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Selbstvermarktung: Wie junge Kunstschaffende Instagram für sich nutzen

Gesellschaft Selbstvermarktung

Wie junge Kunstschaffende Instagram für sich nutzen

Jungen, kommerziellen Künstlern wie Tim Bengel oder Marius Sperlich hat die Foto-App Instagram auch ohne Kunststudium zu einer Karriere verholfen. Weil sie gleichzeitig Showroom, Karrieresprungbrett und Verkaufskanal ist. Die Kunst selber rückt dabei in den Hintergrund.

Vergangene Woche teilte Tim Bengel in einer Instagram-Story ein Foto von sich, das ihn neben Tesla-Chef Elon Musk zeigt. Der Techunternehmer aus den USA war zu diesem Zeitpunkt gerade auf Deutschlandreise und hatte einen Termin bei einem Impfstoffhersteller in Tübingen. Bengel hatte zur selben Zeit eine Kunstausstellung in einem Designer-Outlet-Center im nur wenige Kilometer entfernten Metzingen.

Auf Nachfrage enttarnte der Künstler das Foto als gekonnte Fotomontage, ein Marketingcoup für seine aktuelle Ausstellung. Der ein oder andere Follower hätte das Foto aber durchaus für echt gehalten. „Ehrlich gesagt habe ich nicht damit gerechnet, dass man es für wahrscheinlich halten würde, dass Musk meinetwegen nach Metzingen kommt", so Bengel. So ganz unbekannt ist er aber eben auch nicht mehr. Knapp 325.000 Follower zählt er auf der Plattform Instagram - für einen bildenden Künstler eine beeindruckende Zahl. Zu Bengels Netzwerk zählen zahlreiche Profifußballer und Ex-Fußballstars, Kevin Kurányi zum Beispiel oder Bayern-Torhüter Manuel Neuer, genauso wie ProSieben-Moderator Daniel Aminati oder Sänger Max Herre.

Die App scheint wie auf den Konsum von Kunst zugeschnitten

Seine Popularität verdankt Bengel einem Video, das er vor ein paar Jahren auf Facebook teilte. Es zeigt ihn in seinem 16-Quadratmeter-Jugendzimmer bei der Herstellung eines seiner Bilder. Da war er 24 Jahre alt, ein Autodidakt, der nie eine Kunsthochschule besucht hat, dafür aber eine Ausbildung zum Herrenschneider und ein Gesundheitsmanagement-Studium abgebrochen hatte. Die US-Nachrichtenseite „Business Insider" griff das Video auf, anschließend wurde es tausendfach geteilt und Bengel berühmt. Es zeigt, wie der 29-Jährige eines seiner Schüttbilder kreiert. Dafür schießt er Fotos von Landschaften, Stadtansichten, der Natur oder Menschen und paust die Motive mit Industriekleber auf Alu-Dibond-Platten ab. Dann streicht er Sand auf den Kleber und setzt Akzente mit Blattgold. Wenn er das Bild aufrichtet, rieselt der überschüssige Sand herunter. Seine Werke kosten inzwischen bis zu 80.000 Euro.

Die sozialen Medien, insbesondere Instagram, haben den Kunstmarkt revolutioniert: Für bildende Künstler ist die Foto-App Showroom, Karrieresprungbrett und Verkaufskanal zugleich. Sie hat damit drei Aufgaben übernommen, für die früher im wesentlichen Galerien zuständig waren. Die App scheint wie auf den Konsum von Kunst zugeschnitten, weil der Fokus auf dem Visuellen liegt und weil das, was beim Durchscrollen des Feeds im Gedächtnis hängen bleiben soll, irgendwie prägnant sein muss. So wie Kunst eben.

Durch Instagram haben junge Kunstschaffende heute also im Prinzip alle Möglichkeiten, ihre Kunst einem weltweiten Publikum anzubieten und im besten Fall sogar zu verkaufen, egal ob sie in der Kunstmetropole Berlin leben oder wie Bengel ihre schwäbische Heimat nie verlassen haben. Vor allem aber macht die Plattform auch denjenigen Kunst zugänglich, die niemals auf die Idee kommen würden, eine Galerie oder eine Ausstellung zu besuchen. Mit ihren Werken beweisen Instagram-Kunstsuperstars wie Bengel, Paul Schrader oder Alexander Höller, dass Kunst auch die breite Masse anspricht. Nicht nur eine Elite, die sie sich leisten und sie verstehen kann. Und so hat die Fotoplattform bereits vielen Kreativschaffenden auch ohne Kunststudium zu einer Karriere verholfen. Ausschlaggebend für ihren Erfolg ist dabei jedoch nicht immer die Kunst an sich.

Vegane Sneaker als kostengünstige Alternative zu den Bildern

Bengel ist vor allen Dingen ein genialer Selbstvermarkter. Als er im Juni in der Galerie von Johann König ausstellte, der in der ehemaligen Kirche St. Agnes eine Kunstmesse als Ersatz für die ausgefallene Art Basel initiiert hatte, inszenierte der Künstler sich auf Instagram so, als hätte er eine Einzelausstellung bei dem Berliner Stargaleristen. Um ein Ankündigungsvideo für seinen Kanal zu drehen, reiste er extra mit einem privaten Kamerateam nach Berlin. „Eternal Life", das Bild, das Bengel auf der Messe anbot, war am Preview-Tag „nur zwei Minuten nach der Eröffnung verkauft", so Bengel.

Die Käuferin verlinkt er anschließend wenig diskret direkt auf einem seiner Posts. In diesem Fall die aus dem Fernsehen bekannte Unternehmerin und Digitalexpertin Verena Pausder. Teilt sie den Post mit ihrer Followerschaft, verleiht ihm das möglicherweise mehr Aufmerksamkeit und mitunter gesteigertes Ansehen intellektueller Kreise, von denen er bislang eher verkannt oder auch belächelt wird. Es ist eine bunte Mischung an Käufern, die Bengels vorzuweisen hat: Udo Schloemer, Gründe der Factory, Berlins angesagtem Büroareal, gehören dazu, genauso wie Aldi-Witwe Babette Albrecht. Bengel bedient aber auch die Klientel, die sich seine Kunst noch nicht leisten kann. Für den Schuhhersteller Sioux hat er vegane Sneaker designt als kostengünstige Alternative zu seinen Bildern.

Parallel zur diesjährigen Art Week in Berlin findet die von König initiierte „Messe in St. Agnes" aktuell bereits zum zweiten Mal statt. Wieder lädt der Galerist lnstagram-Stars dazu ein, neben international anerkannten Künstler auszustellen. Er wagt damit ein mutiges Experiment. Leicht könnte man ihm zum Vorwurf machen, die Gatekeeper-Funktion, die große Galerien wie seine noch immer besitzen, zugunsten möglichst hoher Besucherzahlen zu opfern, die Social-Media-Stars in der Regel nun mal garantieren. De facto agiert König vorausschauender als die Konkurrenz, weil er erkannt hat: Die Lifestylebranche hat Influencer längst als Protagonisten in ihre Reihen aufgenommen. Wie lange der Kunstbetrieb die Mitbestimmungskultur des Internets auf Distanz halten kann, wenn doch eigentlich längst der Marktwert entscheidet, wobei es sich um Kunst handelt, ist nur noch eine Frage der Zeit.

Anstelle von Bengel ist aktuell Marius Sperlich bei der „Messe in St. Agnes" als Enfant terrible dabei. Sperlich fertigt Großaufnahmen einzelner Körperteile an, die er anschließend künstlerisch verfremdet. Knallrote, pralle Lippen werden so zu einem Schlauchboot, in das er Miniaturfiguren setzt. Auch ihm gelang der künstlerische Durchbruch in den sozialen Medien: Anfang 2017 teilte Pop-Ikone Madonna eine seiner Fotografien auf ihrem Instagram-Kanal: die Nahaufnahmen eines weiblichen Intimbereichs, die Schamhaare in Form des ikonischen Nike-Zeichens rasiert. Sperlichs Followerzahl wuchs nach dem Post rasant an. Heute knapp dreieinhalb Jahre später hat der 28-jährige Künstler aus Berlin über eine halbe Million Follower und steht im Ranking der meistgefolgten Kunststars auf Instagram ganz weit oben.

An eine Galerie will und muss er sich nicht binden

Seine Fotografien beeinflussen Kreative auf der ganzen Welt. Auch Sänger Chris Brown hat sich bei den Motiven von Sperlich für eines seiner Musikvideos bedient - allerdings ohne auf dessen Urheberschaft hinzuweisen. Sperlich nutzte seine digitale Bühne und stellte die Standbilder aus dem Musikvideo seinen Originalen gegenüber. Der Shitstorm, den Chris Brown daraufhin erntete, verdeutlicht, wie enorm der Einfluss eines bis vor wenigen Jahren noch gänzlich unbekannten Kunstquereinsteigers durch die sozialen Medien inzwischen sein kann.

Ursprünglich hat Sperlich Kommunikationsdesign studiert und danach als freier Art Director gearbeitet. Seit zwei Jahren nimmt er keine Aufträge mehr an, sondern lebt von seiner Kunst. Genauer gesagt von Kunstdrucken seiner Instagram-Posts, die je nach Format mehrere Tausend Euro kosten. Wer ein Werk erstehen will, muss allerdings zunächst Sperlichs E-Mail-Adresse ausfindig machen. Denn an eine Galerie will und muss er sich nicht binden, auch Bengel nicht. Sperlich sagt, all die Einrichtungen, die mit ihm fest zusammenarbeiten wollten, hätte ihm keinen zusätzlichen Dienst anbieten können, für den er bereit gewesen wäre, einen erheblichen Anteil seines eigenen Verdiensts abzugeben. In der Regel erhalten Galeristen 50 Prozent des Erlöses aus dem Verkauf eines Kunstwerks. Verkauf und Vermarktung übernimmt Sperlich also lieber weiterhin selbst. „Weil Social Media jedem Künstler seine eigene Plattform bietet", so Sperlich. Zumal er gemerkt hat: „Ich bin oftmals ein erfahrenerer Geschäftsmann als jemand, der zum ersten Mal eine Galerie eröffnet. Ich habe selber zwei Start-ups mit aufgebaut."

Mit König arbeitet er trotzdem zusammen. Der stünde nicht unter Verdacht, nur abkassieren zu wollen. „König ist selbst eine Marke in den sozialen Medien", sagt Sperlich. Was den etablierten Kunstbetrieb angeht, sogar die größere. Bei ihm auf der Messe zeigt Sperlich nun eine zweite Version seines Werks „Likes= Money", mit dem er bereits auf der Kunstmesse Art Miami im vergangenen Jahr für Aufsehen gesorgt hatte. Es handelt sich um ein Kunstwerk, dessen realer Verkaufspreis sich mit der Anzahl der Likes, die es auf Instagram erhält, steigert. So will Sperlich den virtuelle Wert von Kunst darstellen. In Miami erzielte es nach 24 Stunden einen Verkaufspreis von 109.814 Dollar. In Berlin werden die Likes über den gesamten Zeitraum der Messe gezählt. „Erst nach sechs Tagen steht der Fixpreis für das Bild. Dann kann es verkauft werden", sagt Sperlich.

Mit seinem Werk will er zum Ausdruck bringen, welchen Stellenwert Likes mittlerweile neben Geld in unserer Gesellschaft haben. Streetartkünstler Banksy etwa verfügt über zehn Millionen Abonnenten auf Instagram und erzielt auf Kunstauktionen immens hohe Summen für seine Spraybilder. Natürlich bedingt sich das auch andersherum. Jeff Koons, der teuerste lebende Künstler, ist mit 385.000 Tausend Abonnenten auch ein kleiner Instagram-Star.

Trotz oder gerade wegen ihrer enormen Reichweiten mangelt es Kunstquereinsteigern wie Bengel und Sperlich an Anerkennung - insbesondere vonseiten des etablierten Kunstbetriebs. Die Kritik: Ihre Werke seien anspruchslos, die Akteure selber verfügten weniger über künstlerische Ambitionen als vielmehr über wirtschaftliche Interessen und einen ausgeprägten Hang zur Selbstdarstellung. Sperlich weiß darauf zu reagieren: „Wenn du ein Medium nutzt, egal welches, dann solltest du wissen, wie du das tust. Und auf Instagram ist es eben die größte Kunst, möglichst viele Menschen zu erreichen."

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