Informationschaos ist ein Problem in den Notunterkünften für Flüchtlinge. Sprachprobleme, kulturelle Differenzen, zu wenig Zeit und Arbeitskraft. Das Team vom Wiener Designbüro Buero Bauer hat sich gefragt, wie man Kommunikation einfacher machen könnte. Und genau das gemacht, was sie am besten können: ein neues System gestaltet. Und zwar in Form von Piktogrammen. Wir haben uns mit ihnen darüber unterhalten.
Die Idee ist eigentlich sehr einfach. Wieso hat das niemand davor gemacht?
Ja das stimmt, uns hat nach Recherchen auch gewundert, warum es genau so ein reduziertes System noch nicht gibt. Tools, die das Lernen der Sprache unterstützen, gibt es bereits einige, aber kein System, das auf die sprachunabhängige Kommunikation in Erstunterkünften setzt. Aus aktuellem Anlass wollten wir aber aktiv werden und Antworten liefern auf die Frage: Was können Gestalter_innen konkret beitragen, um die Lage der Flüchtenden konkret zu verbessern und ihnen das Gefühl des Willkommen-Seins und der Sicherheit zu geben?
Woher glaubt ihr kommt das Infochaos?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Einsatzleiter_innen der jeweiligen NGOs sehr kurz an einem Einsatzort sind. Jede und jeder handelt nach ihrem bzw. seinem eigenen Ermessen. Die wichtigsten Informationen müssen sehr schnell angebracht werden. Hinzu kommen die Aktivitäten der einzelnen Helfer_innen und auch die Botschaften und Informationen der Flüchtenden. Es bleibt kaum Zeit, diese Informationen zu hinterfragen, reflektieren und gegebenenfalls zu selektieren. Deshalb haben wir durch intensive Dialoge und Vergleiche rausgefunden, was am Dringendsten gebraucht wird - letztlich ist das an allen Standorten sehr ähnlich. Die Selektion und Bewertung ist letztlich ein entscheidender Support für die Helfenden. Diese Arbeit ist fast noch wichtiger als die Entwicklung der Zeichen an sich.
Hat sich das System bewährt?
In der kurzen Zeit, die es erst im Einsatz ist, hat es vor allem eine deutliche Entlastung der Helfenden gebracht. Mittlerweile wird unser First Aid Kit nicht nur in Österreich eingesetzt, sondern hat sich auch schon in Deutschland und der Schweiz etabliert. Wir bekommen positives Feedback, sowie konstruktive Kritik von den unterschiedlichsten NGOs. Die bestehenden Icons werden somit verbessert und ergänzt - dieses spielen wir dann wieder an die Organisationen zurück.
Wenn ihr Schrift verwendet, dann übersetzt ihr meist nur ins Arabische. Was ist mit anderen Sprachen wie Farsi oder Urdu beispielsweise?
Unseres First Aid Kit ist in erster Linie kultur- und sprachunabhängig. Keiner soll benachteiligt werden, also auch Flüchtende, die nicht Lesen und Schreiben können sollen sich schnell und selbstständig informieren können. Deshalb stellen wir auch keine Informationen mit komplexen Zusammenhängen dar. Es geht in erster Linie um die wesentlichen Basisinfos für die erste Orientierung. Dennoch gibt es Informationen, die ausschließlich mit Text dargestellt werden können, wie beispielsweise die Adresse der Notunterkunft.
Bei den Icons verwendet ihr auch arabische Zeichen, beispielsweise den Halbmond für medizinische Versorgung. Woher habt ihr die Informationen?
Erste Informationsquelle sind Kontaktpersonen in den betroffen Ländern. Wir wissen aus Recherchen, welche Darstellungen von Information in den jeweiligen Ländern üblich und verständlich sind. Medizinische Hilfe wird in der arabischen Welt vorrangig über den Halbmond repräsentiert, in einigen Fällen auch gemeinsam mit dem Roten Kreuz. Diese Kombination finden wir nicht nur verständlich, sondern ein klares Zeichen für das Miteinander und den gegenseitigen Respekt. Natürlich stehen wir mit sämtlichen NGOs und Dolmetscher_innen ständig in Kontakt. Wir helfen unter anderem auch privat in diversen Flüchtlingsunterkünften und tauschen uns direkt vor Ort mit den Flüchtenden aus. So sind wir ständig up to date und generieren Wissen, welches direkt in unsere Arbeit einfließt.
Der Arzt ist bei den Icons männlich, die Frau kümmert sich um die Kinder, beim Icon der Frau versucht ihr es mit traditionellem Kopftuch darzustellen: Bedient ihr damit nicht Stereotype? Wäre ein geschlechtsneutrales Icon besser?
Auch der Mann kann sich selbstverständlich um die Kinder kümmern, dieses Zeichen ist in der First Aid Kit Sammlung ebenfalls enthalten. In derVorderen Zollamtsstaße kam unser System das erste Mal zum Einsatz. In dieser Flüchtlingsunterkunft gab es nur eine einzige Dusche und diese sollte in erster Linie Frauen und Kindern zu Verfügung stehen. Also haben wir dieses Piktogramm entwickelt und in der Unterkunft mit einer Dusche ergänzt. Kombiniert mit einem Bett seht dieses Icon mittlerweile auch für einen gesonderten Frau-Kind-Bereich, in denen Männern keinen Zutritt haben.
Genau der Gedanke, Stereotype nicht zu reproduzieren, sondern offene Lesarten zuzulassen, war Ausgangspunkt für unsere Darstellung einer Frau. Das Zeichen mit den langen Haaren kann zugleich als Kopftuch gelesen werden. Damit fühlen sich Frauen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund gleichermassen angesprochen und akzeptiert.
Übrigens wissen wir aus Erfahrung, dass die Flüchtenden sich über solche Details in erster Instanz kaum Gedanken machen – sie sind froh, sicher und versorgt zu sein. Wir finden es natürlich trotzdem wichtig, Gleichberechtigung und Toleranz in unserem Zeichensystem zu leben.
Ihr bezeichnet euch als interdisziplinäres Designbüro. Was bedeutet das?
Wenn eine Fragestellung an uns herangetragen wird, diskutieren wir sie gemeinsam. Sehr rasch finden sich dann die passenden Teammitglieder für die jeweilige Aufgabe. In diesem Projekt etwa waren Analysefähigkeit, soziale Intelligenz, Erfahrung mit Sprache und Umgang mit Räumen gefragt. Für unseren begleitenden Fragebogen brauchte es auch Know-How zum Sammeln und Aufbereiten von Daten und Ideen für die spätere Verwendung. Dieses Know-How haben wir zum Teil im Team, wir kooperieren aber auch mit Soziolog_innen und Psycholog_innen der Universität Wien.
Wie groß ist euer Team?
Unser Team besteht derzeit aus 16 engagierten Gestalter_innen.
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