Die Leser der Weimarer Lokalausgabe der "Thüringischen Landeszeitung" und von tlz.de erfuhren in den zurückliegenden Wochen, dass Weimar ein Problem hat. Ein Feier-Problem: Auf dem Wielandplatz, so der Tenor, machten junge Leute die Nacht zum Tag und verleideten damit den Anwohnern die Nachtruhe. Bei Google finden sich beinahe täglich Beiträge auf tlz.de, die das Problem thematisieren. Der jüngste Beitrag datiert vom 18. Juli, die Chefin des angrenzenden Hotels Amalienhof spricht darin von der "schlimmsten Nacht des Jahres".
Nachdenklich geworden wegen dieser Berichterstattung, bin ich in zwei lauen Sommernächten in den vergangenen Wochen zum Wielandplatz gegangen, um mir das Problem aus der Nähe anzusehen. Meine Beobachtung war beide Male: Junge Leute sitzen auf dem Platz, unterhalten sich in Zimmerlautstärke und trinken alkoholische und nichtalkoholische Getränke. Ich habe zudem mit zwei Bekannten gesprochen, die ebenfalls in solchen Nächten zu später Stunde den Wielandplatz passierten. Ihre Beobachtung entsprach meiner.
Nun möge jeder für sich entscheiden, ob Menschen auf einem innerstädtischen Platz ein Problem darstellen, wenn sie dort verweilen und Bier, Wein und sonstwas trinken. Meiner Ansicht nach offenbart die Diskussion über die Leute auf dem Platz vor allem eines: Einen Mangel an grau. Es gibt, so scheint es, nur schwarz und weiß - hier die Genießer urbanen Lebensgefühls, dort die Anwohner, die sich in ihrer Nachtruhe gestört fühlen.
Das Grau dagegen fehlt. Was ist denn eigentlich genau das Problem, besser gesagt, was sind die Probleme? Sind es die Flaschen, die klirren oder gar zerschlagen werden? Ist es die Lautstärke, mit der sich die Menschen auf dem Platz unterhalten? Ist es die Tatsache, dass sie in die Ecken und Hinterhöfe pinkeln? Und werden wirklich "Knallkörper gezündet und Boxen mit ohrenbetäubender Musik aufgestellt", wie es dieser TLZ-Beitrag Glauben machen will? Ich fühle mich ein wenig an die Asyldebatte in Deutschland erinnert - zwischen den Polen "Refugees welcome" und "Nein zum Heim" ist da nicht viel.
Es wäre sinnvoll, diese Probleme einzeln zu definieren und anzugehen, um das "Problem Wielandplatz" zu lösen. Wenn zerbrechende Flaschen wirklich ein Problem sind, könnte es der "Nahkauf"-Laden als die Getränkequelle für das Feiervolk ziemlich einfach in den Griff bekommen - mit einem Euro Flaschenpfand auf alle Pullen, auch auf Wein und Sekt: Wer statt 8 Cent für die Bierflasche mehr als das Zehnfache zahlen muss, wird eine Flasche zurückbringen oder mitnehmen, statt sie achtlos stehenzulassen. Das Prinzip funktioniert auf Tanzpartys aller Art seit Jahren - auch in Weimar. Die notwendige Investition in Pfandmarken dürfte sich bald amortisieren - weil sich immer noch genug Luftikusse finden werden, die das Zurückbringen der Flaschen verpassen.
Wenn Böller gezündet und Boxen aufgestellt werden, ist das ganz platt ein Fall für die Staatsgewalt. Urinieren in Höfe und an Ecken? Wie wäre es mit einem Hinweis, ganz plakativ auf dem Platz, dass die Anwohner das eklig finden - und mit einem Verschließen der Höfe? Ich bin kein Experte für urbane Lebensfreuden, aber wie für alles im Leben wird es in unserem Land auch dafür jemanden geben, der sich mit derlei Unbill auskennt. Vielleicht mal einen fragen, der einen kennt, der einen kennt?
Die Wielandplatz-Diskussion bringt ans Tageslicht, dass einige Bewohner Weimars offenbar gut damit leben können, dass die Stadt eine Art begehbares Museum ist. Weimar ist jedoch dringend auf höhere Steuereinnahmen angewiesen. Sein touristisches Potenzial hat Weimar weitgehend ausgeschöpft, und der Wegfall der Bahn-Fernverkehrshalte Mitte Dezember wird sich wohl kaum positiv auf die Übernachtungszahlen auswirken.
Eine Option, um wirtschaftlich zu wachsen, ist die Kreativwirtschaft. Bisher verlassen die in Weimar ausgebildeten Kreativen jedoch in Scharen die Stadt, wenn sie mit dem Studium fertig sind - unter anderem wegen des Mangels an urbanem Lebensgefühl. Friedhofsruhe auf dem Wielandplatz ist keine Lösung - sie kostet uns alle mehr, als sie den Anwohnern bringt.