Robert Ketterer, 50, arbeitet in München, sein Auktionshaus ist das umsatzstärkste Deutschlands. Er stammt aus einem Kunst-Clan: zu den Auktionen von Ketterers Onkel kam einst der US-Milliardär David Rockefeller angereist, sein Vater gründete das Münchner Auktionshaus Ketterer.
Johann König, 38, arbeitet als Galerist in Berlin, auch er stammt aus einer Kunst-Familie: Sein Vater war u.a. Direktor der Frankfurter Städelschule. König, der durch einen Unfall als 12-Jähriger erblindete, genießt in der Kunstszene heute den Status eine Popstars: Seine Galerie St. Agnes in Kreuzberg, eine ehemalige katholische Kirche, vermietete er während der Fashion Week als Partylocation, ein Bild seines Künstlers Norbert Bisky verkaufte er ans Berghain.
SPIEGEL: Wenn ich vor fünf Jahren in der König Galerie ein Bild von Katharina Grosse gekauft habe, eine Künstlerin, deren Preise seither immens gestiegen sind - sollte ich es dann heute gewinnbringend im Auktionshaus Ketterer Kunst versteigern lassen?
König: Nein, sie sollten es mir verkaufen.
Ketterer: Genauso sehe ich es auch... wenn Sie weniger Geld dafür bekommen wollen.
König: Dafür kriegen Sie von mir sofort Ihr Geld, und müssen nicht erst auf die nächste Saison warten. Denn Auktionen finden ja nur zweimal im Jahr statt, im Frühling und im Herbst.
Ketterer: Sie können das Bild auch auf meiner Onlineauktion versteigern, das geht jeden Monat.
König: Ich verkaufe es diskret, da bekommt es nicht jeder mit.
SPIEGEL: Herr Ketterer, Sie ersteigerten Ihren ersten Picasso mit nur 12 Jahren. Sie, Herr König, verloren im selben Alter Ihr Augenlicht. Sie spielten mit Platzpatronen einer Startschusspistole, dabei wurde eine Explosion ausgelöst, die Ihre Augen schwer verletzte.
König: Ich wollte meine Baseballkarten umsortieren und habe die Schwarzpulverkügelchen in eine andere Dose getan. Sie müssen sich dabei erhitzt haben und explodierten. Ich musste fast ein Jahr lang ins Krankenhaus, konnte nichts mehr sehen. Trotzdem kaufte ich mit 19 Jahren mein erstes Kunstwerk. Ein Bild von Carsten Fock. Es kostetet damals 3000 Mark. Ich habe auf dem Blindeninternat Handyverträge verkauft und mir damit das Bild finanziert.
Ketterer: Ich habe mein erstes Kunstwerk, den Picasso, auf einer Auktion meines Vaters ersteigert. Für 560 Mark. Ich war total fasziniert von dem Bild, weil es mit so wenigen Strichen gemalt war und trotzdem ein Gesicht zu erkennen war.
König: Hast du das Bild noch? Du bist doch ein notorischer Kunsthändler.
Ketterer: Drei Jahre später habe ich es schon wieder verkauft, weil ich 100 Mark mehr bekommen habe.
König: Ich besitze mein erstes Bild noch.
Ketterer: Nur weil du es bisher noch nicht losgeworden bist, weil du es zu teuer eingekauft hast!
SPIEGEL: Sie stammen beide aus bedeutenden Kunst-Clans, wollten aber die Familientradition zunächst nicht weiterführen. Warum haben Sie sich schließlich doch umentschieden?
König: Weil ich damals nicht wusste, was ich machen soll. Ich konnte wegen meiner Blindheit kein Praktikum machen. Dann habe ich mir selbst eine Aufgabe gesucht und mit 21 Jahren eine Galerie aufgemacht. Mit einem Assistenten, der mir vom Sozialamt bewilligt wurde, als Eingliederungshilfe für Schwerbehinderte.
Ketterer: Ich war Beisitzer bei den Auktionen meines Vaters, musste ihm immer zuflüstern, wie es beim Fußball und bei der Formel 1 steht. Eines Tages stupste er mich an und fragte, ob ich die Auktion weiterleiten wolle. Ich stotterte, er sagte zu den Anwesenden im Saal: "So, ich darf jetzt an meinen Sohn Robert übergeben". Dann stand er auf und ging einfach. Ich war erst 25, als er mir die Firma übergab. Das war eigentlich viel zu früh.
SPIEGEL: Herr Ketterer, Ihr Auktionshaus machte zuletzt den größten Umsatz mit zeitgenössischer Kunst. Herr König, auch Ihre Galerie kauft Kunstwerke an, um sie weiterzuverkaufen.
König: Wir sind Konkurrenten, klar. Gerade hat ein Sammler von mir bei Christie's ein Werk der Schweizer Künstlerin Claudia Comte ersteigert. Obwohl sie aktuell auch eine Einzelausstellung in meiner Londoner Galerie hat. Dem Sammler hat halt die Maserung der Skulptur, die in der Auktion war, besser gefallen. Aber das Auktionsergebnis war gut, es lag über den Galeriepreisen. Jetzt sind die Preise für die Künstlerin bestätigt, manchmal steigen sie sogar.
SPIEGEL: Werden so Preise gemacht? Ein Galerist legt den Wert eines Kunstwerks fest, möglichst hoch. Später wird das Werk bei einer Auktion noch teurer versteigert, danach kann der Galerist die neuen Werke ebenfalls teuer verkaufen.
König: Alle glauben, wenn ein Künstler hohe Preise erzielt, dann malt er ganz einfach 40 Bilder mehr pro Jahr. Aber so läuft das nicht. Erfolgreiche Künstler werden selbstkritischer und produzieren auf einmal viel langsamer. Den meisten geht's ja auch nicht ums Geld.
Ketterer: Wenn das Werk eines Künstlers auf einer Auktion ein Rekordergebnis erzielt, rennen alle in die Galerie für seine neuen Arbeiten. Aber nur, um sie dann bei der nächstmöglichen Gelegenheit teurer weiterzuverkaufen. Das geht natürlich nur, solange der Künstler gefragt ist. Irgendwann platzt die Kunstspekulationsblase. Das schadet dann der Karriere des Künstlers, ohne dass er etwas dafürkann.
König: Das ist Daytrading wie auf der Börse. Aber wenn es keinen Sekundärmarkt gäbe, dann würde ich als Galerist auch keine Geschäfte mehr machen. Kein Mensch gibt 50.000 Euro oder mehr für ein Kunstwerk aus, ohne darauf zu setzen, dass es mit den Jahren im Wert steigt.
SPIEGEL: Wer verdient eigentlich am meisten Geld? Galerie, Auktionshaus oder die Künstler selbst?
Ketterer: Sammler, die vor 20 Jahren die richtige Kaufentscheidung getroffen haben.
König: Die haben auch die geringsten Kosten. Okay, die müssen ein Werk zuerst kaufen. Aber zahlen nichts für Messen und Marketing, um das Bild irgendwann wieder zu Geld zu machen.
SPIEGEL: Muss ich mich nicht eigentlich schämen, wenn ich ein Vermögen für ein Kunstwerk verblase?
Ketterer: Mit Kunst kauft man ein Stück Lebensqualität. Sie ist ein Spiegel der eigenen Persönlichkeit. Auktionen sind ein Erlebnis, weil man nicht weiß, ob man ein Werk am Ende bekommt. Wenn man das Werk in einer Galerie kauft, hat man vielleicht vorher Abende zusammen mit dem Künstler in seinem Atelier verbracht, um ihn kennenzulernen.
König: Die Preise für Kunst sind deshalb so hoch, weil alles so teuer ist: Kataloge, die wir drucken lassen, die Teilnahmegebühr für Messen, die Kosten für unsere Mitarbeiter, die Produktionskosten der Künstler. Aber sie haben schon recht, dass die Nachhaltigkeitsdebatte im Kunstbetrieb nicht schon lauter geführt wird, wundert mich auch.
SPIEGEL: Wie sieht denn Ihr eigenes Engagement aus?
König: Ich habe mich in diesem Jahr wegen der Ökobilanz entschieden, künftig nicht mehr auf die Art Basel nach Miami zu fliegen. Sie müssen sich vorstellen, dort sind 500 Galerien aus der ganzen Welt. Da werden hunderte Schiffscontainer und Flugzeugfrachträume voller Kunstwerke antransportiert, für nur fünf Messetage. Wir müssen wieder regionaler werden, auch in der Kunst. Die Art Cologne wird wieder wichtiger werden.
SPIEGEL: Herr König, sie setzten bei Ihrem Galerieprogramm auf Geschlechtergerechtigkeit. Anders sieht es allerdings auf dem Auktionsmarkt aus: Laut einer Studie von Artnet wurden zwischen 2008 und dem ersten Halbjahr 2019 auf Auktionen über 196 Milliarden Dollar umgesetzt, lediglich zwei Prozent aber kamen durch Kunstwerke von Künstlerinnen.
König: Artnet hat auch eine andere Studie rausgebracht. Darin steht, wenn man in Zukunft Geld mit Kunst machen will, muss man Werke von Frauen kaufen. Die sind notorisch unterbewertet und das wird sich in den nächsten Jahren ändern. Ich bin auch für eine Frauenquote beim Ankauf von Kunstwerken für öffentliche Museen, bis ein Gleichgewicht zwischen Künstlerinnen und Künstlern erreicht ist.
Ketterer: Ich bin gegen jegliche Quoten, weil dann nicht mehr die Qualität entscheidend dafür ist, ob ein Kunstwerk ins Museum kommt.
Ausstellung "Szene Berlin Oktober 19": König Galerie zu Gast bei Ketterer Kunst; bis 25. Oktober 2019, München