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Ohne Rechte bleibt nur die Strasse

(Eine Welt) 

Trotz wirtschaftlichem Aufschwung gehört Kambodscha nach wie vor zur Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Armut ist weit verbreitet, zudem leidet die Bevölkerung unter fehlenden rechtsstaatlichen Strukturen. Ihre zunehmenden Proteste richten sich insbesondere gegen ausbleibende Landrechtsreformen sowie miserable Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie.

Tep Vanny ist ihre Nervosität anzumerken. Die 33-jährige Landrechtsaktivistin sitzt mit zwei Mitstreiterinnen auf der hinteren Bank einer AutoRikscha. Sie trägt ein schwarzes Hemd und hat sich einTuch mit traditionell kambodschanischem Karo-Muster um den Kopf gebunden. Die Frauen sind zusammen mit vielen anderen auf dem Weg zu einem Protest im Freedom Park im Zentrum von Phnom Penh. Der Weg führt vorbei an Business-Hochhäusern und teuren Geschäften, die in den vergangenen Jahren in der Innenstadt entstanden sind und die vom wirtschaftlichen Aufschwung Kambodschas zeugen.

«Ich habe Angst, weil dort unzählige Polizisten sein werden»,sagt Tep Vanny und tippt eine Nachricht in eines der zwei Handys, die sie bei sich trägt. «Am schlimmsten sind die Schläger der Regierung.»

Am Strassenrand sind immer mehr Polizisten zu sehen. Manche von ihnen tragen Maschinengewehre. Die Regierung hat nach massiven Protesten im vergangenen Jahr ein absolutes Versammlungsverbot verhängt. Diese begannen nach den Parlamentswahlen im vergangenen Juli, welche die Regierung angeblich knapp gewonnen hat. Die Opposition jedoch erkennt das Ergebnis nicht an, doch die Regierung weigert sich, Neuwahlen abzuhalten.

Schlagstöcke gegen Demonstranten Die Proteste haben sich schnell zu Demonstrationen gegen die gravierendsten Missstände des Landes gewandelt. Landrechtsaktivisten und Textilarbeiterinnen haben sich den Oppositionsanhängern angeschlossen. Anfang Januar erschossen Militärpolizisten bei einem Protest fünf Demonstranten. DiesenVorfall hat die Regierung dazu genutzt, um Proteste ganz zu verbieten, angeblich aus Sicherheitsgründen.

Am Freedom Park angekommen, schliessen sich die Landrechtsaktivistinnen den etwa hundert Demonstranten an, die sich schon seit dem frühen Morgen hier versammelt haben. In einer angrenzenden Strasse stehen etwa doppelt so viele Polizisten mit Schilden und Schlagstöcken und Schläger der Regierung bereit.Diese meist jungen Männer tragen dunkelblaue Uniformen und schwarze Motorradhelme und haben ebenfalls Schlagstöcke. Offiziell gelten sie als «Sicherheitsleute», die Phnom Penhs Stadtverwaltung angestellt hat. In Wirklichkeit sind es Schläger der Regierungspartei. Plötzlich bauen diese sich an einem Ende des Platzes zusammen mit den Polizisten in zwei Reihen auf. Die Demonstranten marschieren auf die Sicherheitskräfte zu und stellen sich direkt vor sie. Tep Vanny, die Landrechtsaktivistin, steht ganz vorne und redet auf die Polizisten ein. Bevor die Konfrontation eskaliert, erklärt der Veranstalter die Kundgebung für beendet. Die Demonstranten verlassen nach und nach den Park.

Geschäftsviertel statt See Am Nachmittag sitzt Tep Vanny im Versammlungsraum ihrer Aktivistengruppe nahe dem ehemaligen Boeung Kak-See im Zentrum von Phnom Penh. Vor einigen Jahren hat die Regierung das gesamte Areal chinesischen Investoren verpachtet. Nun hat man damit begonnen, das Wasser aus dem grossen Innenstadtsee abzuleiten und ihn mit Sand aus dem nahe gelegenen Mekong zuzuschütten. In Sichtweite mehrerer Ministerien soll ein teures Geschäftsviertel entstehen, weswegen die Seeanwohner aufgefordert wurden, ihre Häuser zu verlassen. Tausende von ihnen sind auf das Angebot der Regierung eingegangen, gegen eine finanzielle Entschädigung von 8500 US-Dollar ihre Häuser zu räumen. Bei anderen haben Schläger nachgeholfen.Viele derVertriebenen sind in Auffanglager weit ausserhalb der Stadt gezogen oder haben sich Land in Armenvierteln gekauft, die vermutlich auch bald geräumt werden.

Von den einst über 4000 Familien, die in Boeung Kak gelebt haben, sind bereits mehr als 3200 vertrieben worden.«Die Regierung hat sich in ein offen diktatorisches Regime gewandelt», sagt Tep Vanny. «Sie respektiert die Menschenrechte nicht.»

Über eine Million droht Landverlust Seit dem Terrorregime der Roten Khmer gibt es in Kambodscha kaum noch Grundbucheinträge. Hohe Beamte und Politiker nutzen das, um ganze Dörfer zu räumen. Das Land wird dann häufig an ausländische Investoren verpachtet. Mehr als eine Million Kambodschaner sind davon bedroht, ihr Land zu verlieren.

Die Proteste der verbliebenen Boeung Kak-Bewohner waren relativ erfolgreich.Von den rund 700 Familien, die der aufgezwungenen Entwicklung nicht weichen wollten, haben mittlerweile fast alle offizielle Landtitel von der Regierung erhalten. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen und die Weltbank haben Druck auf die Regierung ausgeübt und sie so dazu gezwungen, vom ursprünglichen Plan, das gesamte Areal zu räumen, Abstand zu nehmen. «Momentan warten nur noch etwa 40 Familien darauf, ihre Landtitel zu erhalten», erklärt Tep Vanny.

Die Art und Weise, wie die Regierung Entwicklung betreibt, findet die Landrechtsaktivistin problematisch. «Die nehmen den Leuten ihre Häuser und ihr Land weg und zerstören dasWohlergehen der Familien. Leute werden ohne Grund festgenommen, es wird immer wieder Gewalt eingesetzt.» Es sei gerade so, sagt sie, als sehe die Regierung die Menschen des Landes als Gegner an. Dabei stehe sie der Entwicklung nicht negativ gegenüber, betont sie: «Aber diese muss allen Seiten gegenüber fair erfolgen.»

Proteste gegen Arbeitsbedingungen Auch Cheang Tida steht der Regierung kritisch gegenüber. Die 34-Jährige ist Betriebsrätin in einer Textilfabrik. Ende des vergangenen Jahres hat sie die Arbeiterinnen und Arbeiter in ihrer Firma dazu aufgerufen, sich den Streiks anzuschliessen, die damals kurzzeitig praktisch die gesamte Textilindustrie des Landes lahmgelegt haben. Ihre Forderung: eine Erhöhung des Mindestlohns von etwa 80 auf 160 US-Dollar im Monat.

Nach den ersten Protesten hat die Regierung den Mindestlohn erst auf 95 und kurz darauf auf 100 US-Dollar erhöht. Auf die geforderten 160 US-Dollar will sie nicht eingehen. Die Textilindustrie ist, neben dem Tourismus, die wichtigste Einnahmequelle des Landes. Kambodscha exportiert jedes Jahr Kleidung im Wert von rund fünf Milliarden US-Dollar. Mehr als 600 000 Menschen arbeiten in den zahlreichenTextilfabriken des Landes. Wegen der schlechten Arbeitsbedingungen in vielen Fabriken kommt es jedoch häufig zu Protesten.

Verbandelte Interessensgruppen Weil sie ihre Arbeitskolleginnen dazu aufgerufen hat, sich dem Proteststreik anzuschliessen, erzählt Cheang Tida, hat sich ihre Firma im Januar geweigert, ihren Arbeitsvertrag zu verlängern.Erst als die Kolleginnen für ihreWiedereinstellung protestiert hätten, habe die Firma sie wieder eingestellt. «Ich habe mich dem Streik angeschlossen, weil unser damaliger Lohn nicht einmal dafür ausgereicht hat, die alltäglichen Ausgaben zu decken», erzählt Cheang Tida. «In den letzten Jahren ist alles teurer geworden.»

Die Armee und die Polizei müssten die Arbeiterinnen eigentlich beschützen, sagt sie dann. «Stattdessen haben die sich auf die Seite der Unternehmer gestellt.» Sowohl Arbeitsrechtsorganisationen als auch Gewerkschaften weisen häufig darauf hin, dass viele Textilunternehmer enge Beziehungen zur Regierungspartei unterhalten.
Flucht in die Stadt CheangTida ist vor mehr als zehn Jahren vom Land nach Phnom Penh gekommen, um zu arbeiten. Die Lebensbedingungen in der Provinz seien noch schlechter als in der Hauptstadt, erzählt sie. Der ständig schwankende Preis für Agrarprodukte erschwere es vielen Menschen auf dem Land, ihren Lebensunterhalt durch Landwirtschaft alleine zu bestreiten.Aus ihrer Familie lebe derzeit nur noch ihre Mutter, der sie monatlich 15 bis 20 Dollar sende, im Heimatdorf. «Ich esse weniger, damit am Ende des Monats Geld für meine Mutter übrig bleibt», sagt Cheang Tida.

Sie und ihre Kolleginnen müssten zahlreiche Überstunden leisten,erzählt dieArbeiterin. Die Arbeitsbedingungen seien äusserst schwierig. «Es ist sehr heiss in der Fabrik. Die Luft ist staubig und mit Chemikalien aus den Stoffen durchtränkt.» Man könne es sich nicht vorstellen, wenn man es nicht erlebt habe, fügt sie hinzu. «Wir haben kein gutes Leben», sagt Cheang Tida dann. Oft könne sie sich nur das billigste Essen leisten. «Die Hunde der Reichen bekommen besseres Essen als wir Textilarbeiterinnen.»