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"Querdenker" demonstrieren länderübergreifend gegen Corona-Einschränkungen

Video: rbb|24 | 28.11.2020 | Material: TeleNewsNetwork | Bild: rbb/Andreas Oppermann

Hunderte Gegner der Corona-Maßnahmen aus Deutschland und Polen haben in Frankfurt (Oder) demonstriert. Zwar hatte der "Querdenken"-Gründer zum Einhalten der Regeln aufgerufen, viele aber trugen keine Maske. Von G. Russew, U. Schleiermacher und R. Schwaß

An der Stadtbrücke zwischen Frankfurt (Oder) und dem polnischen Slubice haben sich am Samstag mehrere Hundert Menschen zu einer Kundgebung versammelt. Sie protestierten damit gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie.

An einer von der "Querdenken"-Bewegung angemeldeten Versammlung nahmen nach Polizeiangaben vom Samstagnachmittag 800 bis 1.000 Demonstranten teil, darunter auch Neonazis und Teilnehmer anderer Veranstaltungen der Bewegung. Die Polizei hatte zwischenzeitlich von 2.000 Teilnehmern gesprochen, ihre Angaben kurz darauf aber nach unten korrigiert.


Unter den Demonstranten waren auch rund 300 Menschen einer polnischen Versammlung, die mit dem dortigen Bündnis "Streik der Unternehmer" über die Oder nach Frankfurt zogen. Sie beschworen die deutsch-polnische Einheit und nannten ihre Versammlung eine "Feier für die Freiheit". Neben polnischen Flaggen waren auch Regenbogenfahnen zu sehen.

Zeitgleich versammelten sich rund 150 Gegendemonstranten am Bahnhof von Frankfurt (Oder) und zogen durch die Stadt. Hierzu hatte das Bündnis "Kein Ort für Nazis in Frankfurt (Oder)" unter dem Motto "Maskenball statt Corona-Leugner*innen!" aufgerufen. Auf Facebook erklärte es sich solidarisch mit Risikogruppen, Krankenhauspersonal und denen, deren Existenz durch die Krise bedroht ist. "Wir sagen Nein! zu Angstmacherei, Falschbehauptungen, Rücksichtslosigkeit und Verschwörungsmythen", schrieben sie dort.


Größere Zwischenfälle meldete die Polizei nicht. Allerdings hielt sich eine Mehrzahl der Demonstranten weder an die Maskenpflicht noch an den Mindestabstand. Vor allem am Frankfurter Oderufer, wo die Hauptveranstaltung der "Querdenker" stattfand, standen die Menschen dicht gedrängt.

Per Lautsprecherwagen und Videotafeln wies die Polizei immer wieder auf die Einhaltung der Hygienemaßnahmen hin. Oft wurden diese Aufrufe mit Pfiffen begleitet. Die Beamten ließen die Demonstranten letztlich gewähren. "Das Recht auf Versammlungsfreiheit ist höher zu bewerten, als die begangenen Ordnungswidrigkeiten", sagte Polizeisprecher Ingo Heese dem rbb. Allerdings sei man mit dem Versammlungsleiter im stetigen Austausch, dass er zur Einhaltung der Hygienemanahmen drängt. Insgesamt war die Polizei mit mehreren Hundert Beamten im Einsatz.


"Querdenken"-Gründer Michael Ballweg aus Stuttgart, der als Redner am Oderufer auftrat, wandte sich gegen Extremismus. "Wir sind eine friedliche Bewegung, in der Extremismus, Gewalt, Antisemitismus und menschenverachtendes Gedankengut keinen Platz hat", sagte er. Die Menge skandierte, dass sie mitnichten Rechtsextremisten seien. Man werde sich noch gegen die "Drangsalierungen" des Staates noch mit Protest wehren können, hieß es.

Ein Mann, der keine Maske trug, sagte am Rand der Demo dem rbb, dass es viel zu viele Verordnungen gebe und das sei die eigentliche Bedrohung. Niemand könne ihm erklären, was man positiv gegen Corona unternehmen könne. Es sei beispielsweise gestern tanken gewesen. Da habe die Kassiererin von ihm verlangt, dass er eine Maske aufsetzen solle. "Ich sag, ich trage keine Maske. Können Sie mir ne andere Möglichkeit bieten, wie ich bezahlen kann? Sagt sie: "Nö!" und hat mich praktisch rausgeschmissen." Das sei ungerecht, beklagte sich der Mann.

Die Initiative "Querdenken" zweifelt die Corona-Maßnahmen an und spricht von einer Einschränkung der Grundrechte. Auf einer Papp-Figur bei der Demo in Frankfurt (Oder) stand zum Beispiel "Voodoo Virus Wahn", auf einem Plakat "Wer in der Corona-Krise schläft, wacht in der Diktatur auf!". Ein Teilnehmer trug einen gelben Schutzanzug und ein Schild mit der Aufschrift "Totale Hygiene" in Frakturschrift.


Erneut erfolgte keine Distanzierung von Neonazis. Seite an Seite wurde mit Rechtsextremisten wie Maik Schneider demonstriert. Schon zweimal hatte ihn das Potsdamer Landgericht wegen eines Brandanschlags auf eine Nauener Turnhalle verurteilt, die als Flüchtlingsunterkunft dienen sollte. Das erste Urteil fiel jedoch beim Bundesgerichtshof (BGH) durch. Über das zweite soll am 25. Februar in Leipzig erneut befunden werden. Bis dahin ist der 33-jährige ehemalige Nauener NPD-Stadtverordnete auf freiem Fuß.

Auch daher nehmen die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern die Veranstaltungen der "Querdenken"-Bewegung genauer in den Blick, da auch andernorts mehrfach Extremisten aufgetaucht waren.

Die Veranstalter hatten die Kundgebung als große Verbrüderung von Gegnern der Pandemie-Eindämmung in Polen und Deutschland angekündigt. Erreicht haben sie einen demonstrativen Zusammenschluss auf der Stadtbrücke mit einer polnischen Protest-Initiative, dem Streik der Unternehmer, einer kleinen Gruppe aus Stettin aus dem Milieu der Gewerbetreibenden.

"Wir sind heute hier nicht, um für etwas zu demonstrieren, sondern um zu feiern", erklärte Pawel Tanajno von der Streik-Initiative dem rbb. Die Freiheit sei eingeschränkt, es gebe Defizite, nicht nur in Polen, sondern auch viele Beschränkungen, die keine Sicherheit böten. "Es gibt keine Garantie, was im Kampf gegen das Coronavirus hilft", so Tanajno.


Nach Einschätzung des Frankfurter Oberbürgermeisters René Wilke (Linke) stand die Demonstration keinesfalls für die Stadtgesellschaft. "Es waren eindeutig zum großen Teil Menschen von außerhalb. Ich habe kaum Frankfurterinnen und Frankfurter gesehen: viele, die geguckt haben, was passiert, und einige auf der Gegendemonstration", sagte er dem rbb.

Die Zahl der Corona-Infektionen steigt in Deutschland und Polen. In Deutschland meldeten die Gesundheitsämter dem Robert Koch-Institut (RKI) 21.695 neue Corona-Infektionen innerhalb von 24 Stunden und 379 neue Todesfälle, wie das RKI am Samstag mitteilte. Bund und Länder haben zahlreiche Beschränkungen verlängert, im Dezember sollen verschärfte Regeln für Treffen gelten. In Polen kamen nach Angaben der Regierung zuletzt rund 15.000 Corona-Infektionen und 599 Todesfälle innerhalb von 24 Stunden hinzu. Allerdings gehört Polen zu den Ländern in Europa mit der niedrigsten Zahl an durchgeführtenTests je 100.000 Einwohner, wie aus Daten der EU-Gesundheitsagentur ECDC hervorgeht.

Sendung: Brandenburg Aktuell, 28.11.2020, 18:30 Uhr Was Sie jetzt wissen müssen

Beitrag von Georg-Stefan Russew, Uta Schleiermacher und Robert Schwaß

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