie hält sie es mit dem Holocaust heute?

Burtscher selbst erinnert sich heute nicht mehr an das Märchen, wie sie am Telefon gegenüber der "Wiener Zeitung" behauptet: "Das habe ich alles vergessen." Ebenso wenig erinnert sich die Juristin daran als Autorin für die Zeitschrift des verurteilten Holocaustleugners Gerd Honsik, "Halt - demokratisches Kampfmittel gegen ausländische Unterwanderung" publiziert zu haben, wie im Rechtsextremismus-Handbuch dokumentiert ist.

Wie hat es Burtscher heute mit dem Holocaust? Erkennt sie ihn an? "Selbstverständlich. Das wird schon alles so sein. Ich beschäftige mich nicht damit", sagt sie. Sie sei eine "Kindernärrin" gewesen. So erklärt sie ihren damaligen Aktivismus. Identifiziert sich die 24-fache Großmutter noch heute mit der braunen Ideologie? "Ich betätige mich überhaupt nicht politisch. Ich bin total parteiübergreifend", blockt sie ab.

Wenn sie sich an ihre Kaderzeit erinnert, zieht sie Parallelen zu heute: "Wenn Sie den Herrn Kurz hören, dann kann man sagen: So ungefähr wurde früher auch geredet. Das hat mir gefallen." Dasselbe Gerede - heute, wie damals.

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