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Privatsammler: Crashkurs für Neulinge auf dem Kunstmarkt

Münster Der Unternehmer Niklas Bolle steht vor einem Bild, das ihn selbst zeigt mit rotem Jo-Jo in der Hand. Er trägt darauf eine kurze Latzhose und hopst froh in die Luft. Auf dem Bild ist er drei. Seine Oma hat es gemalt, die Künstlerin Hilde Kruse. Sie habe sich auf Porträtmalerei spezialisiert, erklärt der Zweimetermann. Und er habe der Großmutter zugesehen, wie sie ihre Kunden verewigte.

So leicht wie damals als Bub, sagt der 38-Jährige, sei er seither nie mehr mit Kunst in Berührung gekommen. Zwar habe er sich bereits während des BWL-Studiums in Leipzig die ersten Kunstkäufe geleistet, für 200 Euro beim Rundgang an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Doch je erfolgreicher Bolle als Geschäftsmann wurde, je namhafter die Galerien, in die er sich hineinwagte, desto schwieriger wurde für ihn der Zugang zur Kunst.

Vor anderthalb Jahren folgte Bolle auf seinen Vater als Geschäftsführer des Familienbetriebs Bolle System- und Modulbau in Telgte. Die Firma zieht Bürokomplexe, Krankenhäuser und Kitas in Schnellbauweise hoch. Bolle ist zudem einer der Gründer von Modomoto, dem 2011 gestarteten ersten Anbieter für personalisiertes Kleidereinkaufen in Europa, der im vergangenen Jahr mit Konkurrent Outfittery fusionierte. Seine Anteile am zusammengelegten Shoppingdienst hält Bolle noch, er hat sich dort jedoch aus dem operativen Geschäft zurückgezogen.

Das Bild, das Bolles Oma gemalt hat, hängt heute bei ihm zu Hause in Münster, neben anderen Werken seiner Sammlung. Etwa einer scheinbaren XXL-Kinderzeichnung von Andi Fischer, einem Künstler, der die naive Malweise von Vorschülern adaptiert. Bolle mag es subversiv.

Der Weg dahin, bis er sich als Sammler ernst genommen fühlte, war allerdings „lang und schwer", so Bolle. Schuld sind für ihn die überkommenen Strukturen des Kunstbetriebs. Doch nicht nur für den Telgter sind die Hürden beim Kunstkauf hoch.

Einsteigern geht es oft wie Bolle: Sie fühlen sich in etablierten Galerien weder willkommen noch ernst genommen. So entsteht der Eindruck, gewisse Voraussetzungen müssten erfüllt oder spezifische Codes erkannt werden, um sich eines Kunstkaufs als würdig zu erweisen.

Bauunternehmer und Sammler Bolle will das ändern. Mit einem kostenlosen Live-Seminar im Internet: „Art Market 101- School for New Collectors". Dafür hat er sich einen Experten an die Seite geholt, der mit Lernvideos äußerst erfolgreich ist, mit dem Kunstbetrieb aber genauso fremdelt wie Bolle.

„Der Schritt vom Kunstdruck zum originalen Kunstwerk ist groß. Nicht nur finanziell. Sondern vor allem, weil der Kunstmarkt so respekteinflößend ist", sagt Stephan Bayer. Bei ihm sei er so gewaltig gewesen, dass der 37-Jährige zu Hause ein paar Jahre mit nackten Wänden lebte, bis er sich schließlich zu seinem ersten Kunstkauf überwunden habe. Einer Malerei von Marion Fink.

Lernplattform für Schüler

Bayer ist Gründer und Geschäftsführer von Sofatutor, einer digitalen Lernplattform für Schüler. Der Schulstoff wird dort hauptsächlich als Lernvideos zur Verfügung gestellt. Sein Start-up finanziert sich über Abos. Sofatutor gibt es seit 2008. Die Zahlen der Nutzer und der Abo-Abschlüsse sind laut Bayer seither stetig gestiegen.

Als im März Corona-bedingt die Schulen schlossen, erlebte sein Unternehmen massiven Zulauf. Die Abrufzahlen schossen von ursprünglich 1,5 Millionen Nutzern im Monat auf dieselbe Anzahl pro Woche. „Sofatutor" wurde in dieser Phase zum Rettungsanker für von Homeschooling überforderte Eltern. Zuletzt machte das Start-up nach eigenen Angaben einen mittleren zweistelligen Millionenumsatz.

Gehversuch im Kunstbetrieb

Für Bolle wiederum ist es nicht der erste Gehversuch im Kunstbereich. Noch als Student importierte er zusammen mit einem Freund aus China billige Kopien berühmter Meisterwerke als Ölgemälde zum Selberaufspannen. Die verkauften sie in Leipzig mit hohen Margen.

Auf diese Weise sammelte er das Startkapital für sein erstes Start-up: „Artflakes", eine Online-Verkaufsplattform für Poster und Kunstdrucke, auf der auch Künstler ihre Werke als Druckmotive anbieten konnten. Das Unternehmen verkaufte er später gewinnbringend an eine Partnerfirma. Dass Bolle und Bayer sich zusammentaten, hat nicht allein damit zu tun, dass sie in denselben Kreisen von Tech-Unternehmern verkehren. Sondern auch mit ähnliche Negativerfahrungen, die sie in Galerien gemacht haben.

Bolle kann sich noch genau daran erinnern, wie das war, als er zum ersten Mal die Räume des Marktführers Gagosian in London betreten habe: „Was einen da erwartet, ist eine eiskalte, unfreundliche Atmosphäre." Es sei denn, man zeige gleich beim Reinkommen seine Wohlstandsinsignien. „Bei mir werden Sie aber keine Statussymbole finden, genauso wenig wie bei bei den anderen Internetunternehmern", sagt Bolle und zeigt seine nackten Handgelenke, an denen keine teure Uhr zu sehen ist. Auch Kunst sei für ihn kein Prunk.

Ähnlich lief es beim Konkurrenten White Cube, sagt Bolle. Er habe sich nach Preisen erkundigt, wurde gebeten, seine Kontaktdaten zu hinterlassen, habe dann aber nie etwas von jemandem gehört. Der Sammler glaubt, er sei als unwürdig ausgemustert worden.

Ausbildung zum Regisseur

Bayers und Bolles gemeinsam geteilte Hoffnung auf einen Kunstmarkt-Crashkurs als kostenloser Nebeneffekt wurde natürlich von einer Galerie nach der anderen ebenfalls enttäuscht. Die mag man für einfältig halten, doch unerfüllte Erwartungen wirken ja bekanntlich oft als Antrieb, Dinge selbst in die Hand zu nehmen: So auch bei den beiden Unternehmern, die dann ganz einfach selbst so einen Kurs entwickelten. Nicht nur für sich selbst, sondern für die ihrer Meinung nach 10.000 potenziellen anderen Kunstkäufer, die sich auch so unsicher fühlen.

Mit ähnlichen Methoden wie in den Lernvideos von Bayers „Sofatutor" wollen die beiden Unternehmer anderen nun die Scheu vor dem ersten Kunstkauf nehmen. Solche digitalen Schulungsangebote sind gerade angesagt. So kann man sich etwa von Steven Spielberg beibringen lassen, wie man Regie führt, von Sebastian Fitzek zum Schriftsteller ausbilden lassen, oder man kann Kochstunden bei Alfons Schubeck nehmen.

Tutorial mit dem Galeristen

Für ihr Webinar konnten Bayer und Bolle Johann König als Referenten gewinnen. Nicht nur weil König einer der bekanntesten Galeristen des Landes ist, sondern weil er selbst schon etwas Ähnliches gestartet hatte, als seine Galerie in Deutschland wegen des Coronavirus vorübergehend schließen musste. Während dieser Zeit entwickelte König ein Interviewformat auf Instagram und stellte sich allmorgendlich den Fragen seiner Gefolgschaft im Netz.

Dass der Galerist im Tutorial nur die üblichen abgehobenen Allgemeinplätze absondert, die man als Kunde in Galerien zu hören kriegt, verhindere schon das Live-Format, sagt Bolle. Alle Fragen werden erlaubt sein.

Das Interesse an „Art Market 101" ist mit knapp 1000 Anmeldungen in nur drei Wochen so groß, dass die beiden Kunstfreunde schon jetzt über eine zweite Ausgabe ihres Webinars nachdenken. Zumal die Frist für die Teilnahme noch nicht verstrichen ist.

Ein Geschäftsmodell will das Duo nach eigenen Angaben daraus trotzdem nicht entwickeln. Was sie jedoch erreichen wollen: „dass der hermetische Kunstbetrieb sich ein bisschen was von uns Internetunternehmern abguckt", so Bayer. „Denn bei uns gilt die Regel: Wenn es dir nicht selbst schadet, dann teile dein Wissen mit anderen."

Mehr: Wie ein Galerist Augen und Ohren mit angesagter Kunst verwöhnt

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