Simon Hauck
Viel war in diesem Jahr über das Ende des Kinos zu lesen. Im Grunde viel zu viel. Nichts Neues eigentlich im Leben eines Kritikers, fast schon ein scheinbar notwendiges Zusammenschweißungsritual. Mantra-mäßig wiederholt vor Previews, bei Festivals, im Tratsch mit den Kollegen, aber seltsamerweise auch unter den Machern der einzelnen Filminstitutionen (z.B. Museumsleiter, Kuratoren, Archivare oder Filmwissenschaftler) im In- und Ausland. Und gerade erst vollends, wenn ich am Ende von Interviews sozusagen "off the records" war - und das Aufnahmegerät zur Seite gelegt hatte.
Doch dann gibt es "die im Dunklen, die man wirklich nicht sieht", um einmal Brechts berühmtes Diktum über all die ehrenwerten, aber stets Übersehenen zu paraphrasieren. In Punkto Kinokultur meint das gerade die, die sogar am lautesten brüllen dürften: die unentwegt agilen, nur laut Personalausweis hoch betagten Kinomacher vom Schlage einer Marlies Kirchner (Theatiner Filmkunst) oder eines Sigi Daiber (Maxim Kino), beide tapfer seit Jahrzehnten in München ansässig.
Und dann all die nur von Berufswegen her stillen Vorführer, die einmal angetippt, ganze Kinoromane von sich geben können. Oft druckreif - und mit sehr viel Mehrwert für das Herz echter Cineasten. Sie reden nicht vom Ende des Kinos.
Auch wenn die Abendkasse nicht so reich gefüllt ist, weil die tägliche Eventwahnsinnsmaschine - nicht nur in den Metropolen - wieder einmal alle vom heimischen Fernsehsessel weggecatcht und eben gerade nicht auf die so wohlig durchgesessenen Kinosessel gebracht hat. Sie geben trotzdem nicht auf, Petition zum Kino-Erhalt hin und her. Im Gegenteil: umso lustvoller sperren sie jeden Tag erneut ihr Kassenhäuschen auf.
Auch im Münchner Werkstattkino wird quasi immer gespielt. Zur Freude vieler oft auch noch analoge Kopien. Ob nun viele kommen - oder der Filmvorführer, Programmer und Kassenwart, so lässt sich in etwa das Berufsbild eines Mitarbeiters aus dem Werkstattkino-Kollektiv noch am besten umreißen, den jeweiligen Streifen nur für sich einlegt. Es geht um den Film. So banal das für manche klingen mag. Um nichts anderes.
Also: Catch me if you can anno 2015? Die Filmkunst ein Ausläufer? Besucht, gesucht und versucht allein von einem Rest nostalgischer Kinodinosaurier? Nichts dergleichen, wie es Peter Greenaway - der scheinbare (Kino-) Mann ohne Vergangenheit - uns deutlich eindrucksvoller als alle anderen Altmeister (Herzog, Malick, Wenders) bewiesen hatte: Die Berlinale lag ihm zu Füßen. Denn Eisenstein in Guanajuato war ein einziges, in Film gemeißeltes Ausrufezeichen! Solche Bilder hatte wirklich noch nie jemand gesehen.
(Trailer zu Eisenstein in Guanajuato von Peter Greenaway)
Pikanterweise kamen diese von dem Mann, der schon 1995 - also zum 100. Geburtstag der siebten Kunst - eben jenem Medium nichts weniger als den Tod erklärt hatte! Warum das so war? Weil ich schon in den ersten Sekunden der Pressevorführung Tränen in den Augen hatte - vor Freude! Jener Regisseur, dessen umfangreiches Œuvre ich einst als Magisterkandidat zerpflückt hatte, war mit einem Paukenschlag auf die Weltbühne namens Kino zurückgekehrt. Die Zukunft des Kinos hat also gerade erst begonnen: Auf die nächsten hundert Jahre. Mindestens.
Simon Hauck sieht Filme (im Kino, in Previews, bei Festivals, in Filmmuseen, bei Freunden, im Urlaub - und irgendwann vielleicht auch noch im Grab), bewahrt Filme (die häuslichen Regale wanken schon lange), dreht Filme (z.B. für BR Kino Kino), moderiert Filme (u.a. beim Filmfest München, DOK.fest München, Fünf Seen Filmfestival), sucht Filme (als Programmer für das Internationale Programm beim DOK.fest München), engagiert sich für Filme (im Münchner Filmzentrum und Filmmuseum), schreibt über Filme (u.a. bei kino-zeit.de, artechock.de, Münchner Feuilleton, 35 Millimeter) - und liebt trotzdem seine Frau. Die zwitschert ihm manchmal auch etwas, wenn er wieder über Filme zwitschert: @Simon_sieht