Von Sebastian Schöbel, ARD-Studio Brüssel
Angela Merkel wusste schon sehr genau, warum sie vor dem großen Sondergipfel die Erwartungen herunterspielte. Denn was nun in Brüssel nach zwölf Stunden Verhandlungsmarathon als "Durchbruch" verkauft wird, ist nicht mehr als eine Reihe von Absichtserklärungen - von denen einige nicht einmal neu sind.
Trotzdem war dies keine sinnlose Übung in diplomatischem Jiu Jitsu: Der Sondergipfel mit der Türkei hat einige wichtige Erkenntnisse für den weiteren Verlauf der Flüchtlingskrise geliefert. Allerdings keine, die uns Europäer ruhigen Gewissens schlafen lassen sollten. So hat sich die türkische Regierung nun endgültig als der befürchtete problematische Partner in der Krise erwiesen. Mit den Flüchtlingen als Druckmittel will sich Ankara zurück an den Brüsseler Verhandlungstisch in Sachen EU-Beitritt schachern.
Beitrittsgespräche gegen verzweifelte MigrantenMag Regierungschef Ahmet Davutoglu sein Land auch noch so energisch als humanitären Retter der syrischen Bürgerkriegsopfer darstellen, für ihn und Präsident Recep Tayyip Erdogan geht es in erster Linie darum, die Schwäche der EU in der Flüchtlingskrise auszunutzen, um die festgefahrenen Beitrittsgespräche wieder in Gang zu bringen. Im Gegenzug sind die Türken bereit, Europa die unangenehmen Bilder verzweifelter Migranten an Stacheldrahtzäumen zu ersparen - in dem sie vor allem irreguläre Migranten aus Griechenland zurücknehmen. Die sollen dann in Flüchtlingslagern geduldig auf ihre legale Verteilung auf EU-Länder warten - sofern sie nicht schon vorher abgeschoben werden, ohne dass ihr Asylanspruch in der EU geprüft wird. Das ist juristisch und moralisch höchst fragwürdig.
Schleppern soll auf diese Weise das Handwerk gelegt werden, heißt es, tatsächlich aber werden vor allem die Migranten bestraft, die in Ermangelung legaler Einwanderungswege nach Europa die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer wagen. Dass die EU ihrerseits verspricht, für jeden Syrer, der von Griechenland in die Türkei zurückgeführt wird, einen Syrer von der Türkei in die EU umzusiedeln, klingt regelrecht zynisch: Genau diese Umsiedlung funktioniert schon mit den Flüchtlingen, die bereits in der EU sind, überhaupt nicht. Warum die Menschen in den Flüchtlingslagern an der türkisch-syrischen Grenze nun ausgerechnet dieser neuen Absichtserklärung Glauben schenken sollen, weiß vermutlich niemand.
Stattdessen dürfen sich türkische Staatsbürger vermutlich bald über Visa-Erleichterungen bei der Einreise in die EU freuen - während Ankara europäische Kritik an seiner Einschüchterungskampagne gegen kritische Journalisten selbstbewusst an sich abtropfen lässt. Beschlossen ist der Deal noch nicht, das soll erst Mitte März beim nächsten EU-Gipfel geschehen. Allerdings klang es nicht so, als ob Europas politische Führer darüber noch einmal bis spät in die Nacht verhandeln wollen. Auch sie brauchen schließlich ihren Schlaf. Auch wenn der hoffentlich nicht allzu ruhig wird.