Moleküle, Computer und bruchfeste Spaghetti: Was Absolventen beim Berufseinstieg in der Ernährungsbranche erwartet
ZEIT Campus: Herr Buckenhüskes, Naturwissenschaftler und Ingenieure experimentieren mit Essen aus dem 3-D-Drucker und mit Fleisch, das im Labor gezüchtet wird. Welche dieser Lebensmittel werden künftig auf unserem Tisch landen?
Herbert Buckenhüskes: Einiges wird sich durchsetzen, aber nicht alles. Letztlich muss der Konsument die Innovationen auch annehmen. Und das ist oft ein heikler Punkt.
ZEIT Campus: Warum?
Buckenhüskes: Man könnte etwa organische Verbindungen aus Erdöl essbar machen, aber das will niemand. Auch Insekten, die sehr nahrhaft sind, finden die meisten Deutschen ekelig. Doch wenn die Weltbevölkerung weiter wächst, gehen uns ab 2030 die Rohstoffe aus, und wir müssen auf Alternativen umsteigen.
ZEIT Campus: Welche Themen beschäftigen Sie sonst noch?
Buckenhüskes: Die Lebensmitteltechnologie verändert sich gerade. In der Vergangenheit war es die Hauptaufgabe, Lebensmittel haltbar zu machen. Das wird auch künftig so sein. Doch es kommen weitere Aufgaben dazu: Wir müssen uns etwa mit der molekularen Struktur der Lebensmittel beschäftigen.
ZEIT Campus: Was heißt das?
Buckenhüskes: Wenn wir wissen, was chemisch, physikalisch oder biochemisch bei der Erzeugung passiert, können wir die Produkte verbessern.
ZEIT Campus: Zum Beispiel?
Buckenhüskes: Lange Zeit wurden Spaghetti bei der Herstellung so getrocknet, dass eine hohe Spannung in den Nudeln entstand. Dadurch brachen sie schnell. Als man die Struktur der Spaghetti näher analysierte, hat man erkannt, dass der Fehler beim Trocknen lag. Luftfeuchtigkeit, Temperatur und Luftführung wurden verändert, nun brechen Spaghetti kaum noch, und man spart auch Energie in der Produktion.
ZEIT Campus: Was müssen angehende Lebensmitteltechnologen alles wissen?
Buckenhüskes: Sie müssen Allrounder sein und nicht nur technisches Wissen haben, sondern auch ethisches, wirtschaftliches und rechtliches. Wir beschäftigen uns etwa damit, ob ein Soja-Schnitzel wirklich "Schnitzel" heißen darf, obwohl es kein Fleisch ist. Und ob Kokosmilch die Bezeichnung "Milch" tragen darf, obwohl sie nicht der Definition in der Milchverordnung entspricht. Und man muss mit allen Beteiligten, vom Bauern bis zum Konsumenten, reden können und teamfähig sein.
ZEIT Campus: Wird auch die Zusammenarbeit mit Mathematikern oder Informatikern wichtiger?
Buckenhüskes: Mathematiker und Statistiker können die Arbeit von Lebensmitteltechnologen unterstützen. Wenn man etwa in der Produktentwicklung statistische Modelle anwendet, braucht man weniger Versuche, um zum gleichen Ergebnis zu kommen. Oder man kann mit dem Computer ganze Produktionsprozesse simulieren und den Energie- und Wasserverbrauch berechnen, um so ressourcenschonender zu arbeiten.
ZEIT Campus: Sie haben Lebensmittel einmal als Hightechprodukte bezeichnet. Wie meinen Sie das?
Buckenhüskes: Lebensmittel sind Hightech in dem Sinn, dass wir für ihre Herstellung alles, was wir über sie wissen, im Blick haben müssen. Nur so kann man die Produktion überall entsprechend optimieren und Lebensmittel nach den zunehmenden Wünschen der Verbraucher entwickeln.
ZEIT Campus: Viele erschrecken vermutlich, wenn sie hören, dass Essen nicht natürlich, sondern Hightech ist.
Buckenhüskes: Wenn wir mehr über Lebensmittel wissen, können wir bei deren Herstellung zum Beispiel auf Zusatzstoffe verzichten. Natürlichkeit und Technologie müssen also gar kein Widerspruch sein.
Prof. Dr. Herbert Buckenhüskes, 63, ist Präsident der Gesellschaft Deutscher Lebensmitteltechnologen.
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