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„Wir lösen ein Problem, das in Südeuropa jeder versteht, in Berlin aber niemand"

Computerspiele bei Bigpoint, Kreditvergabe bei Kreditech oder Werbung bei Adjust - in seinem Unternehmerleben hat Nils Henning schon einige Geschäftsmodelle mit aufgebaut. Doch kein Projekt habe ihn je so umgetrieben wie sein aktuelles Startup, sagt er im Gespräch mit Gründerszene: „Casafari ist das größte Thema, woran ich jemals gearbeitet habe und das mich am meisten interessiert." Von Portugal aus baut er eine Immobilien-Datenbank auf, die mithilfe von Machine Learning den Häusermarkt analysiert. Makler nutzen Casafari dann für die Vermittlung von Eigenheimen.

Das Problem, das Henning mit seinem neuen Startup lösen will, hat er er am eigenen Leib erfahren: 2015 wollte sich der Serienunternehmer auf Mallorca ein Haus kaufen. Doch das stellte sich als schwierig heraus, denn die verfügbaren Daten zu Preis, Größe oder Ausstattung seien intransparent und oftmals schlichtweg falsch gewesen, sagt er. Und das war nicht nur in Mallorca der Fall, sondern auch in weiten Teilen Süd- und Osteuropas. „Das Problem war viel größer als ich zunächst dachte", so der Gründer. Anders als in Deutschland, wo die Immobiliensuche meistüber Immobilienscout24 laufe, seien Häuser in diesen Ländern auf verschiedenen Portalen gelistet und dort teilweise mehrfach inseriert, erklärt er.

Um das zu zeigen, öffnet Henning bei einem Treffen auf der diesjährigen Noah-Konferenz in London die Website Idealista, eine der größten portugiesischen Immobilienseiten. In der Maske sucht er nach Luxus-Villen in der Hauptstadt Lissabon. Die Ergebnisse listet mehrere Male hintereinander dasselbe Haus auf - mit komplett unterschiedlichen Angaben: Einmal soll es fünf, einmal sieben und einmal 15 Schlafzimmer haben. Die Quadratmeterzahl ist in der einen Anzeige um ein fünffaches höher angegeben als in einer anderen. Einmal kostet es 15 Millionen, ein anderes Mal 17 Millionen.

Erst die Technologie, dann das VC-Geld

2017 gründete er deshalb Casafari, gemeinsam mit Kreditech-Anteilseignerin Mila Suhareva und Dmitry Moskalchuk. Standort für die Firma wird Lissabon, für Henning einer der nächsten boomenden Tech-Standorte Europas. Die Entscheidung für Lissabon habe aber noch andere Gründe gehabt: „Wir lösen ein Problem, das in Südeuropa jeder versteht, in Berlin aber niemand." Weil Henning und sein Team die ersten zwei Jahre komplett mit eigenem Kapital bestritten, hätten außerdem die verhältnismäßig günstigen Mieten und Gehälter in Portugal eine Rolle gespielt.

Erst im Juni dieses Jahres sammelte Casafari zum ersten Mal Risikokapital ein - fünf Millionen Euro kamen unter anderem von Lakestar und Round Hill Capital. Laut Henning eine bewusste Entscheidung. Er wollte zuerst die Datenbank fertigstellen, bevor er vor Investoren pitchte.

Technologisch herausfordernd sei zum Beispiel gewesen, dass die Datenbank Inhalte auf verschiedenen Sprachen verarbeiten muss. „Manche Immobilien in Spanien erscheinen gar nicht auf dem spanischen Immobilienmarkt, sondern werden ausschließlich internationalen Kunden angeboten." Deshalb müsse die Software nicht nur spanische Inserate, sondern auch Inserate auf deutsch, englisch oder schwedisch auslesen können. Das System habe außerdem lernen müssen, Abkürzungen zu erkennen - zum Beispiel, dass im Deutschen eine Doppelhaushälfte mit DHH abgekürzt wird.

Und selbst aufderselben Sprache gebe es Unterschiede, erklärt Henning: „Zum Beispiel Villa Franca - bezeichnet das jetzt eine Villa oder eine Wohngegend?" Der Gründer nennt ein weiteres Beispiel: Mit einer Finca etwa sei im Großteil Spaniens ein großes Landhaus gemeint, in Barcelona aber sei Finca die Bezeichnung für ein Stadthaus.

Der VC-Landschaft fehlt die Geduld, sagt Nils Henning

Die Entwicklung solch einer Technologie habe Zeit gebraucht - Zeit, die Wagniskapitalgeber oft nicht aufbringen wollen würden. „Oft fehlt in der deutschen oder europäischen VC-Landschaft einfach die Geduld." Erst Geld einzuholen, nachdem das Geschäftsmodell bereits funktionierte, brachte Casafari eine höhere Bewertung ein: Laut Henning hält das Gründerteam nach der Finanzierungsrunde noch 80 Prozent der Firma.

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Vor einem Jahr ist die Meta-Suchmaschine in Portugal gestartet, vor kurzem auch in Spanien. Mit dem Investment soll das Tool als nächstes in Italien und Frankreich gelauncht werden. Deutschland steht erst einmal nicht auf der Liste. „In Deutschland wären wir einfach nice-to-have, aber in Südeuropa lösen wir ein echtes Problem."

Aktuell nutzen 7.000 Makler das Tool, für 2020 rechnet Henning mit 20.000 Maklern. Für die Software-as-a-Service-Lösung (SaaS) von Casafari bezahlen die Maklerbüros eine monatliche Nutzungsgebühr, die von der Unternehmensgröße abhängt.

Auch für den eigenen Häuserkauf praktisch

Basierend auf der Datenbank entwickelt Casafari außerdem gerade ein Analytics-Tool: Damit sollen Immobilienentwickler die Preisentwicklung von bestimmten Immobilientypen oder Wohnbezirken nachverfolgen können. „Wer gerade Gebäudekomplexe renoviert, kann so nachvollziehen, ob in einer Gegend gerade eher Ein-Zimmer- oder Drei-Zimmer-Wohnungen gefragt sind", erklärt der Gründer.

Von seinem Tool hat Henning mittlerweile auch selbst profitiert. Als er nach Portugal gezogen ist, habe er zunächst zur Miete gewohnt, sagt er. Im Vergleich zu Deutschland ist der portugiesische Immobilienmarkt wenig reguliert. Das bekam auch Henning zu spüren: „Auf einmal kam mein Vermieter und wollte die Miete um 60 Prozent erhöhen." Deshalb beschloss er zu kaufen. Mithilfe seines Tools fand er schließlich das passende Haus. „30 Prozent unter Marktwert!", erzählt er stolz.

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