Noch immer spielt bei der Wahl des späteren Berufs das Elternhaus in Deutschland eine wichtige Rolle. Rund ein Viertel der Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien studieren – bei Altersgenossen, deren Eltern einst selbst an der Uni büffelten, entscheiden sich 79 Prozent für ein Hochschulstudium. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Untersuchung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung.
Seit einem Jahrzehnt kümmert sich in Deutschland die Initiative Arbeiterkind.de um Schüler und junge Erwachsene, die als Erste in ihrer Familie studieren (möchten). GZ-Volontärin Sarah Franke hat mit Anika Werner, Bundeslandkoordinatorin Niedersachsen bei Arbeiterkind.de, über Probleme, vor denen Arbeiterkindern stehen, gesprochen – und über Kompetenzen, die sie mitbringen.
Wieso studieren weniger Kinder aus Arbeiter- als aus Akademikerfamilien?
Soziale Herkunft beeinflusst uns alle, auch losgelöst davon, wie gut das Verhältnis zu den Eltern ist. Bei der Berufswahl orientieren wir uns primär an unseren Eltern. Menschen aus Arbeiterfamilien haben häufiger Informationsdefizite bezüglich des Ablaufs und der Konsequenzen eines Studiums sowie den damit verbundenen Zukunftsperspektiven.
Die Statistik zeigt: Akademiker verdienen durchschnittlich mehr als Menschen mit Berufsausbildung. Ist Geld für Arbeiterkinder ein relevanteres Thema?
Hundertprozentig. Denn Geld ist gekoppelt an Stabilität und ein Gefühl von Sicherheit. Manche möchten kein Bafög in Anspruch nehmen, um sich nicht für Bildung zu verschulden. Das ist ein großes Thema für junge Erwachsene, die als Erste in ihrer Familie studieren.
Es wird ja auch immer gesagt, die Ausbildung sei etwas Solides ...
... da verdient man gleich Geld und muss nicht in Vorleistung gehen. Der Wert von einem Studium scheint vielen nicht klar zu sein. Uns prägt außerdem, ob das Studium beispielsweise Thema beim Abendbrot ist. Das war bei mir zu Hause nie der Fall. Meine Eltern haben beide nicht studiert. In meiner Lebenswelt war die Option Studium dementsprechend nicht präsent.
Ja, ich bin die Erste aus meiner Familie. Ich hatte eine Hauptschulempfehlung, bin dann auf die Realschule gegangen und habe schließlich Abitur gemacht. Meine Eltern haben mich immer unterstützt bei allen Entscheidungen, die ich getroffen habe.
Das ist ja ein ziemlich imposanter Weg. Glauben Sie, unser Bildungssystem separiert Schüler zu früh?
Auf jeden Fall. Es ist nachgewiesen, dass Schüler und Schülerinnen aus Akademikerhaushalten bei gleicher Qualifikation besser eingestuft und bewertet werden.
Nicht alle Eltern sind so offen wie Ihre. Ich komme selbst aus einer Arbeiterfamilie. Als die Grundschule mir eine Gymnasialempfehlung gab, sprach sich meine Mutter gegen diese Schulform aus.
Ich würde ihr Verhalten nicht verteufeln: Eltern möchten ihre Kinder nicht überfordern. Vielleicht steht die Angst dahinter, im Gymnasium nicht helfen zu können. Die meisten Eltern wollen das Beste für ihre Kinder.
Ich würde mir wünschen, dass Kinder und Jugendliche von verschiedenen Seiten gesagt bekommen, dass sie viele Möglichkeiten haben. Wir von Arbeiterkind.de wollen gar nicht, dass alle studieren: Ausbildung und Studium, beides ist fein. Es geht uns darum, dass Jugendliche für sich herausfinden, wo die Reise hingehen kann. Wie sie eine informierte Entscheidung treffen, und zwar losgelöst von ihrer sozialen Herkunft. Bei Eltern fände ich es super, wenn sie offen sind und sich mit ihrem Kind gemeinsam informieren.
Wenn diese Offenheit nicht da ist und man dazu noch Vorurteile über Akademiker zu hören kriegt: Wie geht man mit Familienclinch um?
Ich glaube, man kann dem nur begegnen, indem man sich den Ängsten der Eltern und der Familie bewusst ist. Ich kenne das von meiner eigenen Familie. Einmal sagte ich in einem Konflikt: „Leute, lasst uns das auf der Metaebene besprechen.“ Das kam nicht so gut an. Man sollte sich selbst Rückendeckung holen von Leuten, die einen bestärken.
Ich kenne es aus eigener Erfahrung auch, dass sich durch das Studium und das neue Umfeld die Sprache verändert. Wie schafft man es, sich nicht zu sehr von seinen Wurzeln zu entfremden?
Meiner Erfahrung nach wird das immer ein bisschen auftreten. Es ergibt Sinn, mit solchen Veränderungen bewusst umzugehen und zum Beispiel direkt zu sagen: Ja, ich rede jetzt etwas anders. Außerdem kann man nach Schnittstellen suchen und erklären, was man den ganzen Tag so macht. Die Eltern sollten bereit sein, Nachfragen zu stellen.
Wir haben nun darüber gesprochen, vor welchen Schwierigkeiten junge Erwachsene aus Arbeiterfamilien stehen. Aber bringen sie denn auch besondere Kompetenzen mit?
Auf jeden Fall. Sie sind risikobereiter, lassen sich auf neues Terrain ein und sind mutig. Außerdem können sie zwischen zwei Welten vermitteln und sich in beiden zurechtfinden: der, die sie von zu Hause kennen, und der akademischen Welt. Häufig sind Menschen aus Arbeiterfamilien sehr bodenständig, fleißig und zielorientiert.
Original
Seit einem Jahrzehnt kümmert sich in Deutschland die Initiative Arbeiterkind.de um Schüler und junge Erwachsene, die als Erste in ihrer Familie studieren (möchten). GZ-Volontärin Sarah Franke hat mit Anika Werner, Bundeslandkoordinatorin Niedersachsen bei Arbeiterkind.de, über Probleme, vor denen Arbeiterkindern stehen, gesprochen – und über Kompetenzen, die sie mitbringen.
Wieso studieren weniger Kinder aus Arbeiter- als aus Akademikerfamilien?
Soziale Herkunft beeinflusst uns alle, auch losgelöst davon, wie gut das Verhältnis zu den Eltern ist. Bei der Berufswahl orientieren wir uns primär an unseren Eltern. Menschen aus Arbeiterfamilien haben häufiger Informationsdefizite bezüglich des Ablaufs und der Konsequenzen eines Studiums sowie den damit verbundenen Zukunftsperspektiven.
Die Statistik zeigt: Akademiker verdienen durchschnittlich mehr als Menschen mit Berufsausbildung. Ist Geld für Arbeiterkinder ein relevanteres Thema?
Hundertprozentig. Denn Geld ist gekoppelt an Stabilität und ein Gefühl von Sicherheit. Manche möchten kein Bafög in Anspruch nehmen, um sich nicht für Bildung zu verschulden. Das ist ein großes Thema für junge Erwachsene, die als Erste in ihrer Familie studieren.
Es wird ja auch immer gesagt, die Ausbildung sei etwas Solides ...
... da verdient man gleich Geld und muss nicht in Vorleistung gehen. Der Wert von einem Studium scheint vielen nicht klar zu sein. Uns prägt außerdem, ob das Studium beispielsweise Thema beim Abendbrot ist. Das war bei mir zu Hause nie der Fall. Meine Eltern haben beide nicht studiert. In meiner Lebenswelt war die Option Studium dementsprechend nicht präsent.
Haben Sie denn studiert?
Ja, ich bin die Erste aus meiner Familie. Ich hatte eine Hauptschulempfehlung, bin dann auf die Realschule gegangen und habe schließlich Abitur gemacht. Meine Eltern haben mich immer unterstützt bei allen Entscheidungen, die ich getroffen habe.
Das ist ja ein ziemlich imposanter Weg. Glauben Sie, unser Bildungssystem separiert Schüler zu früh?
Auf jeden Fall. Es ist nachgewiesen, dass Schüler und Schülerinnen aus Akademikerhaushalten bei gleicher Qualifikation besser eingestuft und bewertet werden.
Nicht alle Eltern sind so offen wie Ihre. Ich komme selbst aus einer Arbeiterfamilie. Als die Grundschule mir eine Gymnasialempfehlung gab, sprach sich meine Mutter gegen diese Schulform aus.
Ich würde ihr Verhalten nicht verteufeln: Eltern möchten ihre Kinder nicht überfordern. Vielleicht steht die Angst dahinter, im Gymnasium nicht helfen zu können. Die meisten Eltern wollen das Beste für ihre Kinder.
Und wie wird das gewährleistet?
Ich würde mir wünschen, dass Kinder und Jugendliche von verschiedenen Seiten gesagt bekommen, dass sie viele Möglichkeiten haben. Wir von Arbeiterkind.de wollen gar nicht, dass alle studieren: Ausbildung und Studium, beides ist fein. Es geht uns darum, dass Jugendliche für sich herausfinden, wo die Reise hingehen kann. Wie sie eine informierte Entscheidung treffen, und zwar losgelöst von ihrer sozialen Herkunft. Bei Eltern fände ich es super, wenn sie offen sind und sich mit ihrem Kind gemeinsam informieren.
Wenn diese Offenheit nicht da ist und man dazu noch Vorurteile über Akademiker zu hören kriegt: Wie geht man mit Familienclinch um?
Ich glaube, man kann dem nur begegnen, indem man sich den Ängsten der Eltern und der Familie bewusst ist. Ich kenne das von meiner eigenen Familie. Einmal sagte ich in einem Konflikt: „Leute, lasst uns das auf der Metaebene besprechen.“ Das kam nicht so gut an. Man sollte sich selbst Rückendeckung holen von Leuten, die einen bestärken.
Ich kenne es aus eigener Erfahrung auch, dass sich durch das Studium und das neue Umfeld die Sprache verändert. Wie schafft man es, sich nicht zu sehr von seinen Wurzeln zu entfremden?
Meiner Erfahrung nach wird das immer ein bisschen auftreten. Es ergibt Sinn, mit solchen Veränderungen bewusst umzugehen und zum Beispiel direkt zu sagen: Ja, ich rede jetzt etwas anders. Außerdem kann man nach Schnittstellen suchen und erklären, was man den ganzen Tag so macht. Die Eltern sollten bereit sein, Nachfragen zu stellen.
Wir haben nun darüber gesprochen, vor welchen Schwierigkeiten junge Erwachsene aus Arbeiterfamilien stehen. Aber bringen sie denn auch besondere Kompetenzen mit?
Auf jeden Fall. Sie sind risikobereiter, lassen sich auf neues Terrain ein und sind mutig. Außerdem können sie zwischen zwei Welten vermitteln und sich in beiden zurechtfinden: der, die sie von zu Hause kennen, und der akademischen Welt. Häufig sind Menschen aus Arbeiterfamilien sehr bodenständig, fleißig und zielorientiert.
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