1 subscription and 1 subscriber
Article

Rudolf Zwirner: Der Mann, der den Kunstmarkt erfand - SPIEGEL ONLINE - Kultur

In der Kölner Albertusstraße wirft der Kunsthändler Rudolf Zwirner zurzeit gern einen Blick in das Schaufenster der Buchhandlung Walther König. Zwirner und König sind lebenslange Weggefährten im Kunstbetrieb, verbunden in freundschaftlicher Rivalität. Der Stammsitz des Kunstbuchverlags König und Zwirners ehemalige Galerie sind nur wenige Meter voneinander entfernt.

Das Schaufenster wirkt wie ein Gedenkaltar für Rudolf Zwirner, darin stapeln sich druckfrische Ausgaben seiner neu erschienenen Autobiografie "Ich wollte immer Gegenwart", es ist mit Schwarz-Weiß-Fotos geschmückt, die die Karriere des berühmten Kunsthändlers nachzeichnen. Es fühlt sich für Zwirner an wie ein kleiner Triumph, sagt er. Mit Genugtuung erzählt er, dass König das Buch in seinem Verlag nicht rausbringen wollte, zumindest nicht unter Zwirners Bedingungen.

Als Rudolf Zwirner begann, im Kunstmarkt zu arbeiten, war dieser winzig und provinziell, weltweit wurden vielleicht eine Milliarde Dollar umgesetzt, Antiquitäten inklusive. Zum Vergleich: vergangenes Jahr waren es mehr als 67 Milliarden Dollar. Und wenn ein Galerist mal ein hochpreisiges Bild verkaufte, rief er seine Kollegen aus ganz Deutschland an, damit die wussten, dass in diesem Jahr nicht mehr viel verkauft werden würde - so überschaubar war die Zahl der Sammler und deren Budget.

Der Kölner Kunstmarkt, der später in "Art Cologne" umbenannt wurde, war die weltweit erste Messe für moderne und zeitgenössische Kunst. 1967, im Jahr ihrer Gründung, war sie ein Skandal. Man empörte sich, dass Kunst als Ware mit Preisschildchen präsentiert wurde. Vor allem begann mit dem Kölner Kunstmarkt der Wettkampf um die höchsten Preise.

Aus diesem Wettlauf ist Zwirners Familie extrem erfolgreich hervorgegangen. Zwirners ältester Sohn David, 55, ist einer der erfolgreichsten Galeristen der Welt, Jahresumsatz geschätzt eine halbe Milliarde Dollar. Die Zwirners sind die Strippenzieher des internationalen Kunstbetriebs. Wer von Zwirners Autobiografie nun allerdings Insider-Anekdoten erwartet, wird enttäuscht.

"Ich wollte immer Gegenwart" ähnelt eher einem nüchternen Geschäftsbericht statt persönlichen Lebenserinnerungen. Kunstkritikerin Nicola Kuhn hat das Schreiben für Zwirner übernommen und ihren Stil dessen hohem Sprechtempo angepasst. Das Buch ist ein Abriss der Kunstgeschichte von den frühen Nachkriegsjahren bis in die Neunziger; der Mensch Rudolf Zwirner und seine Motive bleiben auch nach 236 Seiten unergründet.

Was er in den Künstlern gesehen hat? Eine hohe Handelsmarge

Immerhin, die Zahlen und Namen beeindrucken. Es gab in den vergangenen 50 Jahren kaum ein Kunstgenie, von dem Zwirner nicht irgendwann mal eine große Arbeit verkaufte. Richter, Baselitz, Magritte und natürlich Warhol. Den stellte er zum ersten Mal ein halbes Jahr vor Eröffnung des ersten Kunstmarkts aus. An der Tür von Zwirners Galerie hing ein Schild: "Vorsichtig öffnen". Denn es bestand die Gefahr, dass fast die gesamte Ausstellung beim Aufmachen der Tür ins Freie flog: Warhol zeigte damals silberne Heliumballons für 200 Mark das Stück und eine Tapete mit Kuhmotiv.

Wenn man Zwirner fragt, was er in diesen Künstlern gesehen hat, meist noch vor seinen Konkurrenten, sagt er: eine hohe Handelsmarge. Er war Kunsthändler, hat Bilder günstig ein- und mit möglichst viel Gewinn weiterverkauft. Am Anfang Max Ernst, den konnte man in Frankreich billig einkaufen, einfach, weil er Deutscher war. Hierzulande rissen sich die Sammler um ihn, wie um alles, was unter den Nazis als "entartet" galt. Und als dieses Angebot erschöpft war, kaufte Zwirner Pop-Art, noch vor dem großen Hype.

Alte Kollege sagen: Zwirner war ein "Durchlauferhitzer", weil er nie eine langfristige Strategie mit Künstlern verfolgt habe. Zwirner sagt: "Ich habe erlebt, dass ausnahmslos alle großen Künstler auch schwache Werke produzieren - und verkaufen wollen." Deshalb sei es für ihn nie infrage gekommen, einen Künstler exklusiv zu vertreten. Auch nicht Gerhard Richter. Als der nach der Geburt seines Sohnes angefangen habe, "nur noch Madonnenbilder zu malen", wollte Zwirner kein einziges Bild mehr haben.

Eines der bekanntesten Bilder von Richter ging zuvor aber durch Zwirners Hände: "Ema - Akt auf einer Treppe", das Bild, mit dem Gerhard Richters Weltkarriere begann, und das heute im Museum Ludwig hinter Panzerglas hängt, hat Zwirner bereits 1968 an den Schokoladenfabrikanten Peter Ludwig verkauft. Den Preis von 3600 Mark soll Ludwig damals als Werbekosten abgesetzt haben.

1955, als Student, besuchte Zwirner die erste Documenta. Dort sah er zum ersten Mal Werke, die während seiner Kindheit in der Nazizeit unter Verschluss waren - Bauhaus, Expressionismus und Abstraktion. Dieser Moment habe ihn aus seiner "juristischen Laufbahn hinausgeschleudert". Das Berufsziel Anwalt gab er auf und begann eine Ausbildung zum Kunsthändler in Köln, Berlin und Paris.

Für die Documenta 2 arbeitete er dann bereits als Generalsekretär und organisierte "beinahe im Alleingang" die internationale Kunstausstellung. Dabei unterlief ihm jedoch eine folgenschwere Unaufmerksamkeit: Bei der Anmeldung der amerikanischen Exponate aus dem New Yorker MoMA achtete er nicht auf die Größenangaben, sodass erst bei Ankunft der Bilder auffiel, dass die Gemälde aus den USA viel größer waren als die der europäischen Kollegen. Die gesamte Ausstellung musste umorganisiert werden, die informellen Arbeiten der Europäer landeten unterm Dach, Pollock und die anderen abstrakten Expressionisten erhielten den besten Platz in der Beletage. Dies änderte den Stellenwert amerikanischer Kunst in der Welt, sagt Zwirner heute.

Das Besondere an Zwirners Karriere ist auch, dass er früh aus dem Geschäft ausstieg, 1992, mit nur 59 Jahren. Viele seiner alten Mitbewerber - Michael Werner, Heiner Friedrich, Hans Neuendorf - sind heute mit über 80 noch immer auf dem internationalen Kunstmarkt aktiv.

Auch da hatte Zwirner wohl den besseren Geschäftssinn: Um den deutschen Kunstmarkt steht es seit Jahren sehr schlecht, nur noch zwei Prozent des weltweiten Umsatzes mit Kunst werden von Galerien in Deutschland gemacht.

Freundschaften zu Künstlern haben sich für Zwirner selten ergeben, erzählt dieser - vielleicht fehlen auch deshalb im Buch die saftigen Anekdoten aus den besten Zeiten der Kölner Kunstszene. Der Geschäftsmann sah sich nicht als Betreuer. "Die Künstler wollten mit mir abends ausgehen und die Nächte in Bars verbringen. Das konnte ich nicht, ich hatte Kinder und war lange Zeit Alleinerzieher", sagt Zwirner. Einmal habe er Lichtkünstler Dan Flavin bei sich wohnen lassen. "Um Mitternacht sagte der: 'Rudolf, ich will ein Eis.' Ich fuhr zum Bahnhof und kaufte ihm Eiscreme. Dann bat er mich noch, eine Frau für ihn einzuladen." Das war Zwirner dann zu viel. Er fand: "Das frisst einen auf." Kundenkontakt war ihm lieber als Künstlerkontakt.

Original