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Rosalía live in Berlin: Ehrfurcht für die spanische Pop-Königin

Ist das große Drama vor allem dann eindrucksvoll, wenn es mühelos ist? Rosalía wirkt jedenfalls, als sei es das Einfachste der Welt: ihr Publikum sprachlos zurücklassen. Dafür braucht die 30-Jährige nicht viel: Die Bühne des ausverkauften Velodroms ist hell und schlicht, es gibt keine Live-Band, keine Outfit-Wechsel, nur ein paar Tänzer. Und dennoch liefert sie eine Show, die restlos beeindruckt.

Rosalía Vila Tobella startet Revolutionen aber scheinbar immer aus dem Ärmel: Mit ihrem Debütalbum „Los Àngeles" (2017) erfindet sie den Flamenco neu und verschafft ihm ein progressives Image. Plötzlich hört man in ihm Coolness und Innovation, gleichzeitig inszeniert Rosalías eine vehemente Feier spanischer Tradition.

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Sie weiß was sie tut: An der Escuela Superior de Música de Cataluña in Barcelona studierte sie Flamenco. Ihre zweite Platte „El mal querer" (2018) war auch gleichzeitig die Abschlussarbeit dieser Studien - und katapultierte die Musikerin endgültig in den Pop-Olymp. Und zwar weltweit, nachdem sie in ihrer spanischen Heimat sowieso längst als Volksheldin gilt.

Rosalía hat ein herausragendes Gespür für Feinheiten und Momente. Sie mischt auf ihren Alben Stile auf eine Weise, die eingängig und atemlos zu gleich ist. Bolero und Reggaeton werden vereint, zähflüssiger Trap eingearbeitet, natürlich mit Flamenco gespielt, an Stellen hört man Punk, die Drums ballern einem die Ohren kurz weg, nur um dann wieder im Bachata zu landen, dem zuckrigen Pop aus der Dominikanischen Republik.

Der rote Faden in all dem ist die Musikerin selbst, deren glassklare Stimme einem fast unerträglich nah geht und einen ganz tief drin, in der Seele, zu kitzeln weiß. Diamanten auf den Zähnen und Jogginghose zu historischem Sound? Rosalía macht passend, was Traditionalisten skeptisch beäugen und wirkt dabei so souverän, dass man vor ihr direkt in die Knie gehen möchte.

Mit „Motomami" hat sie dieses Jahr ihr persönlichstes Album herausgebracht, auf dem sie Themen wie Isolation, Ängste, Feminismus und Selbstermächtigung verhandelt. Sie wurde unter anderem mit vier Latin-Grammys für die beste Produktion und das beste Album ausgezeichnet. Auf dem Cover trägt sie nichts außer einem Motorradhelm, der Albumname ist ein Kompositum, dass weibliche Verletzlichkeit und maschinelle Dynamik vereint.

© Columbia Records / Rosalía

Live übersetzt sie das Album in eben jenem Spannungsfeld: Menschlichkeit und Technik, sanfte Töne und Unbeugsamkeit, kühler Minimalismus und satte Fleischigkeit. Das Publikum ist Teil dieser Inszenierung: Die Bühne ist mit zahlreichen Kameras ausgestattet, vor den Augen aller entsteht ein beinahe zweistündiger Musikfilm. Schnitte und Perspektivwechsel sind spielend, man weiß nicht, wo man lieber hinschaut: Leinwand und Bühne sind gleichermaßen reizvoll.

Das Outfit der Musikerin besteht aus Strick und Leder, Motorrad-Cowgirl ohne allzu viel Härte. Sie macht wenige Ansagen, wirkt aber dennoch maximal nahbar, spätestens, als sie beim Hit „La Noche de Anoche" die Bühne verlässt und mit Selfie-Kamera ausgestattet mitten ins Publikum wechselt.

Die Frage, „Hablas español?", ist fast überflüssig: Natürlich verstehen die meisten an diesem Abend Spanisch, es scheint, als sei die gesamte spanische Community Berlins im Velodrom, um ihre Königin zu feiern. Und obwohl die Stimmung aufgeheizt ist, die ganze Zeit getanzt, gelacht, gekreischt wird (vor allem wenn die Sängerin zu twerken beginnt) - bei den ruhigen Tönen sind alle still. Sie hören Rosalía zu, wie sie eine ihrer Balladen singt und ihr dabei - ob echt oder gut geschauspielert ? - eine Träne über die Wange kullert.

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Mit ihrer Live-Show ist Rosalía ein exzellentes Erlebnis gelungen, jenseits von Feuerwerk und Konfettikanonen. Dafür aber eindringlich, intensiv und unterhaltsam, wohl akzentuiert und detailverliebt. Als sie die Show auf einem lächerlich kleinen E-Scootern beendet und damit ihre martialische Motorradmetaphorik selbst aufs Korn nimmt ist klar: Sie weiß auch wie man das Drama bricht. So geht großer Pop.

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