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Dachau: Geschäftsleute gegen Einbahnstraße

Von Shafia Khawaja, Dachau

Der 720er-Bus in Richtung Landratsamt zuckelt gemächlich die Augsburger Straße hoch - entgegen der Einbahnregelung. Ein entgegenkommender Pkw bremst abrupt ab und fährt an den Straßenrand. Der Kleinwagen kann sich gut an dem Bus vorbeischieben. Doch bei größeren Fahrzeugen ist Millimeterarbeit gefragt: In der Vergangenheit ist es deshalb schon häufiger zu Unfällen oder Staus gekommen. Seit der Einführung der Einbahnstraßenregelung im vergangenen Oktober dürfen Autos nur noch im Uhrzeigersinn von der Konrad-Adenauer-Straße bis zur Volksbank in der Augsburger Straße fahren. Die Stadt erhofft sich dadurch, die Altstadt attraktiver zu gestalten und den Durchgangsverkehr zu unterbinden.

Fahrradfahrer und Busse sind von der Regelung ausgenommen: Die Linien 720 und 722 dürfen weiterhin in beide Richtungen fahren. Dadurch soll der Nahverkehr in Dachau attraktiv bleiben und die Verkehrswende vorangetrieben werden. Im Stadtrat sorgte die Sonderregelung zuletzt für Diskussionen: Im Mai 2021 stellte die CSU-Fraktion einen Antrag an die Stadtwerke zu prüfen, wie sich eine Ausweitung der Einbahnregelung für Busse auswirken würde. Die Ergebnisse wurden nun im Umwelt- und Verkehrsausschuss vorgestellt: Alle Alternativen zur Verlegung der Ringbuslinien würden die Attraktivität des Nahverkehrs verschlechtern. Fahrgäste müssten mehr Zeit einplanen oder in eine andere Buslinie umsteigen, um in die Altstadt zu kommen. Der Beschluss des Umwelt- und Verkehrsausschusses lautet daher: Alles bleibt so, wie es ist.

Die CSU zeigt sich darüber enttäuscht: So wie die Situation jetzt sei, sei sie "nichts Halbes und nichts Ganzes". Aktuelle Fahrgastzählungen zeigen aber: Das Bussystem funktioniert. Im Dezember 2020 wurde die Taktung der Buslinien 720, 722 und 726 von 20 Minuten auf 10 Minuten verdichtet. Trotz Corona-Pandemie nutzen seitdem mehr Menschen diese Buslinien - das Fahrgastaufkommen hat sich um mehr als 20 Prozent gesteigert. Angesichts dessen stimmen die Stadträte - mit Ausnahme der CSU - dafür, das bestehende Bussystem nicht zu ändern. Die ÜB brachte den Vorschlag ein, über die Einbahnstraße hinaus eine verkehrsberuhigte Zone am Rathaus einzuführen. Im Oktober endet die Probephase für die Einbahnregelung - dann entscheidet der Stadtrat neu.

Anwohner und Geschäftsleute sind jetzt schon unzufrieden. So auch Beate Stapfer, Filialleiterin des Kaufhauses Rübsamen: "Wenn ich nur schnell etwas besorgen muss, fahr ich nicht noch einmal um die ganze Stadt." Die Einbahnregelung stelle neben der Pandemie und 2-G-Regelung eine zusätzliche Belastung für das Geschäft dar. Stapfer ist genervt: "Das ist ein Wahnsinn! Wenn ich morgens zur Arbeit fahre, muss zehn bis 15 Minuten mehr Fahrzeit einplanen. Ich muss über die Mittermayerstraße ausweichen. Manchmal staut es sich zurück bis zum Krankenhaus." Von der Mittermayerstraße aus dürfen Autos noch bis zur Einfahrt der Parkgarage bei der Volksbank fahren. Danach hindert sie ein Verkehrszaun und ein großes, grellgelbes Schild mit der Aufschrift "Stopp" am Weiterfahren. "Grottenhässlich", findet der Juwelier Ludwig Stöckl. "Das ist ein Schilderwald par excellence. Das schaut so was von grauslich aus", ruft er empört. Seit 40 Jahren betreibt er sein Geschäft in der Augsburger Straße. Seiner Ansicht nach ist die Einbahnstraße "Unsinn", sie mache die Altstadt kaputt.

Bereits 2003 testete die Stadt eine Einbahnregelung für den Altstadtberg. Diese verlief vom östlichen bis zum westlichen Ende der Gottesackerstraße und sollte den Verkehr beruhigen. Die Testphase wurde auf Drängen der Dachauer Geschäftsleute - allen voran Ludwig Stöckl - nach sechs Monaten wieder abgebrochen. Auch diesmal setzt Stöckl alles daran, die Einbahnregelung zu stoppen. Sie sei "Schikane", schimpft er. "Man signalisiert dem Besucher: Bleib draußen, bleib weg oder fahr kompliziert rum, wenn du zu mir willst." Der Argumentation der Stadt, die Einbahnstraße erhöhe die Attraktivität der Altstadt, kann der Juwelier nicht folgen: "Ich weiß nicht, wie man auf solche hanebüchenen Ideen kommt, dass man die Attraktivität verbessert, indem man den Kunden den Weg zur Stadt erschwert."

Der Juwelier hat bereits im November und Dezember 2021 zwei offene Briefe an Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) verfasst und bis zum jetzigen Zeitpunkt knapp 260 Unterschriften gesammelt. Nun hat er Klage eingereicht. Am 5. November ging außerdem ein Eilantrag beim bayrischen Verwaltungsgericht ein. Eine reguläre Bearbeitung könnte zehn bis 14 Monate dauern - länger als die Probephase für die Einbahnregelung überhaupt angelegt ist. Stöckl hofft, dass sich ein Richter oder eine Richterin innerhalb der nächsten zwei Monate seines Antrags annimmt.

Die Stadt hatte Anwohner und Geschäftsleute vor Einführung der Regelung gefragt, wie sie zu einer Einbahnstraße stehen. 59 Prozent stimmten für die neue Verkehrsführung. Viele Anwohner erhofften sich dadurch weniger Verkehr und Lärm. Die Rücklaufquote lag aber nur bei 35 Prozent, das heißt nur 170 der 820 befragten Haushalte und Gewerbetreibenden stimmten ab. "Diese Umfrage war nicht repräsentativ", sagt Juwelier Stöckl.

Auch in der inneren Brucker Straße gilt seit 3. Dezember 2021 eine Einbahnregelung. Autos dürfen seitdem nur noch von der Bäckerei Wörmann in Richtung Landratsamt fahren. Genau wie in der Altstadt gilt die Regelung probeweise für ein Jahr. Die Fraktionen von Grünen und Bündnis/Linke stimmten für eine dauerhafte Einbahnregelung in der Brucker Straße, konnten sich damit aber nicht durchsetzen. Christian Aschbichler wohnt in der Brucker Straße. Die neue Regelung ärgert ihn: Die Brucker Straße lade zum Schnellfahren ein. Geisterfahrer würden trotz Einbahnstraße in die falsche Richtung fahren. "Erst kürzlich ist mir wieder jemand entgegengekommen", erzählt er.

Die neue Regelung ist für ihn mit mehr Zeitaufwand und Spritkosten verbunden: Um in die Altstadt zu kommen, müsse er einmal außen rumfahren. "Früher war es ein Miteinander. Jetzt ist es ein Gegeneinander. Jetzt wird gerast und niemand nimmt mehr Rücksicht", kritisiert Aschbichler. Die neue Regelung sei außerdem gefährlicher für Schulkinder: "Laut Stadtrat wurde die Einbahnregelung zum Schutze der Kinder, die in die Klosterschule gehen, eingeführt. Aber die Kinder rechnen doch nicht damit, dass hier Geisterfahrer rauskommen."

Nach Ablauf der zwölfmonatigen Probephase entscheiden die Stadträte endgültig, ob die Einbahnstraße bleibt oder nicht. Im jüngsten Umwelt- und Verkehrsausschuss wurde bereits über eine Erweiterung der Altstadt zu einer Fußgängerzone nachgedacht. Ob sich die Maßnahme bewährt hat, werden die Ergebnisse von Verkehrszählungen vor und nach Einführung der Einbahnregelung zeigen.

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