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Nationalsozialneoliberal. Sozialdemagogen und Unternehmerfreunde - Wirtschafts- und sozialpolitische Konzepte der AfD

In den kommenden Tagen erscheint im Münsteraner Unrast-Verlag der von Andrea Becker, Simon Eberhardt und Helmut Kellershohn herausgegebene Sammelband »Zwischen Neoliberalismus und völkischem ›Antikapitalismus‹«. Wir veröffentlichen daraus redaktionell gekürzt und mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren den Aufsatz von Simon Eberhardt und Sebastian Friedrich. (jW)
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Die AfD spielt bei der Formierung der Rechten eine entscheidende Rolle, denn sie bietet die Plattform, auf der sich die unterschiedlichen Fraktionen und Akteure sammeln und – öffentlich stark beachtet – ihre Positionen diskutieren. Dabei lassen sich im wesentlichen drei Strömungen ausmachen: eine nationalkonservative, eine nationalneoliberale und eine völkische. Ideologisch gibt es, allen Streitigkeiten zum Trotz, Überschneidungen zwischen diesen Strömungen. Der kleinste gemeinsame Nenner ist eine als unveränderlich unterstellte Ungleichheit zwischen Kollektiven wie zwischen Individuen, die sozialdarwinistisch beantwortet wird: Der Stärkere setzt sich zurecht gegenüber dem Schwächeren durch.

Trotzdem bergen die inneren Widersprüche des noch immer fragilen Bündnisses dieser rechten Strömungen erhebliche Konfliktpotentiale. Dabei geht es vor allem um zwei Konfliktfelder. Erstens drängt der völkische Flügel innerhalb der AfD auf eine engere Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Kräften aus dem Pegida-Umfeld und versteht die AfD als eine »bewegungsorientierte« Partei. Sich gemäßigt gebende Kräfte aus den nationalneoliberalen und nationalkonservativen Flügeln bemühen sich dagegen um ein moderates Image und legen den Schwerpunkt auf die parlamentarische Arbeit.

Dieser Richtungskampf hatte bereits 2014 außerhalb der AfD zu Verwerfungen geführt, als sich das Institut für Staatspolitik (IfS) bzw. das jungkonservative Lager der »Neuen Rechten« spaltete. In der Frage, wie man sich zur AfD verhalten solle, konnte keine Einigung erzielt werden. Karlheinz Weißmann, der (wie auch Dieter Stein, Chefredakteur der Wochenzeitung Junge Freiheit) in der AfD eine realpolitisch agierende »seriöse bürgerliche Alternative« zu den Unionsparteien sah, zog sich als wissenschaftlicher Leiter aus dem IfS zurück. Damit war der Weg frei für eine neue Formation der »Neuen Rechten«, die nach kurzem Hin und Her auf die Formierung einer an die Nationalrevolutionäre der 1920er Jahre erinnernden »Widerstands«-Bewegung zielte und seither für eine Fundamentalopposition plädiert. Das IfS um Götz Kubitschek setzt auf ein bislang informelles Netzwerk, das neben dem Institut und der Gruppe um die Zeitschrift Blaue Narzisse auch den völkisch-nationalen Zusammenschluss innerhalb der AfD (»Der Flügel«) und Teile der »Jungen Alternative«, die Compact-Gruppe und die »Identitäre Bewegung« umfasst.

Die größten inhaltlichen Differenzen bestehen allerdings in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen. Dabei hat die rhetorische Hinwendung zu den »kleinen Leuten« in den vergangenen Jahren Differenzen hinsichtlich der konzeptionellen Vorstellungen deutlich gemacht.

Ansprache an die »kleinen Leute«

Die AfD hat früh erkannt, dass sie besonders bei den sogenannten Abgehängten und Teilen der Arbeiterklasse ein großes Wählerpotential hat. In einem internen Strategiepapier aus dem Jahr 2016 macht sie »Bürger mit unterdurchschnittlichem Einkommen« in »prekären Stadtteilen« als eine ihrer Zielgruppen aus. Spätestens seit den Landtagswahlkämpfen im Jahr 2016 versucht sie auch verstärkt, diese Gruppen anzusprechen. Entsprechend besteht weitgehende Einigkeit innerhalb der AfD, sich zumindest verbal als Partei des »kleinen Mannes« zu präsentieren. Selbst der BWL-Professor Jörg Meuthen vom nationalneoliberalen Flügel, der die gesetzliche Rente abschaffen will, sieht die »kleinen Leute« vernachlässigt – zumindest die »schon länger hier Lebenden«, nicht jedoch die »noch nicht so lange hier Lebenden«, wie er die rassistische Einteilung der Bevölkerung in einem Facebook-Posting vom März 2019 umschreibt. Die Botschaft lautet: Wir sind die letzten Vertreter der Interessen des hart arbeitenden Deutschen. Das wird auch anhand der AfD-Wahlwerbeplakate deutlich, auf denen häufig die soziale Frage thematisiert wurde. Beispiele: »Vertritt die Interessen der kleinen Leute, statt sie zu verraten« (AfD NRW 2017) oder »Arbeit muss sich wieder lohnen! Sozial ohne rot zu werden« (AfD Bayern 2018).

Der Absicht, unter den Arbeitern Wähler zu gewinnen, liegt zugrunde, dass ein Teil der AfD-Wähler »soziale Gerechtigkeit« als wichtiges Themenfeld für die Wahlentscheidung angibt. »Das Flüchtlingsthema war für 54 Prozent der AfD-Wähler entscheidend, gefolgt von sozialer Gerechtigkeit mit 48 Prozent.« (Taz, 5.9.2016) Ähnliche Ergebnisse hat die 2017 veröffentlichte Studie des Instituts für deutsche Wirtschaft ergeben. »Die Entwicklung der Kriminalität und der soziale Zusammenhalt des Landes rangieren ebenfalls weit oben.« (FAZ, 18.3.2017) Auf diese Entwicklung reagieren führende Köpfe der AfD wie Alexander Gauland: Er spricht vom »schamlosen Reichtum« und vielen »Leute[n], die sehr, sehr hart arbeiten müssen«.

Die AfD konnte ihre Wählerschaft neben den anfangs dominierenden Wohlsituierten im Laufe der Jahre tatsächlich um Teile der Arbeiterklasse erweitern: vor allem weiße, männliche Facharbeiter mittleren Alters und mittlerer Qualifikation und – wenngleich in geringerem Maße – »Abgehängte« und Erwerbslose

Neoliberales Programm der AfD

Doch trotz aller Bekundungen der AfD, ihr sozialpolitisches Profil schärfen zu wollen, fährt sie programmatisch einen unternehmerfreundlichen Kurs. Das zeigt etwa ein Blick in das Grundsatzprogramm der Partei, wo es direkt zu Beginn heißt: »Je mehr Wettbewerb und je geringer die Staatsquote, desto besser für alle.« Die Wirtschaft regele sich im Kern selbst, und der Staat habe sich rauszuhalten und laut AfD-Grundsatzprogramm auf folgende Punkte zu beschränken: »Innere und äußere Sicherheit, Justiz, auswärtige Beziehungen und Finanzverwaltung.«

Trotz der Austritte von Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel (2015) sowie Frauke Petry (2017) ist die nationalneoliberale Strömung innerhalb der AfD immer noch stark. Zu diesem Flügel zählen Alice Weidel, Jörg Meuthen und Beatrix von Storch. Konkurrenz und Eigenverantwortlichkeit sind Kernbegriffe dieses Parteiflügels. Es geht darum, den unternehmerischen Geist zu wecken, und dafür brauche es Deregulierungen und Bürokratieabbau »auf breiter Front«. Inhaltlich konnte sich der nationalneoliberale Flügel im Grundsatzprogramm fast komplett durchsetzen, und so liegt die Steuerpolitik der AfD ganz auf Unternehmerlinie: ein einfacheres und gerechteres Steuersystem, also Steuererleichterungen für Unternehmen, Besserverdienende und Hausbesitzer, eine Überprüfung der Gewerbesteuer, die Abschaffung der Vermögens- und Erbschaftssteuer.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Sichert klang bei einer Rede im Januar 2018 wie ein Vertreter der FDP: »Das mit Abstand beste Programm zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsabschwung sind nicht aufgeblähte Töpfe der Sozialversicherungen, sondern ist der Abbau von Bürokratie, Abgaben und Steuern.«

Christoph Butterwegge, Gudrun Hentges und Gerd Wiegel benennen in ihrem Buch »Rechtspopulisten im Parlament« das Hauptargumentationsmuster der AfD hinsichtlich der Wirtschafts- und Sozialpolitik: »Finanzlücken und Kürzungsmaßnahmen im Sozialbereich werden grundsätzlich auf Kosten zurückgeführt, die als Folge der vermehrten (Flucht-)Migration entstanden sind. Damit spielt man jedoch Arme (einheimische Geringqualifizierte) gegen noch Ärmere (Geflüchtete) aus, obwohl beide Opfer einer kapitalkräftigen und mächtigen dritten Interessengruppe sind, vor deren Lohndumping und Ausbeutung im Niedriglohnbereich sie gemeinsam bewahrt werden müssten.« Ihr Fazit: Die AfD »inszeniert sich zwar als Sprachrohr der sozial Benachteiligten, ist aber letztlich eine Partei der Privilegierten«.

Trotz der kapitalfreundlichen Programmatik und des neoliberalen Gebarens der Fraktion im Bundestag sind die Stimmen derer lauter geworden, die die soziale Frage stärker betonen wollen. Das liegt an verschiedenen Faktoren: der beschriebenen Erweiterung der Wählerschaft, dem Rechtsruck innerhalb der AfD und der daraus folgenden Stärkung des völkisch-sozialdemagogischen Höcke-Flügels.

Die Rechte in Deutschland war mehrheitlich nationalneoliberal orientiert. Diese Ausrichtung steht nun zumindest zur Debatte. Innerhalb der AfD ist es nicht nur der völkisch-soziale Flügel um Björn Höcke allein, der die Bedeutung der sozialen Frage in den Vordergrund stellt. Das zeigt das Beispiel des Bundesvorstandsmitglieds Guido Reil und die »Alternative Vereinigung der Arbeitnehmerschaft« (AVA), die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die »größte gesellschaftspolitische Bevölkerungsgruppe zur aktiven Mitarbeit« innerhalb der AfD zu gewinnen: die Arbeitnehmer. Guido Reil – Bergmann, 26 Jahre lang Mitglied der SPD und 2016 der AfD beigetreten – und die AVA sind im Gegensatz zu »Alarm«, dem »Alternativen Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland«, nicht dem Höcke-Flügel zuzuordnen.

Völkisch und sozial exklusiv

Für den völkisch-sozialen Flügel ist die Hinwendung zu den »kleinen Leuten« keine rein wahltaktische Frage, sondern auch eine ideologische. Die Vordenker dieses Flügels beziehen sich auf »nationalrevolutionäre« Ideen, die in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland nur noch in isolierten Neonazizusammenhängen ihren Platz gefunden hatten. Mittlerweile sind Intellektuelle, die sich an solchen Ideen orientieren, sowohl innerhalb der »Neuen Rechten« im Allgemeinen als auch innerhalb ihrer zentralen Denkfabrik, dem IfS, im Besonderen, wieder verstärkt zu vernehmen. Neben Götz Kubi­tschek spielt Benedikt Kaiser eine zentrale Rolle für das Institut. In seinem Buch »Blick nach links« spricht sich Kaiser gegen die Neoliberalisierung der Rechten aus und fordert dazu auf, sich der sozialen Frage anzunehmen – aus wahlstrategischen Erwägungen wohlgemerkt: Das neoliberale Wirtschafts- und Sozialprogramm widerspreche den Interessen jener Wähler, die die AfD wegen ihrer sozialen Slogans wähle. »Will man sich nicht des Etikettenschwindels schuldig machen, muss daher eine sozial- und gesellschaftspolitische Abwendung vom herrschenden Ungeist des Neoliberalismus und seiner Ausrichtung auf die ökonomistische Verwertungslogik erfolgen.«

Philip Stein, Autor, Verleger und Leiter des neurechten Projekts »Ein Prozent«, schreibt im Vorwort des Sammelbandes »Marx von rechts«, dass die Rechte von Marx lernen könne, wie der Kapitalismus funktioniert. Stein und Kaiser versuchen innerhalb des intellektuellen rechten Spektrums, eine völkisch-»antikapitalistische« Strömung wiederzubeleben. Sie knüpfen an jene »Nationalrevolutionäre« an, die bereits in den 1960er und 1970er Jahren – vergeblich – um Einfluss in Deutschland rangen. In den Folgejahren landeten etliche Repräsentanten dieser Strömung im Neonazispektrum, während die »rechtspopulistischen« Parteiprojekte, die ab den 1980er Jahren entstanden, eine streng neoliberale Linie verfolgten. Auch in der deutschen Neuen Rechten spielten die »Nationalrevolutionäre« keine gewichtige Rolle. Der Fokus lag mehr auf gesellschaftlichen Diskursen: Meta- statt Realpolitik lautete die Devise. Es ging eher um eine traditionell romantische und kulturpessimistische Ausrichtung; Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik kamen allenfalls am Rande vor.

Der Einfluss von Stein und Kaiser auf den völkisch-sozialen Flügel darf nicht unterschätzt werden. Es gibt seit Jahren einen engen Austausch zwischen Kubitschek und Höcke, und die Konferenzen des IfS sind ein zentraler Vernetzungsort der AfD mit den außerparlamentarischen rechten Kräften. Höcke spricht über das IfS von einer »Oase der geistigen Regeneration«. Und auch in der politischen Praxis ist bei ihm zu sehen, wie er versucht, die soziale Frage innerhalb der AfD zu etablieren. Die ist für Höcke jedoch nicht eine zwischen Kapital und Arbeit, sondern es geht ihm um die Verteilung des »Volksvermögens von innen nach außen«, eine Ethnisierung der sozialen Frage. Der Sprecher der thüringischen AfD redet auch von der Verteidigung sozialer Errungenschaften »gegen die zerstörerischen Kräfte des Raubtierkapitalismus«. Der AfD-Mann Wolfgang Gedeon wiederum will den Kampf gegen den Raubtierkapitalismus oder die »Finanzindustrie« mit der Verteidigung der deutschen Souveränität verknüpfen, wie er in seiner Broschüre »Grundlagen einer neuen Politik« schreibt. Höcke kommentierte die Broschüre wie folgt: »Die Gedanken von Dr. Gedeon können einen wichtigen Beitrag zur Klärung unseres Selbstverständnisses leisten.«

Der völkisch-soziale Flügel begnügt sich nicht mit der programmatischen Debatte, sondern versucht auch, den 1. Mai von rechts zu besetzen und mit dem Motto »Sozial ohne rot zu werden« zu mobilisieren. Im April 2018 wollte Höcke an der Demonstration der Beschäftigten gegen die Schließung des Opel-Werks in Eisenach teilnehmen, wurde jedoch von der Demo abgedrängt und ausgeschlossen.

Der gesamte Themenkomplex wird weiter an Brisanz innerhalb der AfD gewinnen, da Höcke per Antrag auf dem letzten Bundesparteitag im Juni 2018 in Augsburg durchsetzte, dass es im Herbst 2019 einen Parteitag zur Sozialpolitik geben wird. Dennoch bleiben Hinweise auf eine angeblich sozialere Politik dürftig. So spricht auch Höcke in einem Interview anlässlich der Landtagswahl in Thüringen 2014 von einem Sozialstaat, der in den vergangenen Jahren »zu sehr aufgebläht« wurde – und führt weiter aus, dass »wir« auf Dauer »Abstriche am Sozialstaat in der bisherigen Form machen müssen« (Thüringische Landeszeitung, 21.7. 2014). Und auch Philip Stein, der meint, dass der »neue, zukunftsweisende Antikapitalismus« von rechts komme, spricht im gleichen Atemzug von einem »tatsächlich überbordenden Sozialstaat«.

Der Versuch, die Rechte – wie auch immer – »sozialer« auszurichten, dürfte für Kaiser, Stein und Co. schwierig werden, denn die Kräfteverhältnisse sowohl in der Partei als auch innerhalb der Rechten stehen nicht zu ihren Gunsten. Vor allem aber gibt es einen inneren Widerspruch, denn letztlich wird auch das Soziale immer dem Volk untergeordnet. Im erwähnten Sammelband »Marx von rechts« schreibt Philip Stein: »Von Marx lernend, dabei überholten und ideologischen Ballast zurücklassend, können wir als kapitalismuskritische Rechte fortschreiten und endlich wieder auf das hinarbeiten, was unser aller Ziel sein sollte: die Einheit.« Das letzte Wort in diesem Zitat ist das entscheidende, denn aller Marx-Lektüre zum Trotz geht es den Rechten nicht um Klassenkampf. Im Gegenteil, sie lehnen diesen zugunsten einer allumfassenden geschichtlichen Einheit – »dem Volk« – explizit ab, wie Stein schreibt.

Auch Kaiser rezipiert in einem längeren Aufsatz über Karl Marx eine Marx-Lektüre ohne Klassen und Klassenkampf: »Das Herrschende im Kapitalismus ist das Kapital, nicht der Kapitalist und der Großgrundbesitzer«. Mit einer solchen Lesart können Rechte ihr politisches Subjekt als »Volk« oder »Nation« definieren – also jenseits aller Klassen und Klassenspaltungen.

Ordnungsstaat statt Sozialstaat

Auf der anderen Seite stehen die Nationalneoliberalen. Diese dominierten klar die Gründungszeit der AfD. Die Partei orientierte auf die Binnenwirtschaft und eher auf klein- und mittelständische Unternehmen. Dieser Tenor war vorherrschend in der Anfangszeit mit zen­tralen Akteuren wie Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel. Thomas Sablowski und Frederic Heine haben in ihrer Studie »Die Europapolitik des deutschen Machtblocks und ihre Widersprüche. Eine Untersuchung der Positionen deutscher Wirtschaftsverbände zur Eurokrise« aus dem Jahr 2013 herausgearbeitet, dass die nationalkonservativen und orthodox neoliberalen Kräfte aus den Kreisen der Familienunternehmer in der AfD ihren parteipolitischen Ausdruck gefunden haben. Diese Verbindung wurde in den vergangenen Jahren schwächer, da die AfD mit ihrer Entwicklung nach rechts für den Verband der Familienunternehmer öffentlich nicht tragbar ist.

Dennoch gibt es weiterhin enge, wenngleich nicht offensichtliche Verbindungen zur Kapitalseite. Der Draht zu den reaktionären Teilen der »Familienunternehmer« wird zumindest über den Umweg der Friedrich-A.-von-Hayek-Gesellschaft gehalten, die mittlerweile klar von rechts dominiert wird. Zudem umgarnt die AfD eine weitere Gruppe der Kapitalseite: das Immobilienkapital. Das zeigt das Beispiel Berlin, wo die Themen Wohnen und Miete im Wahlkampf zur Abgeordnetenhauswahl 2016 zentral waren. Im Wahlprogramm spricht sich die AfD gegen die Mietpreisbremse, für mehr Eigenverantwortung und marktwirtschaftliche Anreize, niedrigere Steuern und weniger Bürokratie aus, um auf diese Weise mehr Wohnraum zu schaffen. Die weiteren Punkte verdeutlichen, dass hier Inte­ressen des Immobilienkapitals vertreten werden. So möchte die AfD die Grunderwerbssteuer von 6,0 Prozent auf 3,5 Prozent senken.

Nicht nur programmatisch, sondern auch personell lässt sich eine Verknüpfung zwischen der AfD Berlin und dem Immobilienkapital finden. Frank-Christian Hansel etwa war von 2002 bis 2012 Deutschland-Geschäftsführer der spanischen Immobilien-AG Metrovacesa, die sich vor allem auf Luxuswohnungen spezialisiert hat. Kristin Brinker war nach ihrer Tätigkeit beim Bund der Steuerzahler Berlin ebenfalls in der Immobilienbranche und im Immobilienmanagement tätig. Die beiden sitzen heute für die AfD im Abgeordnetenhaus. Und die Branche spendet, beispielsweise Wolfgang von Moers, geschäftsführender Gesellschafter von WvM Immobilien und Projektentwicklung GmbH, in den Jahren 2016 und 2017. Nachdem das Bündnis »Köln gegen rechts« dessen Spende an die AfD öffentlich gemacht hatte, hieß es in einer Antwort auf dem offiziellen Facebook-Account von WvM Immobilien, dass Wolfgang von Moers an AfD und CDU gespendet habe und sich gegen die Mietpreisbremse ausspreche. Gegenüber dem Kölner Stadtanzeiger sprach Moers davon, dass die AfD ein »wichtiger Impulsgeber für die deutsche Politik« sei.

Neben den Verbindungen zur Immobilienbranche wurden vor allem ab 2018 immer mehr Spendenaffären rund um die AfD aufgedeckt. Recherchen von Spiegel und »Report Mainz« entdeckten eine »Spur der Meuthen-Strohleute zum umstrittenen Immobilien-Milliardär Henning Conle«. Die Süddeutsche Zeitung geht von einer Verbindung des Milliardärs August von Finck zu möglichen Großspenden an die AfD aus.

Konzeptionell hat der nationalneoliberale Flügel dem völkisch-sozialen vieles voraus. Die Vordenker können sich auf eine lange Linie des nationalkonservativ-wirtschaftsliberalen Diskurses beziehen. Dimitrios Kisoudis bekennt sich zum »Ordnungsstaat«. Der Autor diverser AfD-naher Publikationen und Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Martin Hess positioniert sich klar gegen die Versuche, dem rechten Projekt ein sozialpolitisches Profil zu geben. »Der Sozialstaat ist nicht die Lösung, sondern das Problem«, selbst wenn er nur für Deutsche vorgesehen sei. Aufgabe des Staates sei vielmehr, die Bürger vor Gewalt zu schützen. Der Ordnungsstaat ist explizit ein autoritärer Staat, kein Rechtsstaat: »Der Rechtsstaat, wie er Anfang der fünfziger Jahre als Chance bestand, lässt sich nicht ohne weiteres auf unsere Zeit übertragen.« Der Rechtsstaat setze eine zivilisierte und befriedete Gesellschaft voraus; eine Gesellschaft, die es heute nicht mehr gebe: »Niemand ist nirgendwo mehr sicher.« Dies behauptet Kisoudis, obwohl die veröffentlichte Zahl der polizeilich erfassten Fälle von Gewaltkriminalität seit gut zehn Jahren kontinuierlich sinkt.

»Wie einst der Rechtsstaat den Obrigkeitsstaat verdrängt hat und später der Sozialstaat den Rechtsstaat«, schreibt Kisoudis, »so gelangen heute ursprünglichere Vorstellungen vom Staat zu ihrem Recht. Mit der Massenzuwanderung junger Muslime steigen die Gewaltpotentiale im ganzen Land. Wo und wann sie sich verwirklichen, ist unvorhersehbar. Die Grenzen zwischen sexueller Gewalt, Bandenkriminalität und Terrorismus verschwimmen.« Der Staat müsse sich daher wieder auf die Kernaufgaben besinnen, die da wären: Polizei und Militär.

Ferdinand Lassalle hätte den Staat, der Kisoudis vorschwebt, vielleicht als autoritären Nachtwächterstaat bezeichnet. »Der Staat hat aber zuerst einmal die Grenzen zu sichern, das Land zu verteidigen, die innere Sicherheit zu gewährleisten und für Ruhe und Ordnung zu sorgen«, so Kisoudis. Der Ordnungsstaat ist nicht nur autoritär, sondern auch traditionell und sei deshalb eben nicht sozial ausgerichtet: »Ein sozialer Staat wird immer mit der Familie um die soziale Funktion konkurrieren und danach trachten, seine Konkurrenten auszuschalten.« Sozial ist er nicht, denn: »Der starke Staat ist ein schlanker Staat«; mehr noch: Deutschland brauche »eine größere Dynamik im Niedriglohnbereich«. Der Ordnungsstaat wendet sich ab vom liberalen Kapitalismus westlicher Prägung – und orientiert sich nach Osten: Kisoudis spricht sich »für die Ordnungsmodelle des Ostens und gegen die Unordnungsmodelle des Westens« aus.

Waffenstillstand

Die Positionen Kisoudis stehen im Widerspruch zu denen Höckes. Hier die wahrscheinliche Variante eines im Kern autoritär-nationalneoliberalen Konzepts mit leichten exklusiv-sozialen Anleihen. Dort das völkisch-exklusive »soziale« Konzept. Im Moment herrscht Waffenstillstand zwischen den beiden Flügeln und beide pochen auf Einigkeit gegen äußere Feinde. Diese vorübergehende Einigkeit kann aber durch Misserfolge, taktische Fehler oder parteiinterne Gegenstrategien aufgebrochen werden: der Aufbau einer »Bewegungspartei«, die auf einen »vollständigen Sieg« (Höcke) hinarbeitet, gegen den Versuch, eine rechte Wahlpartei aufzubauen, die eine Regierungsbeteiligung anstrebt und den Diskurs langsam nach rechts verschieben möchte.

Aktuell hält die ideologische Klammer des rechten Projekts, bei der Rassismus und Nationalismus zentral sind. Bei den Themen Geflüchtete und Muslime besteht über die rechten Strömungen hinweg weitgehend Übereinstimmung – eine Einigkeit, die Einheit schafft, gute Wahlergebnisse bringt und die vielen potentiellen Streitpunkte schlichtet.

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