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Ausweitung der Kampfzone

Thomas Seibert, Sebastian Weiermann Mehr als 20 Tote gibt es bereits. Täglich kommt es zu Schlachten auf den Straßen der Türkei. Angesichts der Belagerung von Kobane warnen Beobachter vor einem „allumfassenden Krieg" zwischen Kurden und der Terrormiliz IS. Einem Krieg, der Wunden reißt - auch in Deutschland. Warum Kobane für die Kurden so wichtig ist

In Istanbul sagt Mahmut Cakan, er habe neue Tumulte verhindern und Kurden und Türken trennen wollen, doch die Polizei habe zugeschlagen. Die setze in Esenyurt inzwischen scharfe Munition ein, sagt ein Kurde im Parteibüro. Wasserwerfer, Tränengas, gepanzerte Fahrzeuge und Hubschrauber gehören ohnehin zu den Polizeieinsätzen.

Draußen in den Straßen um das BDP-Büro hat nicht jeder Verständnis für den Kurdenaufstand. Wo Cakan Widerstand sieht, sehen seine türkischen Mitbürger nur Zerstörungswut. „Alles haben die in Stücke gehauen, schauen Sie sich doch um", ruft der Schuhputzer Mehmet entrüstet. Er hat seinen Kasten mit Putzmitteln und die Hocker für seine Kunden vor den eingeschlagenen Scheiben eines Motorradgeschäfts aufgestellt. Bei den Straßenschlachten sollen auch Geschäfte geplündert worden sein. „Was hat denn der Besitzer von einem kleinen Krämerladen mit Kobane zu tun?", schimpft ein Passant. Auch Präsident Recep Tayyip Erdogan im fernen Ankara erklärt, der Kampf um Kobane werde als Vorwand für Vandalismus benutzt.

Mehr als 20 Menschen sind schon ums Leben gekommen

Insgesamt kamen bei den Kobane-Unruhen in der Türkei diese Woche 22 Menschen ums Leben. Die meisten wurden erschossen, vier sollen gelyncht worden sein, drei verbrannten.

Kobane ist zu einem Symbol geworden. Im BDP-Büro von Esenyurt wird für die Stadt gesammelt, Pakete mit Babywindeln und Keksen, Säcke mit Bulgur stapeln sich in einem Zimmer. „Kobane ist sehr wichtig für uns", sagt Cakan. Die türkische Regierung sehe beim Angriff des IS auf Kobane untätig zu, weil sie die Rojava-Autonomie zerschlagen wolle. „Wenn Kobane fällt, dann heißt das, dass auch wir Kurden in der Türkei keine Chance mehr haben."

Cakans Biografie zeigt, warum viele Kurden so denken. Als junger Mann musste er mit seiner Familie das Heimatdorf im ostanatolischen Mus verlassen. Damals, in den frühen 1990er Jahren, ging der türkische Staat unbarmherzig, teils mit illegalen Hinrichtungen und der Zerstörung ganzer Ortschaften, gegen mutmaßliche PKK-Anhänger vor.

Seine Familie fand ein neues Zuhause in Istanbul, doch Cakan geriet bald in den Verdacht der PKK-Mitgliedschaft und verbrachte zwischen 1995 und 2012 insgesamt zwölf Jahre im Gefängnis. „Ich hatte nicht einmal Zeit, eine Familie zu gründen", sagt er. Tiefe Furchen durchziehen sein Gesicht. Die Jahre im Gefängnis haben ihn vorzeitig altern lassen. „Ich bin mit der Bewegung verheiratet."

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