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Frau K. kann nicht rein

In Deutschland sind etwa 300.000 Menschen auf Pflegekräfte aus dem Ausland angewiesen. Wenn die wegen der Corona-Krise nicht mehr ins Land kommen, droht der Kollaps.


Ihren Koffer hatte sie schon vor Tagen gepackt: Kleider, Kosmetik, ein paar Bücher, Fotos von den Kindern. Sechs Wochen sollte Joanna Korcz, 48, in Deutschland bleiben, bei ihrer pflegebedürftigen Klientin, einer 86-jährigen dementen Frau aus der Nähe von Ulm. Die Betreuungskraft Korcz sollte bei ihr einziehen, sie rund um die Uhr umsorgen. Morgen sollte es losgehen.

Gestern aber klingelte das Telefon. Eine Mitarbeiterin des Busunternehmens war dran. Die Verbindung nach Ulm wurde ersatzlos gestrichen, sagte sie. "Wegen Corona", habe die Frau nur gesagt, erzählt Korcz am Telefon. Die Kleinbusse, die ebenfalls nach Deutschland fahren, hätten die Preise verdoppelt, fielen als Alternative also aus. Was sie jetzt mache? "Was kann ich schon machen", fragt Korcz. "Hierbleiben, was sonst." Hier, das ist ihre Einraumwohnung in Kwidzyn, eine 30.000-Einwohnerstadt in Pommern im Norden Polens.

Tausend Kilometer südwestlich, in Frankfurt, fühlt sich die Sachbearbeiterin Ute Ermisch vom deutschen Staat alleingelassen. Ihr 84-jähriger Vater sitzt seit einem schweren Schlaganfall im Rollstuhl, er ist rechtsseitig gelähmt, kann sich nur eingeschränkt bewegen und nicht sprechen. Er wird von polnischen Pflegekräften im Wechsel betreut. Am 2. April läuft der Vertrag der aktuellen Betreuerin aus, sie wird zurück zu ihrer Familie nach Polen fahren, eine Übergangskraft ist schon organisiert. Am 1. Mai will die erste Frau dann wiederkommen, um Ermischs Vater weiter zu betreuen. Ute Ermisch aber hat nun Angst, dass die Betreuerin dann nicht mehr über die Grenze nach Deutschland kann. "Die Lage ändert sich fast täglich", sagt sie. "Dabei brauche ich doch Planungssicherheit."

"Wenn sich die Situation aber nicht bessert, bekommen wir ein ernstes Problem"

Etwa 300.000 pflegebedürftige Menschen in Deutschland sind auf ausländische Betreuer angewiesen. Auf Menschen, die sie waschen, für sie kochen, für sie bügeln und einkaufen gehen. Die meisten kommen aus , allen voran aus Polen. Doch eine unsichere Gesetzeslage, Grenzschließungen und Angst führen nun dazu, dass immer weniger kommen.

Bis zu 200.000 pflegebedürftige Familien könnten, sollte sich die Situation nicht ändern, ab Ostern ohne Betreuung dastehen, schätzt der Verband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP). Was bedeutet das für diese Menschen und ihre Angehörigen? Was für die Pflegekräfte und Vermittlungsagenturen? Und was für die gesamte Pflege? Gelten die Betreuer doch als Stütze des gesamten Systems.

Juliane Bohl ist Vorstandsmitglied von Hausengel, einem Pflegeunternehmen, das rund 4.000 selbstständige Betreuungskräfte, vor allem aus Osteuropa, an Familien in Deutschland vermittelt. Joanna Korcz aus Polen arbeitet für sie, Ute Ermisch aus Frankfurt ist eine ihrer Kundinnen, sie hat über das Unternehmen die Betreuerin für ihren Vater gebucht.

Betreuungskräfte sind systemrelevant!

"Noch sind unsere Kunden gut versorgt", sagt Bohl. "Wenn sich die Situation aber nicht bessert, bekommen wir ein ernstes Problem." Rund 30 Prozent der Betreuungskräfte hätten seit Beginn der Corona-Krise nicht wie geplant anreisen können, sagt Bohl. Kompensiert wurde das bisher durch Menschen, die ihre Verträge bei den Familien verlängerten, oder andere Pflegerinnen und Pfleger, die bereits in Deutschland seien. "Etwa vier Wochen können wir das noch durchhalten", sagt Bohl. "Danach wird es auch für uns eng."

Dass die Betreuer und Betreuerinnen ausbleiben, hat gleich mehrere Gründe. Viele hätten Angst, sich in Deutschland mit dem Coronavirus zu infizieren, sagt Bohl; sei es auf der Fahrt hierher, im Haus der zu pflegenden Person oder auch draußen, etwa beim Einkaufengehen. Unberechtigt sei die Angst nicht, sagt sie. "Uns fehlt hier Schutzkleidung für die Kräfte."

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