Im Warteraum Feldkirchen bei Straubing kommen tausende Flüchtlinge an. Das Camp soll für Ordnung sorgen - und Menschlichkeit. Von Sebastian Heinrich, MZ
Vor den Registrierungscontainern in Feldkirchen sitzen vier Flüchtlinge, ein Dolmetscher - und ein Bundeswehrsoldat. Foto: Schönberger
Feldkirchen.Bei diesem Anblick muss Heiko Werner plötzlich an den Sudan denken. Werner steht auf einer herbstfeuchten Wiese mitten in Niederbayern. Er schaut geradeaus, auf den Pfad aus schlammiger Erde vor seinen Füßen, auf die weißen Zelte links und rechts davon, vor denen zerfledderte Papierkartons stehen, Plastiksäcke, Mülltonnen. „Das sieht jetzt aus wie im Sudan", sagt Werner. Der Rheinländer weiß, wovon er spricht. Er hat Flüchtlingslager im nordafrikanischen Bürgerkriegsland gesehen, er war im Libanon, in Syrien, im Nordirak. Jetzt arbeitet Heiko Werner in Bayern, als „Aufbauleiter Sondereinrichtungen" für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Aber eigentlich ist hier in Feldkirchen, zehn Kilometer südlich von Straubing, nichts wie im Sudan. In den 476 Zelten des „Warteraums" schlafen die Flüchtlinge nur wenige Stunden, maximal eine Nacht. Feldkirchen ist für sie eine Zwischenstation. Von hier aus reisen sie weiter, auf der Suche nach einer Bleibe, auf der Suche nach Asyl.
Ein Teil der deutschen LösungDeutschland, das hat Bundeskanzlerin Angela Merkel nochmals deutlich gesagt, will eine Lösung finden im Umgang mit der Massenflucht nach Mitteleuropa. Und Feldkirchen ist ein wichtiger Teil dieser Lösung. Feldkirchen ist - neben Erding in Oberbayern - eines der beiden Zeltlager, in dem Flüchtlinge in Bayern registriert werden. Hier, auf dem Gelände der Gäubodenkaserne, umgeben von Äckern und Wiesen, kommen Tag für Tag Busse mit Menschen an, die in Passau oder Simbach am Inn die deutsche Grenze überquert haben. Der Warteraum ist am 20. September eröffnet worden. Bis zu 5000 Menschen haben hier Platz, bisher waren höchstens tausend auf einmal hier.
Auf dem Camp in Feldkirchen arbeiten mehrere Organisationen zusammen: BAMF-Mitarbeiter, Bundeswehrsoldaten, Ehrenamtliche und Mitarbeiter von Rotem Kreuz und Technischem Hilfswerk. Hier sollen die Menschen registriert und danach mit Bussen in Erstaufnahmeeinrichtungen in ganz Deutschland gebracht werden. Damit die Flüchtlinge wieder gerechter unter den Bundesländern verteilt werden, damit wieder „mehr Ordnung ins System kommt", wie ein BAMF-Sprecher sagt.
„Kundschaft" nennt Hans Kirchinger vom BAMF die Menschen, die im Warteraum ankommen. „Weil wir sie wie Kunden behandelt wissen wollen", sagt er. 7000 Menschen haben seit der Eröffnung den Warteraum passiert, mehr als 90 Prozent von ihnen kommen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan.
Die Registrierung klappt besserDie ersten Minuten in Feldkirchen verbringen sie im Stehen, in einem weißen, langgestreckten Zelt, auf dem „Technisches Hilfswerk" steht. Dutzende Männer, Frauen und Kinder sind dicht aneinandergedrängt. Zwei Männer in schwarzen Jacken bauen sich vor ihnen auf, auf ihrem Rücken steht „Security". „Family", sagt einer von ihnen und schwingt dabei die Arme nach links. „And no Family", sagt er dann - und zeigt nach rechts. Familien links, Einzelpersonen rechts.
Vor dem Zelt stehen aneinandergereiht weißblaue Container mit offenen Türen. Drinnen drückt ein Mann in orangefarbenem Sweatshirt seinen Finger auf eine Glasplatte, ein grüner Lichtstrahl gleitet darüber. Vor dem Container spielen zwei Jungen und ein Mädchen Fußball - mit drei Bundeswehrsoldaten. Die Soldaten lächeln, die Kinder lachen.
Die Registrierung funktioniert immer besser, sagen die Mitarbeiter hier. An den ersten Tagen hätten sich viele Flüchtlinge geweigert, sich registrieren zu lassen. Wer aus Ländern wie Syrien kommt, misstraut Behörden oft - aus leidlicher Erfahrung, aus Angst vor Gewalt. Wer Willkür und Unmenschlichkeit in Ungarn oder Mazedonien erfahren hat, fürchtet, dorthin zurückgeschickt zu werden. Inzwischen klären Landsmänner die Ankömmlinge über die Registrierung auf - und die allermeisten von ihnen machen mit. Zwingen dürfen die BAMF-Mitarbeiter aber niemanden.
Nach der Registrierung bekommen sie ein Dokument in die Hand, mit einem Aktenzeichen für ihr Asylverfahren. Manche machen sich danach zu Fuß zum Straubinger Bahnhof auf. Wer genug Geld hat, nimmt ein Taxi. Viele andere bleiben in Feldkirchen, zumindest für ein paar Stunden. Bis ein Bus sie abholt und sie in ihre erste feste Unterkunft in Deutschland bringt.
Etwa hundert Meter von den Registrierungscontainern steht ein großes, beheiztes Zelt, mit einem Fußboden aus Pressspanplatten. An einer Wand hängt ein Zettel mit der Aufschrift „Waiting Center". Darunter, auf einem Tisch, ein Flachbildschirm, auf dem ein Film in Dauerschleife läuft: Ein junger Mann spricht arabisch, englische Untertitel sind eingeblendet. „Bitte warten Sie hier." An der Zeltwand schräg gegenüber hängen Zeichnungen auf Papier, viele filzstiftbunte Flaggen, vor allem Schwarz-Rot-Gold oder Schwarz-Gelb-Rot. „I love you Germany", steht auf einem Blatt. Ein anderes hängt schräg darüber, darauf ein großes Auge, aus dem drei Tränen fließen, eine Rose - und der Name „Dinana". „Menschliche Betreuung" nennt ein Rotkreuz-Mitarbeiter das, was hier passiert.
Ein paar Schritte weiter noch ein beheiztes Zelt, auf einem Tisch Pflaster, Medikamente, Desinfektionsmittel. Gegenüber ein kleines Labyrinth aus Sichtblenden. Hier kümmert sich John Cunningham um die „Kundschaft". „Es läuft fantastisch" sagt er mit sattem nordamerikanischem Akzent. Cunningham arbeitet für das Kanadische Rote Kreuz. Er hat in den 90er Jahren in bosnischen Flüchtlingslagern gearbeitet. Nie hätte er gedacht, dass seine Hilfe in Deutschland gebraucht würde. Doch jetzt ist er hier, verarztet viele Menschen mit Erkältungen, manche mit Magen-Darm-Problemen. Aber ansteckende Krankheiten, sagt er, habe er bisher nicht festgestellt.
Die Winterunterkünfte sind fast fertigHinter dem Medizin-Zelt stehen die Schlafzelte, die Heiko Werner an den Sudan denken lassen. Sie schützen vor Regen, nicht vor der Kälte. „Das ist noch die Sommerlösung", sagt Werner. Aber es gibt reichlich Decken. Und am Eingang des Camps ist schon eine von drei beheizbaren Hallen quasi fertig. 1200 Menschen sollen dort insgesamt in den kalten Monaten Platz finden.
Am Ende des matschigen Pfads steht ein Kleiderzelt, in dem sich auf Bänken gespendete Kleider türmen. „Alles aus dem Kreis Straubing", sagt ein BAMF-Mitarbeiter. Daneben das Zelt für die Essensausgabe: Semmeln, Geflügelwurst, Käse, Äpfel. Und, fast genauso wichtig: SIM-Karten für die Smartphones, Steckdosen für die Smartphone-Ladegeräte. Damit sie ihre Lieben in Syrien, dem Irak, Afghanistan weiter Lebenszeichen schicken können. Oder ein Foto mit einem erschöpften Lächeln.
Flüchtlingskrise in Deutschland? Heiko Werner schüttelt den Kopf, als er den Blick von den Zelten in Feldkirchen hebt. Er mag das Wort nicht. Eine Herausforderung, klar. „Aber Deutschland ist ein reiches Land", sagt Werner.