Jassir Arafat und Muammar al-Gaddafi waren da. Fidel Castro war da. Helmut Schmidt auch. Das unscheinbare Gebäude mitten auf dem Flughafen Schönefeld war der Ort, an dem sie von der DDR-Führung in Empfang genommen wurden. Der Ort, von dem aus sie zum offiziellen Teil ihrer Staatsbesuche aufbrachen.
Heute markiert die „Generalsvilla" nicht den Anfang einer Reise, sondern das Ende einer Flucht. Es sind auch keine Staatsmänner mehr, die sich hier aufhalten. Es sind Asylbewerber, deren Antrag abgelehnt wurde. Und die nun per Flugzeug in ihre Heimatländer abgeschoben werden. „Rückführung" heißt das im Polizeijargon.
Nach Angaben der „Sächsischen Zeitung" wurden 2015 fast 21.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben - doppelt so viele wie 2014. Demgegenüber stehen, und das ist weniger bekannt, fast 40.000 Menschen, die freiwillig in ihre Heimatländer ausgereist sind, zum Teil im Rahmen von Rückkehrprogrammen. Inwiefern diese Programme genutzt werden, variiert von Bundesland zu Bundesland. Nach Angaben des Mediendienstes Integration gab es in Berlin im vergangenen Jahr 694 Abschiebungen und 772 freiwillige Ausreisen.
Kommt es zu Abschiebungen, sind die Ausländerbehörden der Bundesländer zuständig. Den Prozess selbst überwacht die Bundespolizei. „Wir sind das letzte Glied der Kette", erklärt Bundespolizist Andreas Neumann (Name geändert), der an diesem Samstag durch die zweigeschossige Villa führt. „Abgeschoben werden nur die Personen, die sich weigern, das Land freiwillig zu verlassen."
Der 45-Jährige ist einer von rund 600 deutschen Personenbegleitern Luft (PBL). Sein Job: Die abgelehnten Asylbewerber zurück in ihre Heimatländer bringen. In Schönefeld läuft das meist im Rahmen von „Sammelabschiebungen". Dazu werden einzelne Maschinen gechartert, an Bord sind rund 100 Abgeschobene plus Sicherheitskräfte und medizinisches Personal.
Die Zeit bis zum Abflug - meist sind das mehrere Stunden - verbringen die abgelehnten Asylbewerber in der Villa. Das Gebäude, 1949 nach Plänen des Architekten Georg Hell gebaut, gilt als Paradebeispiel früher DDR-Architektur: Boden und Wände sind mit Marmor und Kalkstein verkleidet, an der Decke schwebt ein gigantischer Kronleuchter, Sowjetsterne zieren die Holzverkleidungen vor den Heizungen. Nicht ins Bild passen die Papierschilder, die kürzlich mit Tesafilm an die Wände geklebt wurden: „Sarajewo" und „Priština" steht darauf. Sie markieren die Stellen, an denen das Gepäck der Asylbewerber gesammelt wird. Die meisten von ihnen stammen aus Serbien, Mazedonien und dem Kosovo.
Der Prozess ist klar strukturiert: Am Tag der Abschiebung werden die Asylbewerber aus ihren Unterkünften hierher gebracht, ihre Daten werden erfasst und überprüft, ihr Gepäck wird geröntgt, sie selbst, wenn nötig, medizinisch untersucht. Den Rest der Zeit verbringen sie in einem von vier Warteräumen: Drei sind klein und karg, mit Gitterstäben vor den Fenstern und im Boden festgeschraubten Holzbänken. Der vierte ist größer und heller. Wer wo unterkommt, hängt von der jeweiligen Gruppengröße ab. Die Asylbewerber werden nach Herkunftsländern getrennt - um „mögliche Reibungspunkte zu minimieren", wie Bundespolizeisprecher Jens Schobranski, der an diesem Tag ebenfalls vor Ort ist, erklärt. Bei den Abschiebungen seien häufig auch Vertreter der Kirchen oder karitativer Organisationen dabei. Die Presse indes halte man meist fern - damit die Situation nicht „unnötig emotional überladen wird".
Um insbesondere Kindern und Familien die letzten Stunden so erträglich wie möglich zu gestalten, wird ein Zimmer der Villa als „Mutter- und Kind-Raum" genutzt. Polizist Neumann öffnet die Tür: Ein Bettchen steht auf dem Boden, auf Fensterbrett und Tisch liegen unzählige Plüschtiere. Er teile vor allem Frauen dazu ein, sich um die Familien zu kümmern, sagt der Polizist. „Sie haben oft den besseren Zugang zu den Müttern und ihren Kindern."
Die Abschiebung sei für die Flüchtlinge ein „schwieriger, emotionaler Moment", sagt Neumann. Um die Situation nicht eskalieren zu lassen, reden er und seine Kollegen so viel wie möglich mit den Menschen: über deren Leben, über Fußball, über irgend etwas, „über das man an sie herankommt". Auch in Ausnahmefällen, etwa, wenn Asylbewerber versuchen, sich selbst zu verletzten, um nicht abgeschoben zu werden, setze man vor allem auf verbale Deeskalation. Im Notfall würde man Aktionen auch abbrechen. „Rückgeführt wird nicht um jeden Preis", sagt Neumann.
Der 46-Jährige spricht ruhig und überlegt. Er ist durchtrainiert, trägt eine runde Brille, seine Haare sind kurz geschoren. Ob ihn die Arbeit psychisch belaste? Man solle den Job nicht zu sehr an sich heranlassen, sagt er.
Seit 1995 ist er dabei, hat über 100 Abschiebungen begleitet, in fast alle Teile der Welt. Und doch gebe es Geschichten, die man nicht vergisst: Da war dieser junge Mongole, ein Student, der auf der Expo in Hannover arbeitete. Weil ihm dazu die Papiere fehlten, wurde er abgeschoben. „Er war seit anderthalb Jahren im Land und sprach perfekt Deutsch", sagt Neumann. „Während des Fluges haben wir über die Texte von Herbert Grönemeyer philosophiert. Da fragt man sich schon: Warum muss der gehen?" Auch wenn er Familien in den Balkan fliege, könne er, der selbst Familienvater ist, sich vorstellen, „wie es dort mit den Familien weitergeht". Bei "Verbrechern" aber sei er „wie jeder andere froh, wenn sie unser Land wieder verlassen."
Ein Großteil der Personenbegleiter sei in seinem Alter, erklärt Neumann. Ein paar Über-60-Jährige seien allerdings auch dabei. Alle Personenbegleiter haben hauptberuflich andere Aufgaben bei der Bundespolizei, die Einsätze sind freiwillig. Es gebe allerdings nicht wenige, die nach einiger Zeit wieder damit aufhören. „Es sind vor allem die langen Flüge, die die Menschen belasten."
Pro Monat gibt es zwischen einer und zwei Rückführungen in der Villa. Den Rest der Zeit nutzt die Bundespolizei das Haus unter anderem für Versammlungen. Auch ein paar Sprengstoffexperten sitzen hier - falls auf dem Flughafen ein verdächtiges Gepäckstück gefunden wird und sie anrücken müssen. Die Zukunft der Villa indes ist ungewiss: Wenn der BER kommt, wird sie wahrscheinlich abgerissen. Das Gebäude ist zwar denkmalgeschützt, eine Erlaubnis zum Abriss aber gibt es bereits.