von Sebastian Friedrich und Tim Kukral
Was wird aus der SPD? Spätestens seit dem Mitgliedervotum für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans scheint für viele Kommentatoren die Sache klar: " Die SPD hat ihren Untergang gewählt" ("Cicero)" und " schafft sich ab" (FAS). Die FAZ kommentiert " das Trauerspiel der SPD". Und die "Welt" findet: "Tatsächlich ist es noch schlimmer: Es hat nicht einmal mehr zum Trauerspiel gereicht." "Ob es die einst so stolze Sozialdemokratie überhaupt noch bis zum kommenden Parteitag schafft", ist laut FAZ " keineswegs mehr sicher". Der Parteitag ist am kommenden Wochenende. Für die "Welt" ist der Fall offenbar schon entschieden, sie schrieb schon am vergangenen Montag: " Die SPD gibt es nicht mehr." Und der "Tagesspiegel" ruft: " Adieu, Sozialdemokraten!"
Erkennbarer Trend in den Medien: "Beerdigt die SPD"
"Das große Gesellschaftsspiel 'Beerdigt die SPD' wird im deutschen Journalismus schon eine ganze Weile betrieben", meint Stefan Kuzmany, Leiter des Hauptstadtbüros von "Spiegel Online". "Das ist naheliegend: Die SPD tut ja auch selbst einiges dazu, um dieses Spiel zu befeuern." Im aktuellen Abgesang auf die Sozialdemokraten sieht Kuzmany aber auch einen medialen Mechanismus: "Wenn man den Untergang schon fünf Mal beschrieben hat, dann muss es immer noch eine weitere Steigerung geben. Es ist ein gewisser Automatismus: Es muss eben im nächsten Text immer noch eine Schraube weitergedreht werden als im vorherigen."
Journalismus versus Untergangsszenarien
Frank Capellan, Hauptstadtkorrespondent beim Deutschlandfunk, hat sich beim medieninternen Überbietungswettbewerb in Sachen SPD nicht beteiligt - betont aber, dass inhaltliche Kritik an dem Spitzenduo eine zentrale Aufgabe von Journalisten sei: "Ich halte es für angebracht, zu fragen: Was wollen sie machen? Was haben sie bisher gemacht? Welche Fehler haben sie gemacht? Um auch dem Hörer, dem Leser, dem Zuschauer zu vermitteln: Was sind das für Leute? Kann man denen zutrauen, die SPD zu führen?"
Zu wenig Erfahrung bei Esken?
Journalisten und Journalistinnen werfen vor allem Esken vor, sie habe nicht genug Erfahrung für das Amt als SPD-Vorsitzende. Eine "Hinterbänklerin", die in der Vergangenheit unter anderem stellvertretende Vorsitzende im Landeselternbeirat von Baden-Württemberg war. In einem Interview mit dem "Tagesspiegel" darauf angesprochen, beschreibt sie kurz ihre Tätigkeit im Landeselternbeirat und bekräftigt dann, dass sie sich zutraut, "die SPD wieder zusammenzuführen". Wolfgang Schmidt, Staatssekretär im Finanzministerium von Olaf Scholz, teilt daraufhin eine gekürzte Fassung von Eskens Aussage auf Twitter.
Der Tweet entfaltet seine Wirkung: Im politischen Berlin gilt Esken seitdem vielen als "die Elternvertreterin" - eine Frau, die ihre Fähigkeiten überschätzt und es nicht schaffen wird, die "Schlangengrube" SPD zu führen. Auch Capellan sieht in Eskens Aussage einen "Schnitzer", sagt aber: "Dass sowas dann auf die Goldwaage gelegt wird von Journalisten und immer wieder aufgegriffen wird, das kommt dann schnell rüber als Überheblichkeit - was Kollegen von mir dann auch vorgeworfen wird. Aber so ist nun mal auch das Mediengeschäft."
"Hinterbänklerin" versus "nah an der Lebensrealität der Bürger"
Stefan Kuzmany ("Spiegel Online") findet es weniger problematisch, dass Esken ihr Amt als stellvertretende Landeselternvertreterin mit dem SPD-Vorsitz vergleicht. Sein Eindruck: "Diese Frau ist wahrscheinlich näher an der Lebensrealität der meisten Bürgerinnen und Bürger dran als sehr viele andere Spitzenpolitiker - oder eben auch Journalisten, die sich über solches Engagement lieber lustig machen, als es vielleicht selbst zu leisten."