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Bei den Bezwingerinnen des Patriarchats

Stuhlfelden. Männer sind sensibel. Das lernt man schnell, wenn man mit den Bewohnerinnen von Stuhlfelden spricht. Hier im Oberpinzgau, im Salzburger Land, unmittelbar vor der Tiroler Grenze, haben die Frauen gelernt, sachte mit dem anderen Geschlecht umzugehen. Schon von ihren Müttern und Großmüttern wissen sie: das männliche Ego ist ein zartes Pflänzchen. Besonders empfindlich ist es in der Anwesenheit Dritter. In den eigenen vier Wänden kann es durchaus resistent sein und erträgt so manch emanzipierten Handgriff. In der Öffentlichkeit hingegen wird es rasch zur Mimose. Fasst man es zu ruppig an, geht es da ein. Ist schnell gekränkt. Und fühlt sich minderwertig. Den daraus resultierenden Komplex müssen dann alle anderen ausbaden. Deswegen gilt es mit der weiblichen Dominanz hauszuhalten. Schließlich geht es um das Wohl aller.

Sonja Ottenbacher kennt diese besondere Botanik. Muss sie auch. Als Bürgermeisterin von Stuhlfelden ist sie in ihre Funktion laufend damit konfrontiert. Ottenbacher gehört zu einer raren Spezies. 157 Frauen stehen Österreichs 2100 Gemeinden vor. Das sind gerade einmal 7,5 Prozent. Im Bundesland Salzburg ist die gläserne Decke in den Gemeindeämtern - abgesehen von Wien - mit insgesamt vier Bürgermeisterinnen am Dicksten.

Sonja Ottenbacher hier zählt zu den Pionierinnen. 2004 wurde die ÖVP-Politikerin und zwei Parteikolleginnen aus den Gemeinden Leogang und Lofer zu den ersten Bürgermeisterinnen Salzburgs gewählt. Stolz war das Land auf die drei Frauen. Jetzt hatte man mit Gabi Burgstaller (SPÖ) nicht nur die erste Landeshauptfrau, sondern auch auf Kommunalebene den Altherrenklub ein bisschen aufgemischt. Eine Sensation.

Sonja Ottenbacher weiß um ihren Einhorn-Status. Und sie hat gelernt, wie sie ihn zu leben hat. Sehr subtil. 12 Jahre im Amt haben die zierliche Frau mit dem breiten Lächeln zum Profi in Sachen männlicher Befindlichkeit gemacht. "Es ist nicht gut für die Frauenpolitik, wenn man die ganze Zeit nach mehr Akzeptanz bettelt. Wir müssen die Gleichberechtigung mit einem Selbstverständnis leben. Ich komme ja gar nicht darauf, dass ich darum bettele, dass mich andere als gleichberechtigt sehen. Für mich ist das von Anfang so", sagt die 56-Jährige, "Alles andere ist ein Herabmachen der Frauen. Das brauchen wir nicht."

Mit Krabbeldecke zur Sitzung

Sie sitzt in ihrem Büro. Es ist Montagvormittag. Die Sonne scheint in Stuhlfelden, das mit seinen verschneiten Hängen und den jahrhundertalten Bauernhäusern als Kulisse für jeden Heimatfilm herhalten könnte. Mitten im Ortszentrum befindet sich das Gemeindeamt, im ersten Stock Ottenbachers Reich. Von hier aus managt sie die Anliegen der knapp 1600-Seelengemeinde. Vom Schneepflug über die Ansiedlung neuer Betriebe bis zum Trauerfall in der Familie. Sieben Tage die Woche, rund um die Uhr. So wie viele Bürgermeisterinnen. Eine Umfrage des Gemeindebunds von vergangenem Sommer hat ergeben, dass 46 Prozent der Befragten ihr Amt Vollzeit ausüben. Bei den Männern sind es 20 Prozent. Der Volleinsatz ist ein Nachteil für die Frauen. Denn das Amt sichert sie sozialrechtlich nicht ab. Weder haben sie Anspruch auf Arbeitslosengeld, noch bekommen sie eine Pension ausgezahlt. Und was ebenso ausgeklammert wird: Mutterschutz und Karenz. Wird eine Frau in ihrer Amtszeit schwanger, muss sie auf die Kulanz der Kollegen hoffen, um den Modus Operandi aufrecht erhalten zu können. Bis dato gab es laut Gemeindebund nur eine Bürgermeisterin, die damit konfrontiert war - und sie hat weitergemacht, inklusive Krabbeldecke bei den Sitzungen.

Attraktiv machen diese Bedingungen das lokalpolitische Engagement nicht unbedingt. Selten wird es direkt von den Frauen angestrebt, nur 11 Prozent gaben in der Umfrage an, dass sie sich bewusst dafür beworben hätten. Beim Rest war es Zufall.

Auch Ottenbacher ist reingerutscht. Gut erinnert sich die ausgebildete Krankenschwester und Psychotherapeutin, wie alles angefangen hat. Bei einem Feuerwehrfest vor 18 Jahren. In einer launigen Runde zog sie die Herren der Politik damit auf, dass sie es nach so vielen Jahren immer noch nicht geschafft hätten eine einzige Frau für die Gemeindevertretung zu gewinnen. Am nächsten Tag folgte das Angebot, ob sie nicht genau jene Frau sein wolle. Ottenbacher sagte zu, gewann bei der kommenden Wahl ein Mandat für die Partei und wurde prompt zur Vizebürgermeisterin ernannt.

Ihr Ja zur Politik kam nach einem Gespräch mit einem Kollegen aus dem Nachbarort. "Die Frauen in der Politik sind umsonst. Fünf Jahre haben wir eine bei uns sitzen gehabt, die immer nur das Gleiche gesagt hat: Die Gehsteige sind für die Kinderwägen zu eng", habe er sie nachgeäfft. Ottenbachers Konter: "Und was habt ihr fünf Jahre lang getan? Nichts." "Da habe ich gewusst, dass es so nicht weitergehen kann", erzählt sie heute. Sie schüttelt den Kopf. "Auch wenn ich von einer Sache nicht betroffen bin, muss ich doch trotzdem jedes Anliegen aufnehmen", schießt sie rasch hinterher. Sie ist vorsichtig. Ihr Gesprächspartner soll nicht den Eindruck gewinnen, dass sie tendenziös sei. Ungern geriert sie sich als Lobbyistin einer Gruppe. Auch wenn sie es war, die sich dafür eingesetzt hat, dass eine zweite Kindergruppe im Ort aufsperrt wird, um die Mütter zu entlasten. Und auch dass sie vier Jahre lang als Abgeordnete des Salzburger Landtages vorrangig für die Themen Familien und Kinderbetreuung zuständig war, erwähnt sie nicht. Das braucht man nicht an die große Glocke hängen.

Von den Feministinnen aus Wien bevormundet

Lieber spricht sie über die allgemeinen Herausforderungen, mit denen jeder Bürgermeister einer kleineren Gemeinde zu kämpfen hat: Abwanderung, Arbeitsplätze und die Unberechenbarkeit der Natur. Keiner soll glauben, dass mit ihr als Frau eine Feministin an den Hebeln der Dorfmacht sitzt. " Ich bin keine Feministin", stellt sie klar. Natürlich sei die Arbeit der Pionierinnen notwendig gewesen. Dennoch: "Feminismus bedeutet für mich, dass nur die Frauen das Sagen haben und alle anderen abwerten. Für mich ist das extrem", sagt sie.

Feminismus. Das Wort hat als Kampfbegriff in diesen Breiten nichts an seinem Bedrohungspotenzial verloren. Da kann ihn Beyoncé noch so oft im Glitzerkleidchen und Babybauch für den Mainstream schmackhaft machen. In Stuhlfelden ist er vor allem eines: zu radikal. Das bestätigen auch die Frauen, die sich Montagabend zum Essen im "Schwaigerlehen", einem 500 Jahre alten Bauernhaus, zusammengefunden haben. Bei Beef Tatare und Schüttelbrot wird einen Abend lang über das Frausein am Land diskutiert. Über starke Mütter, die einen tadeln, wenn man die Kinder ein Wochenende beim Ehemann lässt, weil man mit den Freundinnen vereisen möchte. Über das schlechte Gewissen, wenn man zu Hause beim Nachwuchs bleibt, während die anderen wieder arbeiten und verächtlich über die Hausfrau tuscheln. Über Chefs, die lieber einen Mann einstellen, weil der nicht in Karenz geht. Über Kollegen, die für die gleiche Arbeit mehr gezahlt kriegen, obwohl sie weniger qualifiziert waren. Und über das Bedauern heute, damals nicht aufgemuckt zu haben.

Es sind Frauen, die das erleben, wovon andere Seminararbeiten schreiben und sich in Netzwerken darüber austauschen. Sie kennen diese Kämpfe. Sie haben sie alle gekämpft. Jede ihren ganz persönlichen. Ohne Lamentos, ohne Demonstration, ohne empörte Hasthags.

Dass es nicht gerecht zugeht, braucht ihnen niemand zu erklären, am allerwenigsten die Feministinnen aus Wien, von denen sie sich bevormundet fühlen, wenn sie im Namen aller Frauen sprechen würden, so wie sie es bei der Bundeshymne getan hätten. "Das ist ein Kulturgut aus einer bestimmten Zeit und wenn man das anders will, kann man eine neue machen", sagt Ottenbacher. Es gebe wichtigere Themen, als eine Strophe. Wie sie sich als Frau in einer vermeintlichen Männerdomäne schlägt, kommentiert sie kaum. Die Anfeindungen. Das Belächeln. Und den Neid. Von manchen Männern, die ihr so gerne die Kompetenz absprechen wollen, weil sie lieber lange mit allen diskutiert und so zu einem Ergebnis kommt, als einmal auf den Tisch zu hauen, wie es ihr Vorgänger immer getan hat. Und von einigen Frauen, die sie kritisch beäugen, die kinderlose Blondine, die so gerne lacht und sich elegant anzieht. Dünnhäutig darf man als Politikerin nicht sein. Umso weniger am Land, wo jeder jeden kennt. Das weiß Ottenbacher seit dem ersten Tag ihrer Amtszeit.

Das Trauma des Dorfpascha

"Bussi hin. Bussi her. Und nichts dahinter", brummt Johann Steiner, wenn er auf die Ortschefin angesprochen wird. 36 Jahre lang war er Bürgermeister von Stuhlfelden. Er ist Sonja Ottenbachers Vorgänger. "Es war mein Fehler sie zur Vizebürgermeisterin zu machen", sagt der 80-Jährige. Der Landwirt sitzt im Speisezimmer seines Bauernhauses, einer Pension mit 70 Zimmern, die unmittelbar gegenüber vom Gemeindeamt steht, wo seine Nachfolgerin waltet. Aufgedrängt wurde sie ihm "die Blondine", von der Partei. Man habe ihn gezwungen eine Frau ins Team zu holen - ein Vorwurf, der von der ÖVP-Bundesgeschäftsführung des Bezirks dementiert wurde.

Nie hatte Steiner vorgesehen, dass ihn seine Vizebürgermeisterin beerben würde. Sein Schwiegersohn hätte die Nachfolge antreten sollen. Das war sein Plan. Schließlich gehört man ja zum Dorf-Adel. Schon der Großvater war nach dem ersten Weltkrieg Bürgermeister in Stuhlfelden. Wieso also nicht eine Tradition fortführen, die sich in der Familie zu bewähren schien.

Der Schwiegersohn, Alois Steiner, sah das nicht so. Als damaliger Parteiobmann ließ er intern darüber abstimmen, wer 2004 als Bürgermeister-Kandidat für die ÖVP ins Rennen geschickt werden sollte. Die Wahl fiel auf Ottenbacher. Eine Entscheidung, die von Steiner Junior unterstützt wurde. Bis heute, wie er am Telefon bestätigt.

81 Prozent der Bewohner haben Ottenbacher damals ihr Vertrauen ausgesprochen. Die Wahl ist das persönliche Trauma des Altbürgermeisters. Bis heute hat es Johann Steiner nicht überwunden, dass sie auf seinem Stuhl sitzt. Sein Erbe hätte sie ruiniert. Wütend, mitunter untergriffig, wird er gegenüber seine Nachfolgerin. Im Ort nimmt man diese Angriffe nicht mehr ernst. Selbst im "Verwalterwirt", wo sich Stuhlfeldens Männer treffen, hat man nur ein müdes Lächeln übrig für den alten "Dorfpascha", wie sie ihn nennen. Gegen die "Frau Bürgermeister" gebe es nichts auszusetzen. Sie würde mit allen reden und sei zugänglich. Mehr gebe es da auch nicht zu sagen.

Doch zu viel Macht in Frauenhand irritiere sie. Eine Zeit lang waren alle wichtigen Posten in der Gemeinde von Frauen besetzt. Von der Amtsleiterin über die Chefin der Raiffaisenfiliale bis zur Pfarrgemeindevorsitzenden. "Frauenbastion" haben die Medien Stuhlfelden getauft und als kleine feministische Utopie mitten in den Bergen gefeiert. Mittlerweile sind auch wieder mehr Männer im Einsatz. Dennoch. Die geballte weibliche Präsenz verunsichert die Anwesenden, vor allem je tiefer sie ins Glas schauen. Gefalle ihnen die Abwechslung nicht? Dass es etwas durchmischt sei? "Ja klar, sollen sie sich durchmischen, aber nur wenn das Licht aus ist", poltert einer. Die Männerrunde lacht. Schenkelklopferwitze der alten Schule.

So "empathisch" und "emotional"

Kommentare dieser Art überhört Sonja Ottenbacher. "Dafür ist mir die Energie zu Schade", sagt sie am nächsten Tag. Es ist Dienstagvormittag, im Gemeindeamt in Bruck an der Großglocknerstraße, wenige Autominuten von Stuhlfelden entfernt. Hier treffen sich die Bürgermeister des Bezirks zu einer Konferenz. 20 Männer und zwei Frauen sind gekommen.

Die anwesenden Herren sind dankbar für die Damen in er Runde, loben sie für die gute Zusammenarbeit, und freuen sich über ihre "weibliche Perspektive" auf die Dinge. Gewisse Dinge würden sie ja doch "emotionaler" angehen, schließlich seien Frauen doch "empathischer", wie man wisse.

Michaela Höfelsauer verdreht bei solchen Zuschreibungen die Augen. "Da muss man drüber stehen", sagt sie. Seit einandhalb Jahren sitzt die Pflegeheimleiterin und zweifache Mutter für die SPÖ als Bürgermeisterin im Gemeindeamt von Lend-Embach. Derzeit hat die 46-Jährige schwer daran zu schlucken, dass die Aluminiumfabrik im Ort zusperrt und 83 Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Höfelsauser ist neben Ottenbacher die zweite Frau, die an der Konferenz an diesem Dienstagvormittag teilnimmt. "Sobald es um die Sache geht, habe ich noch nie mit einem Mann ein Problem gehabt. Da legen sie alle Vorbehalte zu 100 Prozent ab", sagt sie. Natürlich gebe es hie und da auf den Feiern blöde Witze. Aber wer blöd witzelt, muss auch mit einer Retourkutsche rechnen. Und das wird richtig demütigend - und zwar für den Witzbold, warnt Höfelsauer. Dennoch bleibt auch sie vorsichtig. Sie kontert eher mit Humor als mit eiserner Strenge. Denn auch sie ist sich der männlichen Botanik bewusst. Und dass jedes gekränkte Ego bei der nächsten Wahl Stimmen kosten könnte.

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