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Estland: Ein Vorzeigeland bekommt den Euro - Estland

Die Sonne taucht die restaurierten Fachwerkhäuser in Tallinns Altstadt in ein warmes, gelbes Licht. Es ist abends, mitten im Mai. In den zahlreichen Cafés und Restaurants der Hauptstadt Estlands sitzen junge Leute und unterhalten sich. Neben einem Glas Wein oder Bier haben viele ihren Laptop stehen. Damit schicken sie dem Hausarzt noch ein paar wichtige Unterlagen oder telefonieren kostenlos mit Freunden in der ganzen Welt. Und mit dem Handy wird noch schnell das Parkticket fürs Auto verlängert. „In Estland ist das überall so", antwortet Maiken überrascht auf die Frage, ob das nur in der Hauptstadt Tallinn so üblich sei. So wie für die 22-jährige Mathematikstudentin, die nebenbei in einem Café arbeitet, ist es für die meisten der knapp 1,4 Millionen Esten selbstverständlich, überall und zu jeder Zeit das World Wide Web nutzen zu können.

1130 Hotspots

Das garantiert die Regierung sogar per Gesetz. Im ganzen Land, das in etwa so groß wie Niedersachsen ist, gibt es mehr als 1130 Hot-Spots, um kostenlos im Internet zu surfen. Und wer keinen Laptop hat, kann über einen der 700 öffentlichen Terminals in Postämtern, Bibliotheken oder im Dorfladen online gehen. Touristen mit dem alten Vorurteil, die Esten seien ein Volk, das mit Wölfen und Bären auf dem Land lebt, müssen dieses schnell über Bord werfen.

„Bereits 98 Prozent der Esten tätigen ihre Bankgeschäfte online", sagt Indrek Vimberg, Manager des ICT Demo-Centers in Tallinn. In dem 2009 neu geschaffenen Gebäude am Rand der estnischen Hauptstadt präsentiert sich ein modernes und innovatives Estland. Dort sollen IT-Unternehmen ihre Erfahrungen untereinander austauschen und ihre Produkte präsentieren können.

Schnell wird dem Besucher klar, warum der nördlichste der baltischen Staaten in puncto Informationstechnologie anderen Ländern meilenweit voraus ist: Routiniert holt Vimberg eine kleine graue Plastikkarte in der Größe einer EC-Karte mit seinem Bild darauf aus der Tasche und schiebt sie in ein spezielles Lesegerät am Laptop. „Willkommen in e-Estonia, der elektronischen Version Estlands", verkündet der 28-Jährige mit den kurzen blonden Haaren und dem hellblauen Hemd. Drei Klicks und zwei Passwörter später öffnet sich eine Welt, in der bereits mehr als 70 Prozent aller Esten ein Leben per Mausklick führen. Mit der ID-Card, wie die graue Plastikkarte in Estland heißt, können sie auf dem staatlichen Internet-Portal www.eesti.ee so ziemlich alles regeln - sei es, dass Teenager wissen wollen, wer genau ihre Ururgroßeltern waren, Eltern die Schulnoten ihrer Kinder überprüfen wollen oder politisch interessierte Esten die Ausgaben des Staatshaushalts in Echtzeit verfolgen wollen. Seit 2005 können die Bürger Estlands sogar das Parlament per Internet wählen oder interaktiv an Gesetzesentwürfen mitwirken. Längst in Fleisch und Blut übergegangen ist den meisten Esten die Steuererklärung im Internet. Während deutsche Steuerzahler oft Stunden und Tage über Bergen von Quittungen und Kontoauszügen sitzen, brauchen die pfiffigen Nordeuropäer weniger als eine Stunde, um dem Finanzamt alle Daten und Unterlagen zu schicken - elektronisch, versteht sich. Zu viel gezahlte Steuern sind bereits nach wenigen Tagen auf dem Konto.

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