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Feature

Die Tragödie von Teheran

erschienen im Falter" Nr. 26 / 09 vom 24.06.2009


Teheran. Nervös spielt Jalal Mohammdlou mit seinem Gebetsband. Eigentlich hätte der 29-Jährige es nicht nötig, sich in Teheran zu verstecken. Im Norden des Landes sollte er sich dieser Tage mit seiner Frau am Meer von den Strapazen der vergangenen Wochen entspannen. Das hatte er ihr versprochen.

Monatelang hat der Ökonom für den Reformer Mir Hossein Mussawi eine Wahlkampfzentrale im Zentrum der Stadt geleitet, Sympathisanten mit Wahlwerbung versorgt und ihnen erklärt, wie sie auf die Leute zugehen sollen, damit der Iran endlich einen neuen Kurs einschlagen kann. Einen Kurs unter der Führung eines kultivierten Uniprofessors, der Irans Ansehen in der Welt wiederherstellen sollte. Alles war bereits geplant für die Siegesfeier, in der Nacht nach der Präsidentschaftswahl am 12. Juni. Es ist anders gekommen.

Stattdessen sitzt Mohammdlou heute wie ein Flüchtling in einem heruntergekommenen Lokal im Süden der Stadt und stochert missmutig in seinem Gulasch. „Das war einer von euch, wenn ihr ihn nicht auf die Titelseite bringt, schmort er im Gefängnis“, schnaubt er ins Telefon. Seit Tagen hat er kaum geschlafen, jedes Mal wird er benachrichtigt, wenn sie einen seiner Freunde festnehmen. Und das geschieht oft. Dieses Mal geht es um einen Journalisten. Die eigene Zeitung fürchtet, dichtmachen zu müssen, wenn sie über seine Festnahme berichtet. Plötzlich senkt Mohammdlou seine Stimme, sein Blick fällt auf die bärtigen Männer mit den langen Hemden, die am Nebentisch Platz genommen haben.

Bis vor einer Wochen waren sie für Mohammdlou bloß Wähler des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, Männer, mit denen er in den Lokalen diskutieren, sich gar streiten konnte. Heute sind sie potenzielle Spitzel.

So sieht Teheran nach den Wahlen aus. Jeder ist verdächtig. Seitdem Präsident Ahmadinedschad mit 24 Millionen Stimmen offiziell zum eindeutigen Sieger erklärt wurde, ist nichts mehr, wie es war. Von Wahlbetrug und Staatsstreich ist die Rede. Millionen gehen auf die Straßen und skandieren: „Wo ist meine Stimme?“ Es sind die größten Massenkundgebungen seit der Islamischen Revolution vor 30 Jahren.

Das Regime bekommt es mit der Angst zu tun. Vielleicht passiert dasselbe wie in der Ukraine oder in Georgien? Doch die Regierung weiß zu handeln. Einen Tag nach den Wahlen werden die ersten Politiker und Journalisten verhaftet, Telefone vermehrt abgehört, Handys ab dem Nachmittag schlichtweg abgestellt, Satellitensender mit Signalen gestört, damit kein Iraner BBC Persia oder Voice of America empfangen kann.

Das Kulturministerium schickt dieser Tage wieder seine Frontmänner in die Druckereien, um zu kontrollieren, was am nächsten Tag in den Zeitungen steht, und was nicht. An manchen Tagen erscheinen sie mit weißen Titelseiten.

In der ganzen Stadt sind schwer bewaffnete Sicherheitseinheiten postiert, bereit jederzeit zuzuschlagen. Jede Nacht liefern sie sich Gefechte mit Zivilisten. Vor einer Woche haben sie das Studentenheim der Teheraner Hauptuniversität angegriffen. Noch Tage danach klebte das Blut der Studenten in den Gängen.

Und trotzdem kommen die Massen. Ab 16 Uhr ist die Stadt lahmgelegt. Geschäfte ziehen ihre Rollläden herunter, Anrainer versammeln sich auf den Balkonen, um die Menge, die sich an einem der Knotenpunkte der Stadt versammelt hat, aus sicherer Entfernung zu beobachten.

Es sind Männer und Frauen – jene aus dem reichen Norden mit den raffiniert gebundenen Kopftüchern und jene aus dem Süden mit den Tschadors –, Alte und Junge und sogar Geistliche, die es sich nicht nehmen lassen, einem Regime die Stirn zu bieten, das sie belogen hat. Eine einmalige Allianz, mit zum Victory-Zeichen erhobenen Fingern, der eine Frage gemeinsam ist: „Wo ist meine Stimme?“

„Die Leute kommen von selbst, nicht wir haben sie mobilisiert“, verteidigt sich Mohammdlou. Der junge Mann, der an den amerikanischen Schauspieler Christian Slater mit Vollbart erinnert, lebt derzeit gefährlich. Als Mitglied der Partizipationsfront, einer Reformerpartei, die Mussawi im Wahlkampf unterstützt hatte, ist er verdächtig für das Regime, gelten doch er und seine Kollegen als Drahtzieher der „grünen Revolution“ – die Farbe, die Mussawis Anhänger tragen. Führende Politiker der Reformbewegung – Mussawis Basis – sitzen hinter Gittern. Als Kopf ohne Körper versucht er nun die Wahlen anzufechten.

„Es soll so aussehen, als hätten wir eine samtene Revolution nach dem Vorbild der Ukraine geplant“, erzählt Mohammdlou, „deswegen inhaftieren sie vor allem junge Leute, die unter Folter gestehen sollen, dass wir sie zu den Demonstrationen angestiftet haben.“ Wütend schüttelt er den Kopf: „Unsere Leute sitzen alle im Gefängnis, sie können gar nichts mit dem Empowerment der Massen zu tun haben.“

Die Demonstrationen haben sich zu einer Art Selbstläufer entwickelt. Mussawi ist nur mehr ihr Maskottchen. Seine Aussage „Ich werde bis zum Schluss hinter euch stehen“ hat den meisten gereicht, um sie auf die Straße zu bringen. Gelegentlich taucht er auf in der Menge, streckt seinen Kopf aus dem Dach seines Autos und winkt den jubelnden Menschen zu. Mehr wollen sie gar nicht. Den Rest der Arbeit übernehmen sie selbst. Stumm marschieren sie kilometerweit die Hauptachsen der Stadt ab, halten Plakate mit Fotos der Getöteten der vergangenen Tage in die Höhe und bemühen sich, die Ruhe zu bewahren. Die kleinste Aufregung könnte die Polizisten zum Einschreiten bringen und für ein Blutbad sorgen. Flüsternd informieren sie einander, wer inhaftiert wurde und vor allem wo und wann die nächste Kundgebung stattfindet. Man mahnt einander zur Vorsicht, nicht in die Rettungswagen einzusteigen, schließlich weiß niemand, wohin sie einen bringen, und kein Wasser von Passanten anzunehmen. Es seien Ahmadinedschad-Anhänger, die das Wasser vergiftet hätten.

Es herrscht ein Klima der Angst. Das ohnehin geringe Vertrauen in die Mitbürger ist auf ein Minimum gesunken. Politik am Telefon ist Tabu. Der Taxifahrer, der laut gegen Ahmadinedschad schimpft, könnte ein Agent Provocateur sein und einen an den Geheimdienst ausliefern, sobald man sich als Mussawi-Anhänger zu erkennen gibt.

Junge Männer, die bis vor wenigen Wochen noch vor der Teheraner Universität ausländischen Journalisten Interviews gegeben haben, in denen sie Ahmadinedschad und seine Handlanger kritisierten, trauen sich jetzt kaum aus dem Haus, weil sie verhaftet werden könnten. Familienväter, die auf ausländischen Websites surfen, bekommen dieser Tage Anrufe, in denen ihnen eine automatische Ansage mit bis zu zwölf Jahren Haft droht, wenn sie es wagen sollten, diese Seiten noch einmal aufzurufen.

Niloufar lässt sich von diesen Aktionen nicht einschüchtern. Die 24-jährige Grafikerin sitzt in ihrem Werbebüro und schneidet Armbänder für den Nachmittag. Vor ein paar Wochen hat sie dasselbe in ihrer Wahlkampfzentrale für Mussawi gemacht, damals waren die Schleifen noch grün. Heute sind sie schwarz, als Zeichen der Trauer für die verlorenen Wahlen und die Getöteten.

„Jede Niederlage bringt uns weiter. Und eines Tages leben wir in einem Land mit fairen Wahlen“, sagt sie. Niloufar war Teil von Mussawis „grüner Welle“; sie musste sich oft als hohle Lifestyle-Tussi beschimpfen lassen, die sich nur engagiert, damit sie mit ihrem Freund ungestört Händchen halten kann. „Es geht darum, dass wir in Freiheit und ohne Angst leben können“, meint sie. Vor einigen Tagen haben Beamte des Geheimdienstes sie abgeführt, nur weil sie vor der Zentrale der Partizipationspartei herumgelungert ist.

Mit dem Kopf auf den Knien, hat man sie ins Evin-Gefängnis, im Norden der Stadt gebracht. „Wir hatten Augenbinden, aber wir konnten sehen, dass unser Trakt voll war mit Verletzten, wahrscheinlich haben sie uns deswegen nach ein paar Stunden wieder gehen lassen, weil sie einfach keinen Platz mehr hatten“, erzählt Niloufar, „nur weil sie mich einmal festgenommen haben, sitze ich doch nicht zuhause und drehe Däumchen.“ Ruhig präpariert sie einen Stock mit einem schwarzen Tuch, damit sie ihn als Fahne beim heutigen Demonstrationszug tragen kann.

Die Demonstrationen sind der friedliche Teil der revolutionären Bewegung. Ab 20 Uhr ändert sich die Lage. Es ist der Beginn der Ausgangssperre. „Nehmt eure Armbänder ab und verteilt euch, meidet die Seitenstraßen und geht vor Einbruch der Dunkelheit nachhause“, brüllen die Männer und Frauen einander zu. Jetzt beginnt die Zeit der Wölfe. Gemeint sind die Bassidschi, die freiwilligen Milizen, zuständig für den Einhalt der islamischen Ordnung im Land. Im Dunkel der Nacht trauen sie sich heraus. Bärtige Männer in Pyjamahosen und Pantoffeln, ausgestattet mit Knüppeln, Messern, Elektroschockern und Kalaschnikows, die jede Nacht auf ihren Motorrädern die Straßen abfahren.

Auf den großen Plätzen liefern sie sich Showdowns mit Halbstarken, die sie mit Steinen und mit „Allahu Akbar“ – „Gott ist groß“ – provozieren. In den vergangenen Tagen hat sich der religiöse Ausruf zu einer Art Code unter Mussawi-Anhängern entwickelt. In der Nacht schreien ihn die Leute, versteckt hinter ihren Satellitenschüsseln, von den Dächern.

Vor den Haustüren warten die Bassidschi. Sie beobachten genau, wer sich auf welchen Dächern tummelt, und stürmen dann die Wohnungen der Betroffenen. Anschließend zerstören sie die Fenster und Hausfassaden. Oftmals filmen sie sich dabei, am Tag darauf ist der Mitschnitt im staatlichen Fernsehen zu sehen, wo von Vandalen die Rede ist, die sich mit dem Wahlergebnis nicht abfinden konnten.

Selbst das Fernsehen kann die Masse schwer ignorieren. Zum ersten Mal hat es vor einigen Tagen verlautbart, dass es sich um Mussawi-Anhänger handelt, die friedlich demonstrieren. Ein Triumph in den Augen vieler.

Jeder spürt, dass die Sicherheitskräfte wild in die Menge feuern und die Festnahmen zunehmen könnten. Hamid ist dennoch zuversichtlich. Der 30-jährige Ingenieur mit dem schütteren Haar hat noch keine Demonstration ausgelassen. Er ist stolz auf seine Landsleute. „30 Jahre haben sie uns zu jedem Jahrestag der Revolution gezeigt, wie man Molotowcocktails mischt, Parolen schreit und Botschaften besetzt. Sie haben uns gelehrt, wie man rebelliert“, sagt Hamid. Er lächelt und dreht sich zur Menge: „Jetzt zeigen wir ihnen, wie es demokratisch ablaufen kann.“