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Jugendrichter Müller: „Ich will schneller und effektiver verurteilen können" - WELT

Panorama Jugendrichter Müller

„Ich will schneller und effektiver verurteilen können"

Jugendrichter Andreas Müller wirbt für ein verändertes Jugendstrafrecht, Sozialromantik hingegen gehöre nicht in die Justiz. Ein Gespräch über Intensivtäter, Erziehungsmaßnahmen und den Fall Jonny K.

Andreas Müller gilt als der härteste Jugendrichter der Republik, er arbeitet am Amtsgericht Bernau. Im seinem Haus am Nordrand von Berlin treffen wir ihn, um zu erfahren, weshalb er mit dem derzeitigen Jugendstrafrecht so gar nicht zufrieden ist. Oft kämen Intensivtäter zu milde davon. Müller, der (ebenso wie verstorbene Jugendrichterin Kirsten Heisig) die Prinzipien eines harten Durchgreifens befürwortet, hat deshalb ein Buch mit dem Titel geschrieben: „Schluss mit der Sozialromantik! Ein Jugendrichter zieht Bilanz" (Herder, Freiburg. 240 S., 16,99 Euro). Gleichermaßen wütend wie engagiert erklärt er im Idyll seines Gartens, wie Mehrfachtäter von weiteren Taten abgehalten werden könnten.

Die Welt: Die Zahlen zur Jugendkriminalität sind eher rückläufig. Betreiben Sie also Schwarzmalerei?

Andreas Müller: Ich schreibe nicht auf dem Höhepunkt der Gewalttaten. Wenn man sich rein auf die Zahlen beruft, zeigt sich tatsächlich ein Rückgang. Aber es ist falsch, sich darauf auszuruhen. Dann haben wir in fünf Jahren genau die gleiche Problematik. Auch in Deutschland könnte es plötzlich eine hohe Jugendarbeitslosigkeit geben, wie in Spanien. Die Folge wären perspektivlose Jugendliche, die auf der Straße herumhängen und Gewalttaten verüben. Für diese Zeiten müssen wir das Jugendstrafrecht wappnen. Zudem handelt es sich um einen Rückgang von etwa 60.000 auf etwa 55.000 Fälle bei gefährlicher Körperverletzung durch Jugendliche und Heranwachsende. Die Zahl ist immer noch zu hoch.

Die Welt: Sind nicht die Taten der Intensivtäter das eigentliche Problem?

Müller: Ja, der Staat hat es nicht kapiert. Im Jahr 2012 wurde erstmals darüber nachgedacht, wie wenige Täter wie viele Straftaten begehen. Über Jahrzehnte wurden diese Zahlen gar nicht erhoben. Dieser Staat hat überhaupt nicht verstanden, dass einige wenige dafür verantwortlich sind, dass unheimlich viele Menschen nachts Angst haben. Es reicht ja schon die Angst.

Die Welt: Wie geht man vor?

Müller: Es sind nur Wenige, die immer wieder auffallen. Aber die brauchen eine klare Ansage und ein enges Korsett. Das haben wir aber nicht. Es kann nicht angehen, dass einzelne Jugendliche zehn Straftaten im Jahr begehen, ohne dass etwas passiert. Solche Täter gehören voll und ganz unter die Augen staatlicher Instanzen.

Die Welt: Sie beschreiben Fälle von gewalttätigen Jugendlichen, die Sie mit Freiheitsentzug bestrafen. Sie sind am Ende geläutert, bedanken sich sogar bei Ihnen. Ist Härte doch wirksam?

Müller: Es gibt Stimmen, vor allem aus der Wissenschaft, die die Meinung vertreten, Knast mache alles noch schlimmer. Ich zeige eben, dass das nicht zwangsläufig so sein muss, sondern dass auch eine Haftstrafe die Jugendlichen in die Gesellschaft zurückholen kann. Es ist abhängig davon, wie der Knast gestaltet ist und ob die Jugendlichen, die einsitzen, im Rahmen pädagogischer Erziehung zurückgeholt werden. Beides muss zusammenkommen.

Die Welt: Gesetze wurden bereits verschärft und etliche Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte gehen deutlich härter gegen Gewalttäter vor.

Müller: Ja, mit der Konsequenz, dass wir weniger Jugendliche im Knast haben. Man geht härter ran, und gibt die Jugendlichen früher in den Freiheitsentzug. Wenn sie im Knast sind, begehen sie keine Straftaten mehr, was bedeutet, die Strafe reduziert sich letztlich. Ein Jugendrichter handelt somit auch generalpräventiv.

Die Welt: Härteres Vorgehen wirkt präventiv?

Müller: Es kann auch präventiv wirken. Im Grunde geht es mir aber nicht um ein härteres Jugendstrafrecht, sondern um ein besseres. Ich will sogar kürzer, vor allem schneller und damit effektiver statt härter verurteilen können.

Die Welt: Sie kritisieren vor allem „linke Sozialromantiker".

Müller: Ja, die sozialromantische Perspektive ist eine reine Täterperspektive. Sie macht aus dem Täter ein Opfer der Gesellschaft. Der Gedanke dabei ist, ohne freiheitsentziehende Maßnahmen und mit mehr Sozialarbeit Jugendkriminalität in den Griff zu bekommen. Die Sozialromantik im konservativen Lager setzt dagegen auf Härte und Durchgreifen. Wer nach absoluter Härte schreit, liegt genauso falsch, wie jene, die noch und noch einen Sozialarbeiter fordern. Ein Mittelweg dürfte richtig sein.

Die Welt: Was stört Sie am Jugendstrafrecht?

Müller: Vieles: Beispielsweise eine fehlende Flexibilität im Rahmen der freiheitsentziehenden Maßnahmen. Warum darf ich nur vier Wochen Arrest verhängen und nicht drei Monate? Arrest ist kein Knast. Warum muss ich ab sechs Monate Jugendknast verhängen, obwohl ich denke, dass bei einigen bereits eine Woche hinter riesigen Mauern mit Stacheldraht ausreichen würde? Mich stören die engen Korsetts.

Die Welt: Warum sträubt man sich gegen flexiblere Maßnahmen?

Müller: Weil die bisherige Ansicht ist, dass man freiheitsentziehende Maßnahmen möglichst begrenzen sollte.

Die Welt: Was sollte weiter konkret verändert werden?

Müller: Es müsste die Funktion des Erziehungsrichters eingeführt werden, der nicht nur für die strafrechtlichen Komponenten zuständig ist, sondern auch für das familiäre Umfeld des Angeklagten. Es sollte auch die Möglichkeit geben, eine Inhaftierung aus erzieherischen Gründen schon vor der Rechtskraft eines Urteils zu veranlassen. Generell muss die Schnelligkeit der Verfahren verbessert werden.

Die Welt: Das beschleunigte Verfahren wurde durch Ihre verstorbene Kollegin Kirsten Heisig auf den Weg gebracht. Verhindert die Schnelligkeit nicht eine gründliche Tat-Aufklärung?

Müller: Das beschleunigte Verfahren im Jugendstrafrecht ist eine Erziehungsmaßnahme. Je schneller erzogen wird desto besser. Als Eltern erzieht man sein Kind auch sofort und bestraft es nicht erst Monate später. Bei richtiger Umsetzung könnte es zu einer enormen Reduzierung von Kriminalität führen. Und die Befürchtung, die Jugendlichen könnten über den Tisch gezogen werden, ist absurd. Kein Jugendrichter missachtet die Gesetzesvorgaben.

Die Welt: Wie setzt man das durch?

Müller: Polizei und Staatsanwaltschaften müssen so ausgestattet werden, dass die Fälle am besten vier Wochen nach der Tat zu Gericht kommen. Zurzeit wird das Neuköllner Modell viel zu wenig angewandt.

Die Welt: Sie plädieren für mehr stationäre freiheitsentziehende Maßnahmen, andere für mehr ambulante. Ist das ein Glaubenskampf?

Müller: Ja, es handelt sich um eine ideologisch geführte Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Praxis. Die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfe plädiert für eine Reduzierung des Arrests auf zwei Wochen und gegen stationäre Maßnahmen. Würden wir dem folgen, hätten Jugendrichter noch weniger Möglichkeiten, freiheitsentziehende Maßnahmen zu verhängen.

Die Welt: Ist es wichtiger dem Opfer Genugtuung zu bereiten oder den Täter angemessen zu bestrafen?

Müller: Ich denke, dass das Opfer nach wie vor nicht genügend in den Strafprozess einbezogen wird. Im Erwachsenenstrafrecht haben wir anders als im Jugendstrafrecht den Sühnegedanken. Im Jugendstrafrecht geht es um Erziehung. Der Sühnegedanke spielt nur bei schwersten Straftaten eine Rolle. Was mich ärgert sind Fälle, wo junge Leute andere krankenhausreif schlagen und hierfür nicht einmal mit einigen Wochen Freiheitsentzug bestraft werden.

Die Welt: Sie sind aufgewachsen mit einem alkoholkranken Vater und einem drogenabhängigen Bruder. Welchen Einfluss hat das auf Ihre Arbeit?

Müller: Jeder Richter wird durch das Leben geprägt. Wenn man in meinem Alkoholiker-Haushalt aufgewachsen ist, kann man sich viel leichter hineinversetzen in einen Angeklagten, der Straftaten begangen hat, weil er aus einem Alkoholiker-Haushalt kommt. Wenn das eigene Kinderzimmer bei einer Hausdurchsuchung wegen Verdachts auf Cannabisbesitz mit durchsucht wird, weiß man, wie sich eine Hausdurchsuchung anfühlt.

Die Welt: I m Fall von Jonny K. wurde der Haupttäter zu viereinhalb Jahre Haft verurteilt. Wie beurteilen Sie das?

Müller: Ich halte es für gut.

Die Welt: Haben Sie mit einem milderen Urteil gerechnet?

Müller: Ja. Vor dem Prozess habe ich (seine Schwester, d. Red.) Tina K. darauf vorbereitet, dass es auf zwei bis drei Bewährungsstrafen hinauslaufen könnte. Noch vor Jahren wäre so geurteilt worden, da sie nur wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt wurden und nicht wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge. Das Strafmaß im diesem Prozesses zeigt, dass die Justiz anzieht.

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