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Feature

Sie nennen es Zusammenarbeit

Berlin gilt als europäischer Vorreiter der Co-Working Spaces. Was als alternative Bewegung begann, ist für viele Firmen heute fester Bestandteil der Arbeitswelt – und ein ertragreiches Geschäftsmodell.

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Berlin-Mitte, Potsdamer Platz. Geräuschlos öffnet sich die Fahrstuhltür im achten Stock des Sony Centers. Gibt den Blick frei auf einen weitläufigen Raum mit großen Fenstern, mit holzvertäfeltem Boden, mit Designerlampen in den Ecken. Makellos gekleidete Menschen, die meisten um die 30, sitzen auf Vintage-Sofas, vor ihnen aufgeklappte Laptops. Aus der angrenzenden Teeküche dringt das Aroma frisch gemahlenen Kaffees herüber; auf der Tischplatte steht ein Kanister mit Wasser zum Selberzapfen, Apfel-, Zitronen- und Limettenscheiben schwimmen darin, optisch ansprechend arrangiert.

Was wie die Szene aus einem hochpreisigen Einrichtungskatalog wirkt, könnte nichts Geringeres als die Zukunft unserer Arbeitswelt sein. Denn die jungen Menschen, die hier in der Lounge des WeWork Sony Center zusammenkommen, sind nicht zum Reden und Entspannen hier. Sondern um Geld zu verdienen. Co-Working ist das Stichwort.

Die Arbeitswelt hat sich verändert: Mit der Digitalisierung sind neue Berufsfelder entstanden, die Globalisierung erfordert immer mehr Flexibilität, die Zahl der Selbstständigen in Deutschland wächst. Co-Working ist eine Antwort darauf; und zugleich ein Motor, der all das in Bewegung hält. Die Grundidee: Freiberufler und Start-ups, teils aus unterschiedlichen Sparten, arbeiten zusammen in einem Raum oder Gebäude – und können sich so vernetzen.

WeWork ist nur die noble Variante davon. In Berlin entstehen derzeit immer mehr dieser exquisiten Co-Working Spaces. We Work, Branchenriese aus New York, mit mehr als 20 Milliarden US-Dollar bewertet und in über 50 Städten vertreten, will bis Ende des Jahres seinen vierten in der Hauptstadt eröffnen. Konkurrent Mindspace aus Israel plant die Eröffnung seines dritten Berliner Spaces.

Aber auch Wirtschaftsunternehmen haben das System Co-Working für sich entdeckt: Die Deutsche Bahn unterhält einen eigenen Space, ebenso das Telekommunikationsunternehmen telefónica. Die Factory, unter anderem von Google finanziert, eröffnet gerade ein 14000m2 großen Komplex mit 1000 Arbeitsplätzen, ebenfalls für Freelancer und Start-ups. Eine beachtliche Entwicklung.

Insgesamt gibt es über 100 Co-Working Spaces in der Stadt. Wie viel es genau sind, ist schwer zu sagen, ist das Konzept doch so divers wie die Betätigungsfelder der Menschen, die in den Spaces arbeiten: Große Bürogemeinschaften und Office-Räume wie WeWork mit mehreren hundert Plätzen zählen dazu. Aber auch Cafés mit freiem W-Lan und ein paar Schreibtischen.

Und doch, bei aller Diversität lässt sich eine Entwicklung ausmachen. Was für Unternehmen wie die Deutsche Bahn heute fester Bestandteil der Firmenkultur ist, und für andere wie WeWork ein ertragreiches Geschäft – all das begann vor wenigen Jahren als alternative Bewegung in den USA. In Europa gilt Deutschland als Vorreiter, genauer: Berlin.

Wer wissen will, welche Idee Co-Working zugrunde liegt, und welche Köpfe in Berlin dahinter stecken, der hat es nicht einmal weit. Alles begann keine vier Kilometer vom Sony Center entfernt, in einem Eckcafé am Rosenthaler Platz.

Das St. Oberholz an einem Montagmorgen, kurz nach 9. Das Café ist gut besucht. Links am Nebentisch die italienische Wirtschaftsstudentin, die zum Lesen hierher kommt, weil sie sich nur unter arbeitenden Menschen konzentrieren kann. Rechts diktiert ein Architekt, Mitte 40, vor sich ein aufgeklappter Mac, seinem Assistenten letzte Änderungen für den Grundriss einer Wohnung durchs Telefon.

An einem dieser Tische saßen der Werbetexter Sascha Lobo und der Journalist Holm Friebe Anfang des neuen Jahrtausends und schrieben ein Buch, das für viele Menschen ein Manifest werden sollte. Arbeit müsse Spaß machen, fanden die Autoren, Festanstellungen waren ihnen verhasst, statt dessen propagierten sie Selbstbestimmtheit, priesen die Möglichkeiten des Internets. „Wir nennen es Arbeit“ prägte nicht nur den Begriff der digitalen Boheme, das Buch machte auch eine bis dato unbekannte Form der Arbeit populär: Co-Working.

Auftritt Ansgar Oberholz. Der Geschäftsführer des gleichnamigen Cafés sieht aus, wie man sich einen Cafébetreiber in Mitte vorstellt: Sweater, schwarze Hose aus edlem Material, Dreitagebart, die blonden Haare an den Seiten kurzrasiert, das Haupthaar zum Zopf gebunden.

Als Oberholz und seine Partnerin Koulla Louca 2005 das Café eröffneten, sei es ihnen vor allem um zwei Dinge gegangen, sagt er: der Geschichte des Ortes gerecht zu werden; immerhin sass Alfred Döblin schon im Vorgängercafé; zum anderen sollte das St. Oberholz ein Platz zum Arbeiten sein, ein Platz, an dem man Meetings halten und Dokumente ausbreiten kann. Dass mit dem freien W-Lan, sagt Oberholz, war zwar von Anfang an ein wichtiger Baustein. „Aber wir dachten, es sei nur eine Randbedingung.“

Und doch kamen binnen kürzester Zeit keine „normalen Gäste“ mehr. Stattdessen saßen an den Tischen nun jene Menschen, die später das Label „digitale Boheme“ verpasst bekamen: DJs und Booker, Tekkies und Start-ups. Die Menschen aus Lobos‘ und Friebes Buch.

Wenn Oberholz und andere, die damals aktiv waren, von den Anfängen erzählen, klingt das nach einer Zeit des Aufbruchs, des wilden Experimentierens. Da war das Hallenprojekt, ein Zusammenschluss von Internetaktivisten, die sich auf einer Website vernetzten und so sehen konnten, wer gerade wo arbeitet. Das Betahaus, das als erster expliziter Berliner Co-Working Space gilt, von Anbeginn größer angelegt war und inzwischen Depéndencen in Hamburg, Barcelona und Sofia unterhält. Da waren aber auch viele kleine Projekte.

Das Yorck 52 in Schöneberg zum Beispiel. Er habe die Idee des St. Oberholz übernehmen und transferieren wollen, sagt Simon Kowalewski und nippt an seinem Espresso. Kowalewski, 36, Vollbart, Brille, sitzt in einem Schöneberger Café, während er das sagt. Er trägt einen schwarzen Hoody; seine Haare sind lang, die eine Hälfte naturbraun, die andere hat er blond gefärbt.

2009 gründete Kowalewski, schwer begeistert von „Wir nennen es Arbeit“, mit seiner damaligen Freundin den Co-Working Space in der Yorckstraße 52. Ein Café, in dem man arbeiten kann, in dem einem der Latte Macciato an den Schreibtisch gebracht wird – das wollten sie auch. Nur anders: bio, vegan, und mit mehr Platz. Vor allem mit einer offenen Werkstatt, in der Kowalewski, studierter Ingenieur für Informatik und Elektrotechnik, sein Equipment unterbringen konnte.

Und so richtete sich das Paar in der 80m2-Ladenfläche ein. Ökologisch und nachhaltig, wie Kowalewski es nennt: mit einem Boden aus Korkeiche und Möbeln von Ebay Kleinanzeigen und vom Straßenrand. Das Publikum, sagt Kowalewski, war eher speziell: Bei ihm traf sich der Stammtisch von Berlin Vegan aber auch Anhänger der Polyamorie.

Doch das Konzept ging nicht auf. Vielleicht, weil er und seine Freundin das Café nur tagsüber betreiben konnten, vielleicht hatte er mit seinem Studium auch zu viel zu tun. Vielleicht, sagt Kowalewski, war er mit der Idee auch zur falschen Zeit am falschen Ort. Als er 2011 für die Piraten ins Abgeordnetenhaus zog, musste er den Laden schließen. Niemand wollte ihn übernehmen.

Ansgar Oberholz kennt Geschichten wie diese. Nur ein Viertel der Co-Working Spaces sei rentabel, sagt er. Denn im Grunde basiere das Konzept des Co-Workings auf einem Paradox: Die Idee sei richtungsweisend; die Menschen, die sie am laufen halten aber – die Freelancer – seien selten liquide. Um einen Co-Working Space zu finanzieren, müsse man auch Meetingräume und Teambüros vermieten. Auch an große Firmen.

Oberholz selbst begann 2007 zu expandieren, baute die Etagen über seinem Café zu kleinen Büros und Konferenzräumen aus. Am Anfang hätten die Manager, die nun zu ihm kamen, noch mit dem Stammpublikum gefremdelt, erzählt er; etwa, wenn sie den Mann sahen, der eine DIY-Seite für Stricksets betrieb und – zu Werbezwecken – immer mit Nadeln und Wolle im Café saß. Inzwischen hätten sich die Berührungsängste aber gelegt. Die „wilde Mischung“, die „größtmögliche Heterogenität aus Kreativen und Firmen“, sie seien ihm auch noch heute wichtig.

Wie steht ein Mann wie Oberholz zu weltweit expandierenden Anbietern wie WeWork? Es gibt diesen Kommentar von ihm, erschienen in der Berliner Zeitung im letzten Jahr, da beklagt er das Wachsen dieser „Bürohausketten“. Spricht von Kommerzialisierung, von mangelnder Authentizität. Davon, dass sie Co-Working nur „spielen“ würden, aus Marketinggründen. Inzwischen ist er milder geworden. Anbieter wie WeWork, sagt Oberholz heute, hätten ihre Berechtigung. Er wünsche sich nur eins: Sie sollten es nicht Co-Working nennen.

Zurück zum Potsdamer Platz, zur Lounge mit den schicken Möbeln. Wer einen Termin im WeWork hat, muss sich zunächst an einem Terminal anmelden. Er muss seinen Namen eingeben, in die Kamera lächeln und dann noch den Namen desjenigen in den Touchscreen tippen, mit dem er verabredet ist. Der Computer informiert die entsprechende Person dann.

Wybo Wijnbergen, 41, General Manager für Nordeuropa und für „We Work“ von Amsterdam nach Berlin gezogen, führt an diesem Tag durch die Büroplatz-Welt, die sich inzwischen über dreieinhalb Stockwerke erstreckt. „Das hier ist einer der Gründe, warum die Leute bei uns arbeiten“, sagt er auf Englisch und deutet auf die breite Fensterfront. Der Blick des Betrachters schwimmt auf dem Tiergarten, der sich unter ihm wie ein grünes Meer ausbreitet, streift die Kuppel des Bundestags, verliert sich schließlich in den Weiten der Stadt. „Man kann die ganze Stadt von hier sehen.“

Über 1000 Menschen arbeiten im WeWork Sony Center. Anwälte, Softwareentwickler, Modedesigner, nur klassisches Handwerk gebe es nicht, sagt Wijnbergen. Firmen im Wachstum, sogenannte Scaleups, machten 20 Prozent der Belegschaft aus, Start-ups kämen auf 15 Prozent. Freelancer – diejenigen also, mit denen die Co-Working-Idee begann – nur auf fünf Prozent. Ein Großteil der Kunden, 40 Prozent, seien Firmen. Dementsprechend sieht die räumliche Verteilung aus: 51 Menschen arbeiten zurzeit an Arbeitsplätzen im Großraum. Die meisten entscheiden sich für Teambüros.

Die besichtigen wir als nächstes. Wijnbergen führt einen schmalen Gang entlang. Rechts und links davon sitzen, hinter Glasscheiben, Menschen an Schreibtischen. Meist zu zweit oder zu viert in einem Raum, Glas trennt die Büros voneinander ab. Deutsche, Amerikaner und Inder sind dabei. Kleine Marketingagenturen, aber auch Ableger bekannter Unternehmen. Die Büros, man muss es sagen, wirken eher eng als gemütlich.

1.750 Euro kostet ein Büro für vier Personen im Monat, 2.550 Euro für sechs. Zum Vergleich: Im St.Oberholz kostet ein Teamraum mit bis zu sechs Arbeitsplätzen monatlich 790 Euro – egal, wie viele Menschen ihn nutzen. Damit wäre WeWork bei einem Vier-Mann-Team fast tausend Euro, bei einem Sechs-Mann-Team gar 1760 Euro teurer als das St. Oberholz. Ist das nicht ein bisschen viel?

Wijnbergen ist Profi. Gut frisiert, glatt rasiert; auf seinem beigen Sweater prangt das „WeWork“-Logo. Seine Antworten sind kurz und prägnant, selbst kritischen Fragen entgegnet er mit druckreifen Statements.

Teuer? Das sieht er nicht so. Immerhin würden 30 Prozent der Mitglieder ein höheres Einkommen erzielen, weil sie hier arbeiten. Und auch die Firmen hätten nur Vorteile: Sie sollten sich jederzeit verkleinern und vergrößern können – er und sein Team übernähmen dann den Rest. Maximale Flexibilität nennt er das.

Aber hat das Modell mit den Glaswänden denn noch etwas mit der Idee des Co-Workings zu tun? Er bevorzuge das Wort „shared work space“, geteilter Arbeitsplatz, sagt Wijnbergen. Co-Working Spaces seien ja nur ein Teil des Angebots. Letztlich begreife er „WeWork“ als Dienstleister, dessen Konzept es ist, das Arbeitsleben so angenehm wie möglich zu gestalten.

Fragt man Wijnbergen nach dem Austausch, der Vernetzung – jenen Idealen also, die im Kern der Co-Working-Idee stehen – verweist er auf die Lounge mit den Couches, auf die App, die die weltweit 150.000 Mitglieder miteinander verbindet, auf das kostenlose Feierabendbier, auf die Veranstaltungen, die bis zu sechsmal die Woche stattfinden.

Dann stehen wir wieder vor dem Fahrstuhl. In der Lounge sitzen noch immer Menschen, in Arbeit oder ins Gespräch vertieft. Warum sie sich für WeWork entschieden haben, wüsste man gern. Aber man darf sie nicht fragen. Das ist gegen das Protokoll.

Eine Mitarbeiterin leitet die Anfrage zumindest weiter. Wenig Tage später ein Telefonat. Stefan Wörner, 31, Head of Operations des Start-ups Aeroscan, sagt, er sei stolz, im WeWork Sony Center zu arbeiten. Nicht nur er und seine Mitarbeiter, auch die Investoren, die zu Meetings vorbeikommen, seien von Gebäude und Ausblick „geflasht“. Das sei die höhere Miete dann auch wert. Wörner schwärmt von Austausch und Flexibilität, spricht von einem „Lebensgefühl“, mit dem er sich identifiziert, und einem „Investment in die Mitarbeiter“. Den Einwand, dass die Glasbüros nicht viel mit klassischem Co-Working zu tun haben, weil die Firmen ja unter sich bleiben, sieht er nicht. Austauschen könne man sich in der Lounge oder auf dem Flur. „Das finde ich sogar einfacher als im Café.“

Doch es sind nicht nur Unternehmen wie WeWork, die die Co-Working-Idee für ihr Immobiliengeschäft nutzen. Auch in der Wirtschaft ist das Konzept inzwischen angekommen: Die Deutsche Bahn bietet ausgewählten Start-ups in ihrem Co-Working Space „Mind Box“ am S-Bahnhof Jannowitzbrücke nicht nur Arbeitsplätze, sondern – im Rahmen eines drei-monatigen Accelerator-Programms – auch finanzielle Unterstützung und Coaching an. Was das Unternehmen davon hat? Es bindet junge Start-ups aus dem Digital-Bereich an sich und erhält so neuen Input. Die Start-ups hingegen profitieren von der Unterstützung und können ihre Entwicklungen, etwa Sensorsysteme für Weichensysteme, direkt im System der Bahn erproben. Mitunter läuft die Zusammenarbeit zwischen Konzern und Start-up auch nach den drei Monaten weiter, etwa im Rahmen einer Beteiligung.

Ein ähnliches Konzept verfolgt die Factory, die bis Ende des Jahres ihr zweites „Start-up-Haus“ in Berlin, diesmal am Görlitzer Park, eröffnen will. Und das auf einer Fläche von 14.000m2 und fünf Etagen. Ach hier sollen große Unternehmen, Start-ups und Freelancer zusammenkommen. Auch hier stehen dafür Arbeitsplätze zur Verfügung. Die Factory bezeichnet das Modell allerdings nicht als Co-Working Space, sondern als „Business-Club für Start-ups“. Was so viel heißt wie: Interessierte müssen sich um einen der 1000 Arbeitsplätze bewerben. Dafür bekommen sie – für monatlich 50 Euro – einen Schreibtisch, Zugang zum Netzwerk, können an Veranstaltungen teilnehmen und die vielen „Specials“ des Gebäudes nutzen, darunter die Bibliothek, den Kinosaal, den Jogaraum und das „Bällebad“, ein Bassin, gefüllt mit mehreren tausend Bällen.

Und auch das spanische Telekommunikationsunternehmen telefónica unterstützt Start-ups aus seiner Branche im Rahmen eines Programms und bietet dafür Arbeitsräume in einem Co-Working Büro. 27 dieser Büros gibt es weltweit, allerdings nicht in Berlin. Hier betreibt das Unternehmen dafür das telefónica Basecamp in der Nähe der Friedrichstraße, ein Gebäudekomplex mit Café, kleiner Co-Working Area, und Bühne, auf der regelmäßig Veranstaltungen zum Thema Digitalisierung stattfinden.

Daneben gibt es aber auch Projekte, die den ursprünglichen Idealen des Co-Workings näherstehen; die nicht den wirtschaftlichen Faktor, sondern den gesellschaftlichen Austausch in den Vordergrund rücken.

Wedding. Auf einer Fabriketage, inmitten der ehemaligen Osram-Höfe, befindet sich das tüchtig, Berlins erster barrierefreier Co-Working Space. Eine graue Stahltür öffnet sich, man betritt einen langgezogenen Raum. Vieles ist anders hier; statt auf Optik setzen die Betreiber auf Funktionalität: Die Schreibtische sind höhenverstellbar und breit genug, um auch Arbeitsassistenten Platz zu bieten. Der große Konferenztisch ist an einigen Stellen vertieft, damit auch kleinwüchsige Menschen auf Augenhöhe daran sitzen können. Statt greller Designs hat man sich auf drei Farben beschränkt und die verschiedenen Bereiche des Lofts damit gekennzeichnet – damit auch Sehbehinderte sie leicht auseinander halten können.

Stefanie Trzecinski, 45, eine sportliche Frau mit kurzen braunen Haaren, Jeans und Turnschuhen, hat das tüchtig gegründet. Sie ist auch an diesem Samstag hier.

Die studierte Sonderschulpädagogin hat lange für Microsoft gearbeitet. Mit ihrer gemeinnützigen Gesellschaft Kopf, Hand + Fuss entwickelt sie seit 2010 verschiedenste inklusive Projekte, darunter eine Deutschlern-App, die sich speziell an Analphabeten richtet. Bei ihrer Arbeit, sagt Trzecinski, habe sie immer wieder gemerkt, dass viele Menschen mit Behinderung schlicht nicht die Möglichkeiten hätten, ihre Ideen umzusetzen. Weil die Hilfsmittel oder die Kontakte fehlen. Beides wolle sie hier bieten.

Es gibt einen Gemeinschaftsraum im tüchtig, ein Videostudio und drei Meeting-Rooms. Im größten tagt an diesem Samstag ein Gehörlosen-Verein. Etwa 15 Mitglieder sitzen am Tisch, ein Beamer wirft Tabellen an die Wand. Die Männer und Frauen entwickeln gerade eine Handreichung für Ämter, die Mitarbeiter im Umgang mit Gehörlosen schulen soll.

Doch auch sonst kommen Menschen ins tüchtig, die man eher selten in herkömmlichen Co-Working Spaces sieht:
Da ist der Fotograph, ein Tetraspastiker, der seine Kamera mit den Füssen bedient.
Die Kommunikationsberaterin, gehörlos, die Institutionen wie Krankenhäuser über den Umgang mit gehörlosen Patienten aufklärt.
Da sind die zwei Personalberaterinnen, die keine Behinderung haben, aber mehr über die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen lernen wollen – um Firmen entsprechend zu beraten.

„Inklusion im Kleinen“, nennt Trzecinski das. Nicht die Behinderung stehe dabei im Vordergrund, sondern die Arbeit – was einen unverkrampfteren Umgang mit dem Thema Behinderung erlaube. Aus fünf festen Mitarbeitern besteht das Team zurzeit, auch eine Psychologin ist dabei, die Menschen mit psychischen Erkrankungen betreut. In Zukunft sollen weitere Assistenten und Dolmetscher für Gebärdensprache dazukommen, mit regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen will man die Bekanntheit steigern.

Das tüchtig wurde erst vor kurzem eröffnet, noch gibt es Platz. Ihre Räume auch an große Firmen zu vermieten – wie viele Co-Working Spaces das tun – könne sie sich trotzdem nicht vorstellen, sagt Trzecinski. Zu wichtig sei ihr der persönliche Austausch. Ihre Gesellschaft ist gemeinnützig, nicht auf Gewinn ausgelegt; dafür kann sie sich mit ihren Projekten um Fördergelder bewerben.

Trzecinski sieht sich nur bedingt als Teil einer „Co-Working-Szene“, in ihrem Fokus steht die Inklusion. Gut vernetzt ist aber auch sie: Das Oberholz-Team beriet beim Aufbau des tüchtig. Im Gegenzug entwickelt sie mit Kollegen gerade ein Konzept, um das St. Oberholz barrierefreier zu gestalten, zumindest soweit die Altbau-Struktur des Cafés es erlaubt. Austausch eben. Ging es nicht darum?

Auch wenn er den Hype kritisch sehe – er sei froh, dass die Co-Working-Idee Einzug in verschiedenste Bereiche der Gesellschaft und in den Mainstream gefunden habe, sagt Ansgar Oberholz. In Zukunft würden große Anbieter wie WeWork weiterhin wachsen, glaubt er. Die kleineren aber würden nie verschwinden. Nur den Begriff „Co-Working“, sagt Oberholz, werde irgendwann keiner mehr benutzen. Weil er als Beschreibung von Arbeit dann selbstverständlich geworden ist.

Doch nicht nur das, längst strahlt das Konzept auch in andere Bereiche aus. Unter dem Label „WeLive“ vermietet WeWork inzwischen separate Apartments, die sich Gemeinschaftsküche und Gruppenräumen mit anderen Apartments in einem Gebäude teilen. Derzeit gibt es sie in New York und Washington, eine Expansion ist geplant. In Berlin versucht sich der Co-Working-Anbieter rent24 derweil an einem Modell, das Beides verbinden soll: Apartments und Zweibettzimmer mit Büros und Konferenzräumen. Arbeiten und Wohnen in einem also. Ein weiter Weg für eine – eigentlich – einfache Idee.