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Clubhouse - wie ich in den Sog eines neuen sozialen Netzwerks geriet

Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich ein "Early Adopter". Dabei hatte ich mich gesträubt. Eine App, in die man nur mit Einladung reinkommt? Fand ich schnöselig. Von "Clubhouse" hatte ich zwar gehört. Eine Mischung aus Facebook und Podcasts. Man kann sich in virtuellen Räumen treffen, zu Diskussionen oder einfach zum Quatschen. Aber wie genau sollte das funktionieren?

Als mich ein Freund fragte, ob ich eine Einladung will, habe ich trotzdem ja gesagt. Und abends, beim Homeworkout, war ich plötzlich drin. Ich weiß noch, dass ich gerade die Hanteln absetze, als eine Push-Benachrichtigung von Clubhouse aufpoppte. Ich drückte drauf und war Teil eines virtuellen Panels - als Redner.

Völlig ungeplant "On Air"


Ein Berliner Galerist hatte mich eingeladen, , es war ein Versehen, er hatte die App noch nicht verstanden. Trotzdem hörten uns etliche Leute zu. Je länger wir quatschen, desto mehr wurden es. Irre, dachte ich. Und kam mir auf einmal so gefragt vor. Im Lockdown hatte ich ganz vergessen, wie sich das anfühlt. Leute schrieben mir, wie toll sie das Gespräch fanden. Und am nächsten Tag sollte ich schon im nächsten Panel meine vermeintliche Expertise ausbreiten. Ich war angefixt. Aber wovon eigentlich, was ist dieses Clubhouse überhaupt?

Im Netz kursiert die Bezeichnung "Social Audio App". Im Grunde ist Clubhouse ein durchgängiger Podcast, bei dem ich nicht nur zuhören, sondern mich selbst zu Wort melden kann, indem ich virtuell die Hand hebe.

Drinnen im Club: Stammtische und Gottschalk

Öffne ich die App, ist da eine Liste mit sogenannten "Rooms", virtuellen Tagungsräumen. In jedem finden Podiumsdiskussionen statt. Die Teilnehmerzahl variiert von ein paar Dutzend bis zu mehreren Tausend Zuhörern. Mir wird das Diskussionsthema angezeigt, wer das Panel moderiert und wer als Redner teilnimmt. Sobald ich einem Raum beitrete, höre ich das Gespräch, das gerade stattfindet. Die Diskutanten sehe ich nicht, nur ihre Profilbilder. Ich kann die Audio-Panels nicht zu einer beliebigen Uhrzeit oder mehrmals anhören – das ist der Unterschied zu Streamingdiensten wie Spotify. Clubhouse ist die Rückkehr zum linearen Programm. 


Sonntagnacht etwa diskutierten Nutzer über "Anne Will", ein virtueller Stammtisch. Am Tag drauf referierte SPD-Chefin Saskia Esken über Frauenförderung. Am Dienstag versuchte über eine halbe Stunde hinweg Digital-Experte Sascha Lobo TV-Legende Thomas Gottschalk ins gemeinsame Panel zu holen. Als der dann endlich drin war, erreichte die Runde als erste deutschsprachige Veranstaltung auf Clubhouse die Begrenzung von 5000 Zuhörern. Mehr dürfen nicht rein, womöglich damit die Verbindung nicht zusammenbricht.  


In seinen besten Momenten hat die App etwas von der "Factory", Andy Warhols legendärem Künstleratelier, die Türen zu den Clubhouse-Rooms sind offen, jeder User kann reinlaufen, ist eingeladen mitzumachen. Wenn’s schlecht läuft, sind die Panels einfach nur unorganisiert und alle quatschen durcheinander. Ohne Zweifel ist der Lockdown, in dem wir uns gerade befinden, der Grund, warum die App so erfolgreich läuft. 


Wie kam die Clubhouse-Lawine ins Rollen?

Die Sache hat aber einen großen Haken: Der Club hat eine strenge Tür. Rein komme ich nur mit Einladung. Jeder Clubhouse-Nutzer hat aber nur zwei davon. Daran werden Freundschaften zerbrechen, vielleicht sogar Familien. Ich sehe es kommen. Na gut, vielleicht übertreibe ich an der Stelle ein bisschen.


In den USA gibt es die App bereits seit vergangenem Frühjahr. Wer hat in Deutschland die Clubhouse-Lawine ins Rollen gebracht? Und warum gerade jetzt? Im Netz kursieren zwei Namen: Phillip und Phillip. Urheber des Clubhouse-Hypes sollen die beiden Tech-Experten, Podcaster und Investoren Philipp Glöckler und Philipp Klöckner sein. Ein Anruf bei Klöckner: "Richtig", sagt er. Er und sein Partner seien mit die ersten Deutschen auf Clubhouse gewesen. Gemessen am aktuellen Hype komme ich mir vor, als würde ich mit dem ersten Deutschen auf dem Mond sprechen.

Klöckner klärt mich auf: Die beiden seien schon vor zwei Wochen auf Clubhouse aufmerksam geworden. Sein Partner habe eine Einladung erhalten und dann ihn eingeladen. Sie hätten auch sofort ein Panel gestartet. Allerdings mit nur zwölf Zuhörern. Klar, die meisten Deutschen hatten bis dahin keine Einladung erhalten, woher auch. Und weil sich die App noch in der Testphase befindet, wäre es den Machern wohl auch recht gewesen, dass das so bleibt.

Die ersten Deutschen

Phillip und Phillip hatten andere Pläne. Sie richteten einen Telegramm-Channel ein, starten eine "Einladungskette", wie Klöckner es nennt: Sie stellten ihre verbliebenen Einladungen zur Verfügung. Wer sich bediente, musste garantieren, dass er seine Einladungen auch wieder in die Gruppe postet. Klöckner schätzt, dass die ersten 2000 deutschen Nutzer auf die beiden zurückgehen. 


Bislang sind überwiegend Vertreter der Tech-, Medien- und Marketingbranche im Clubhouse, dazu ein paar trendbewusste Politiker. Andere finden Clubhouse viel zu elitär, eine weitere Blase in unserer fragmentierten Öffentlichkeit. Kein Lagerfeuer, an dem sich alle wärmen. Sondern eine Wunderkerze, die wie ein Staffelstab weitergereicht wird. Dabei hat die rigorose Einladungspolitik auch etwas Gutes, wie ich finde: Im Vergleich zu anderen sozialen Medien ist die Gesprächskultur auf Clubhouse angenehm und gemäßigt. Die Nutzer wahren eine digitale Etikette und kontrollieren gegenseitig ihre Einhaltung. Unter den sozialen Netzwerken ist Clubhouse für mich im Moment das einzig wirklich soziale. Und je länger ich dabei bin, desto mehr "normale Leute" kommen auch dazu.


Umsatz und Datenklau

Diese Einladungspolitik ist aber auch Marketing. "Die App ist ja erstmal nur für Besitzer eines iPhone zugänglich", sagt Felix Haas, einer, der sich mit Digitalmarketing auskennt. Der 39-jährige Unternehmer veranstaltet "Bits&Pretzels", Europas größtes Gründerfestival. Dort versammelt sich jedes Jahr die Szene. Haas erklärt: "Die Gruppe der potentiellen Clubhouse-Nutzer ist  ziemlich exklusiv: Nur knapp 20 Prozent der Deutschen haben ein iPhone. Künstliche Verknappung erzeugt Begehrlichkeit, der Trick ist nicht neu."


Das sei aber nicht alles: Die App-Entwickler setzten auf das, was man in der Software-Sprache den "Magic Moment" nenne. "Im Falle von Clubhouse heißt das: Du meldest dich an und hast sofort das Gefühl, unter Freunden zu sein", sagt Haas. Die App greift auf dein Telefon-Adressbuch und deine Twitterkontakte zu. Dadurch kann dir der Algorithmus sofort Kontakte vorschlagen, denen du folgen kannst. Und umgekehrt wird deinen Kontakten angezeigt, dass du dich angemeldet hast." Haas nennt das "ziemlich aggressives Onboarding".


Verdient Clubhouse so sein Geld – mit unseren Daten? Noch mache Clubhouse keinen Umsatz, sagt Haas, es sei aber nur eine Frage der Zeit, bis Werbung geschaltet werde. Noch ein anderes Szenario hält Haas für möglich: Dass die App vom Streaming-Riesen Spotify geschluckt werde. "Für Podcast-Anbieter wie Spotify ist Clubhouse eine Riesen-Konkurrenz. Vielleicht aber startet Spotify auch einfach seine eigene Plattform."

Was Felix Hass "agressives Onboarding" nennt – wie bezeichnen das Datenschützer? Ein Anruf bei der Berliner Datenschutzbehörde. Die Pressesprecherin wiegelt ab: Aufgrund der vielen aktuellen Datenschutzfragen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sei man im Moment an der Kapazitätsgrenze. Eine Stellungnahme zu Clubhouse gibt es vorerst nicht. 


Wie in einer Sekte 

Was macht die App in der Zwischenzeit? Sie füttert mich. Drei neue Einladungen zum Verschicken habe ich bekommen. Denn ich habe an drei Panels als Speaker teilgenommen. Ein bisschen fühle ich mich wie in einer Sekte. Für meinen Einsatz belohnt mich die App damit, dass ich mehr neue Leute rekrutieren darf. 

Meine Anhängerschaft steigt derweil stetig, ich bin schon bei über 300. Ich frage mich: Was ist mit den Leuten, die auf Instagram und Co. große Namen sind, die damit Geld verdienen? Louisa Dellert ist politische Influencern, die 31-jährige lebt in Berlin. Über Instagram erreicht sie fast 450.000 Menschen. Als Influencerin ist ihre Währung Aufmerksamkeit. Was, wenn sich die ganze Aufmerksamkeit auf einmal zu ClubHouse verschiebt? Hat Dellert das Gefühl, ungewollt in einen Wettlauf reingeworfen worden zu sein?


"Wenn so eine neue App auftaucht, fühle ich mich erstmal mächtig unter Druck", sagt sie. "Wir alle kennen ja das Gefühl: Puh, jetzt kommt da noch so eine Sache, die meine Aufmerksamkeit braucht."  Clubhouse links liegen lassen – das kommt für sie allerdings auch nicht in Frage. "Wäre ich nicht auf der App, hätte ich das Gefühl, etwas zu verpassen. Gleichzeitig stört mich genau das: Dass diese App Begehrlichkeit weckt, indem sie extrem viele Menschen ausschließt."


Der Großteil der Menschen, die Dellert auf den sozialen Medien folgt, ist unter 30 Jahren, viele davon haben kein teures iPhone. Von ihrer Followerschaft bekommt Dellert signalisiert: Schön, dass du uns davon berichtest, Louisa, aber wir kommen da nicht rein. Dennoch profitiert Dellert bei Clubhouse von der Reichweite auf den anderen Kanälen. Sie ist erst seit fünf Tagen dabei, seither hat sie nicht nur an unzähligen Panels als Rednerin teilgenommen, sondern inzwischen folgen ihr schon 20.000 Leute.


Wird Clubhouse die Welt verändern?

Allmählich wird mein Leben anstrengend. Wegen der ganzen spätabendlichen Panels verschiebt sich meine Schlafenszeit immer weiter nach hinten. Letzte Nacht wieder zwei. Mein neues Lebensmotto lautet: Never not clubbing. Frage mich aber: Verpasse ich wirklich was, wenn ich nicht auf Clubhouse bin? Gleichzeitig starten immer mehr meiner Freunde eigene Panels. Und ständig schickt mir Clubhouse Benachrichtigungen, ob ich nicht daran teilnehmen will. 


Werden wir in Zukunft auf dem Weg zur Arbeit, auf dem Fahrrad, im Fitnessstudio  Clubhouse hören? Oder verschwindet die App wieder so schnell, wie sie aufgetaucht ist, nämlich dann, wenn der Lockdown endlich vorbei ist?  Ich frage einen Medienwissenschaftler: Professor Marcus S. Kleiner von der SRH Berlin University of Applied Sciences. Er hat erst ein Buch geschrieben über Streamingdienste und wie sie unsere Realität beeinflussen: Streamland. Wird Clubhouse unsere Welt im selben Maß verändern wie Facebook, Instagram und Co.?


"Das wird davon abhängen, wie sehr die Diskurse auf Clubhouse in die reale Welt überschwappen und unserer Öffentlichkeit beeinflussen", sagt Kleiner. Viel größer als den Einfluss von Clubhouse auf die reale Welt sieht Kleiner den Einfluss der App auf andere Netzwerke. "Momentan bildet Clubhouse noch einen riesigen Kontrast zu sogenannten 'asozialen Medien'." Kleiner meint Twitter und Co., die üblichen Verdächtigen mit ihrem rauen Umgangston. "Wenn Clubhouse erfolgreich ist, dann werden die anderen sozialen Medien an ihrem Image arbeiten müssen, indem sie die Verhaltensweise ihrer Nutzer stärker regulieren. Dann hat es vor allem einen Einfluss auf das digitale Miteinander im Netz. Damit würde Clubhouse der Menschheit einen Riesendienst erweisen, ohne unsere Realität zu beeinflussen."


Die andere Vision ist, denke ich mir: Mit dem Wachstum werden auch jene Scharfmacher und Verschwörungstheoretiker zu Clubhouse kommen, die auch die anderen Netzwerke bevölkern. Panels zu "Warum Corona nicht gefährlich ist" – ist das wirklich so unwahrscheinlich? Eines zumindest beruhigt mich ein wenig, das habe ich gleich zu Anfang gecheckt. Donald Trump ist nicht auf Clubhouse. Oder genauer: Noch nicht. 

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