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Therapie für Raucherlunge: Chor statt Kippe

Singen hilft: Eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung ist meist die Folge jahrzehntelangen Rauchens. Sie kann nicht geheilt werden, aber gelindert - durch regelmäßiges Singen. Das belegt eine aktuelle Studie aus England. Die Untersuchung veranlasst die Forscher zu einer ungewöhnlichen Forderung.

Klaus Scheffler atmet schwer. Er will in seine Wohnung. Doch zwischen ihm und der Eingangstür liegen fünf Stockwerke - ohne Aufzug. Mehr als 35 Jahre wohnt Scheffler schon hier. Die Treppen haben ihn nie gestört. Er ist sie mit seinem Sohn rauf und runter gesaust, hat die Einkäufe nach oben gebracht oder den Müll. Doch seit vier Jahren sind die Stufen für ihn ein ernstes Hindernis. An guten Tagen braucht er eine halbe Stunde, an schlechten Tagen zwei.

Der 69-Jährige leidet an COPD. Die Abkürzung steht für "Chronic Obstructive Pulmonary Disease", auf Deutsch chronisch obstruktive Lungenerkrankung, auf gut Deutsch Raucherlunge. In fast allen Fällen der Krankheit ist eine jahrzehntelange Raucherkarriere dafür verantwortlich, dass die Atemwege chronisch entzündet und verengt sind. Das Atmen fällt mit zunehmendem Krankheitsverlauf immer schwerer. Weltweit leiden mehr als sechs Millionen Menschen an COPD.

Doch eine aktuelle Studie macht den Betroffenen Hoffnung. Eine Langzeit-Untersuchung der Canterbury Christ Church University hat nun belegt, dass Singen COPD-Patienten eine deutliche Verbesserung ihrer Krankheitssymptome bringen kann. Ian Morrison, einer der Autoren der Studie, sagte der BBC: "Die Lungenfunktion hat sich drastisch verbessert - meist nach etwa fünf Monaten - wenn sich die Menschen ans Singen gewöhnen und ihre Atemgewohnheiten verändert haben."

Singen gegen die Schnappatmung

Die Erklärung für die Verbesserungen liegt nach Angaben von Morrison in der veränderten Atemtechnik. So würden COPD-Patienten eine stetig wachsende Angst vor dem Einatmen entwickeln, die zu einer Art Schnappatmung führe. Ein Teufelskreis: Durch die Kurzatmigkeit würden die Lungenflügel niemals ganz geleert und das Atmen werde immer schwieriger und schwieriger.

Das Singen hingegen befördere eine gänzlich andere Atemtechnik, tief und kontrolliert. "Die gesamte Muskulatur um die Lunge, den Rachen und den gesamten Brustkorb herum verbessert sich", sagte Morrison.

Neben den positiven Effekten für die Gesundheit beobachteten die Forscher außerdem erfreuliche Auswirkungen auf die Psyche der Patienten. Singen in einem Chor beuge der sozialen Isolation vor und befördere den Austausch mit anderen.

Höheres Lungenvolumen, gesteigertes Wohlbefinden

In der Studie hatten Morrison und seine Kollegen über ein Jahr hinweg 100 COPD-Kranke untersucht, die jede Woche an einer Gesangsstunde teilnahmen. Die Forscher dokumentierten die quantitative Entwicklung ihres Lungenvolumens und auf qualitativer Ebene die Gefühlslage der Teilnehmer. Im Ergebnis konnten die Wissenschaftler eine Zunahme des Atemvolumens feststellen, außerdem eine Zunahme des psychischen Wohlbefindens.

Die erfreulichen Ergebnisse ermutigen Morrison zu einer ungewöhnlichen Forderung: "Im Grunde wollen wir Singen auf Rezept", sagte er der BBC. Das Musizieren könne die Krankheit zwar nicht heilen, sei aber dennoch ein nützliches Werkzeug für die Betroffenen, ihren Alltag zu meistern, sagte Morrison weiter.

Momentan ist die einzige Unterstützung für Klaus Scheffler seine Familie und eine Atemmaske, die zu einem Sauerstofftornister führt, den er wie eine Art Rucksack mit sich herumträgt. Gesungen allerdings hat er noch nie. Aber geraucht, fast sein ganzes Leben lang. Er qualmt noch immer. Er weiß, dass es sein Wohlbefinden nicht fördert. Singen hingegen könnte das tun.

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