Der Mann, der an den heiligen Stätten des Islams baut, ist natürlich Muslim. Aber Schwabe. Sein Büro hat er in einem alten Fachwerkhaus in Leinfelden-Echterdingen, einem kleinen Ort ein paar Autominuten südlich von Stuttgart. Mustafa Rasch, 36, antwortet auf die Frage, was er in seiner Freizeit macht, tatsächlich: "Es wird geschafft, gegesse und geschlafe." Ein Klischee-Schwabe.
In Deutschland ist Mustafa Rasch kaum bekannt. In Mekka und Medina dagegen, in Pakistan, dem Senegal oder in Saudi-Arabien sorgt er mit seinen Bauten für Aufsehen. Sein Architekturbüro, die Firma SL Rasch, hat sich auf Leichtbaukonstruktionen spezialisiert, SL steht für "Special and Lightweight Structures". Die größte Zeltstadt der Welt, das größte wandelbare Dach, die größte Turmuhr - das sind ihre spektakulären Projekte.
Das jüngste Vorhaben sind gigantische Sonnenschirme für Mekka. Gemessen daran, was bei diesem Projekt gerade los ist, wirkt Mustafa Rasch, blau-weiß kariertes Hemd und grauer Anzug, tief entspannt. "Die machen alle Zwangsurlaub im Ritz", sagt er fast amüsiert zu einem seiner Mitarbeiter. Im November waren in Saudi-Arabien 381 Menschen wegen des Verdachts auf Korruption festgenommen worden. Prinzen, Geschäftsleute und Behördenvertreter wurden monatelang im Ritz-Carlton Hotel in Riad, der saudi-arabischen Hauptstadt, festgehalten. Inzwischen sind viele, aber nicht alle wieder freigelassen worden. Seit der Verhaftungswelle steht die Exekutive im Land still und blockiert alle Bauvorhaben. "Passiert häufiger in Saudi-Arabien", sagt Rasch lakonisch.
Sein Vater ist ein Alt-Hippie, der in den 1970er Jahren zum Islam konvertierteDie Riesenschirme lagern derweil im saudischen Wadi Ibrahim, einem der heißesten und schwülsten Gebiete der Erde - und warten darauf, aufgestellt zu werden. Sobald es endlich weitergehen kann in Saudi-Arabien, sollen sie das Gelände um die Kaaba, ein quaderförmiges Gebäude im Zentrum der Al-Haram-Moschee, der weltweit wichtigsten Pilgerstätte des Islams, verschatten. Die wird gerade aufwendig ausgebaut, damit künftig statt knapp einer Million Gläubiger, die sich dort alljährlich zum Hadsch, der Pilgerfahrt, einfinden, mehr als zwei Millionen hineinpassen.
So ein Schirm ist gigantisch: in 45 Meter Höhe sind über Teleskopstangen 53 mal 53 Meter Teflongewebe gespannt, ein halbes Fußballfeld. Der Schirm reflektiert 75 Prozent der Sonnenstrahlen und hält auch heftigem Wind stand. Im Keller des schwäbischen Fachwerkhauses steht ein wohnzimmergroßer Server mit 2500 Prozessorkernen, um auf den Computern oben im Büro die Belastung von Wüstenwinden zu simulieren. Ein normaler Bürorechner brauche für solche Berechnungen Wochen, sagt Rasch mit dem Stolz eines Nerds.
Im vergangenen Oktober, erzählt er, hätten sein Chefarchitekt und er dem Bürgermeister von Mekka, Osama Al-Bar, ihre neueste Idee präsentiert: eine Simulationssoftware, die das Verhalten von Menschenmassen vorausberechnet und wie in einem Film abbildet. Es ist schwierig für die Saudis, die stetig wachsenden Pilgerströme in den Griff zu kriegen. Erst vor drei Jahren brach in Mekka während des Hadsch eine Massenpanik aus.
Etwa 40 Ingenieure, Architekten, Informatiker und Designer arbeiten mit ihm. Läuft man durch die Gänge des Fachwerkhauses, schaut man in Gesichter aus aller Welt. Gesprochen wird vor allem Englisch. Überall stehen Ornamente, auf Glas gemalte Suren und Arabesken, islamisches Design. Der Haustheologe berät, wie Koran-Kalligrafie benutzt werden darf, wie man Suren trennt oder welche Ornamentik in eine Kuppel darf. Rasch sagt: "Bei uns wird nebeneinander Currywurst gegessen und gebetet." Die wieder einmal aufgeflammte Debatte darum, ob der Islam zu Deutschland gehöre, hat Rasch natürlich mitbekommen. Er sagt, man müsse zwischen Kultur und Religion trennen. Es sei richtig, dass Deutschland auf den Regeln und Gesetzen des Christentums aufbaue. "Letztendlich aber stammen alle drei Weltreligionen, Judentum, Christentum und zuletzt auch der Islam von Abraham ab." Da es diesen gemeinsamen Ursprung gebe, könne man auch guten Gewissens sagen, der Islam gehöre zu Deutschland.
Mustafa ist wie sein Vater gebürtiger Schwabe. Bodo Rasch, selbst Sohn eines Bauhaus-Architekten und Schüler von Frei Otto, der das Münchner Olympiastadion entworfen hat, fing einst mit kleinen, solarbetriebenen Fünf-Meter-Schirmen an. Genau so einer steht noch unweit vom Büro im Wispelwald, wo Mustafa aufwuchs: "Behütet und isoliert von der Welt", wie er sagt. Sein Vater, ein Alt-Hippie, war in den 1970er Jahren zum Islam konvertiert, begab sich auf Pilgerfahrt und heiratete Mustafas Mutter, eine muslimische Engländerin indischer Eltern. 2014 ist Bodo Rasch aus dem laufenden Geschäft ausgestiegen, und sein Sohn hat die Führung übernommen.