Die Militärjunta hat abgedankt, 2011-2016 wird Birma von moderaten ehemaligen Generälen regiert, die die Uniform gegen Zivilkluft getauscht haben. Sie begannen einen Reform- und Aussöhnungsprozess von oben und ließen Aung San Suu Kyi frei, Birmas Oppositionsführerin, Friedensnobelpreisträgerin, Heldin. Über zehn Jahre lang hatte sie unter Hausarrest gestanden, nun ist sie Parlamentsabgeordnete, lebt und arbeitet in Naypyidaw. Seit 2016, als erste zivile Regierung, ist Ihre Partei NLD an der Macht.
Die Idee zu einer neuen Hauptstadt hatte der damals regierende General Than Shwe nach einem Besuch bei seinem Astrologen. Dieser riet ihm, die Hauptstadt zu verlegen, zur Stabilisierung seiner Macht.
Der streng abergläubische General wollte kein Risiko eingehen, zumal er Angst hatte vor Studentenunruhen und Mönchsprotesten in Rangun, außerdem befürchtete er einen Einmarsch der Amerikaner. Wenig später schon begannen die Bauarbeiten 320 Kilometer nördlich von Rangun, im Nichts. Vor der Öffentlichkeit wurden das Projekt streng geheim gehalten.
Am 6.11.2005 wurde verkündet, dass Birma von nun an eine neue Hauptstadt habe. Than Shwe zog mit dem ersten Konvoi gen Norden. Kurz darauf, am 11.11.2005 um elf Uhr, wurden elf Ministerien eröffnet, elf Armee-Bataillone rollten auf 1100 Militär-Lkw in die neue Stadt ein.
In Birma weiß man, dass die Glückszahl des Generals die 6 und die heilige Ziffer der neuen Hauptstadt die 11 war. Im März 2006 wurde der offizielle Name der neuen Hauptstadt verkündet: Naypyidaw, was so viel bedeutet wie "Sitz der Könige". Das ist eine ziemlich naheliegende Bezeichnung, betrachtete sich Than Shwe doch als Reinkarnation eines ehemaligen Königs.
Theit Pein Soe, ein großer Birmane mit dunkler Haut, fährt auf einer 20-spurigen Straße. Er hat sein rosa Hemd in einen lilafarbenen Longyi gesteckt, den traditionellen birmanischen Wickelrock, den auch Männer tragen.
Weit und breit ist kein Auto zu sehen, ab und an überholen Motorräder. Neben ihm sitzt seine Verlobte. Eigentlich haben die beiden keine Zeit, weil sie morgen ihre eigene Hochzeit auf dem Kalender stehen haben.
Aber sie bestehen darauf, Ihren Gästen die Stadt zu zeigen: zwei Touristen, die sie eigentlich nicht kennen, die aber Theit Pein Soes Vorgesetzten kennen, der jedoch nicht in der Stadt ist und seine Gäste deshalb an das Hochzeitspaar weitergeleitet hat.
Leere StadtNaypyidaw hat angeblich an die 900.000 Einwohner - wo die alle stecken, bleibt angesichts der allgegenwärtigen Leere ein Rätsel. Die Stadt ist fast zehnmal so groß wie Berlin - es ist unmöglich, sie zu Fuß zu erkunden.
Weil Theit Pein Soe ein Auto besitzt und weil es in Birma eine Selbstverständlichkeit ist, Gäste willkommen zu heißen, kümmern er und seine Verlobte sich ausgiebig um uns.
Wir fahren langsam an einem Trumm von Palast vorbei, verziert mit vielen kleinen Dächern im Pagodenstil. "Das ist das Parlament", sagt Theit Pein Soe ehrfürchtig. Stehen bleiben oder aussteigen ist untersagt.
Zwar dürfen Touristen jetzt die Regierungsstadt legal und ohne Sondergenehmigung besuchen, jedoch gibt es weiterhin Vorschriften, die bei einem Besuch eingehalten werden müssen. "Regierungsgebäude fotografieren verboten!" ist eine davon.
Wohnen nach FarbenDie ganze Stadt ist in Zonen aufgeteilt. Es gibt die Militärzone, die Regierungszone, die Hotelzone und die Wohnzone. Die Häuser der Wohnzone sind in unterschiedlichen Farben bemalt: Hellblau, Grün, Rosa. Die jeweiligen Farben weisen auf den Dienstgrad der Bewohner hin. So wohnen beispielsweise die Angestellten des Gesundheitsministeriums in identisch aussehenden hellblauen Häusern.
Etwas weiter weg findet man die Wohnungen der Angestellten des Landwirtschaftsministeriums mit grünem Anstrich. Höhergestellte Regierungsmitarbeiter wohnen in Villen, die von der Straße aus durch Bäume verdeckt sind. Was für uns gewöhnungsbedürftig klingt, findet Theit Pein Soe praktisch: "Wenn jemand seinen Beruf nennt, ist gleich klar, wo die Person wohnt."
Die meisten Bewohner sind nach Naypyidaw gekommen, weil sie entweder bei der Regierung arbeiten oder weil ein Familienmitglied bei der Regierung arbeitet. Theit Pein Soe ist auch bei der Regierung angestellt. Als Polizist. Ihm gefällt es eigentlich ganz gut. "Die Luft ist besser und hier ist mehr Platz als in der alten Hauptstadt."
Viele scheinen seine Meinung nicht zu teilen, sonst wären mehr Menschen unterwegs. Die einzigen sichtbaren Birmanen sind Straßenkehrer, die mit großen Hüten und kleinen Reisigbesen den Staub von den unbefahrenen Straßen fegen.
Nach dreißigminütiger Fahrt, vorbei an vereinzelten kleinen Hütten und einer Rinderherde, schimmert in der Ferne auf einer Erhebung eine goldene Pagode. Sie sieht genauso aus wie das größte Heiligtum Birmas, die Shwedagon-Pagode in Rangun.
"Fast genauso", merkt Theit Pein Soe an. Diese hier heißt Uppatasanti-Pagode, was übersetzt "Schutz vor Unheil" bedeutet. Der Name entstammt einem Vers eines Sutras aus dem 16. Jahrhundert, er wurde vom Militärregime bewusst gewählt - es wollte sich in Naypyidaw vor dem eigenen Volk schützen.
Warum aber die verblüffende Gleichheit der Gebäude? Bei der Stadtplanung ihrer neuen Hauptstadt wollten die buddhistischen Generäle nicht auf ihre lieb gewonnene Shwedagon-Pagode verzichten und ließen sie einfach nachbauen. Sie hatten aber Angst, dass ein Unglück die Erbauer ereilen könnte, wenn sie das neue Heiligtum genauso groß und hoch bauen würden wie das Original. Also ließ man die neue Pagode 30 Zentimeter kleiner werden.
"Bei dem Bau von Heiligtümern ist Vorsicht geboten" - Theit Pein Soe nickt ehrfürchtig und erzählt ein Beispiel: Im 13. Jahrhundert habe der damalige König Narathihiapati eine Pagode in Auftrag gegeben. Ein Astrologe habe ihn gewarnt, er solle den Bau abbrechen. Als der König die Pagode trotzdem fertigstellen ließ, wurde er kurz danach getötet und die Mongolen fielen in Birma ein.
Die Straße führt direkt auf die Pagode zu. Majestätisch erhebt sie sich. Es ist heiß. In einem kleinen Raum unterhalb der Pagode werden Longyis verliehen, ohne die die Pagode nicht betreten werden darf. Ist der Rock über die Hose geknotet, bringt ein Aufzug die Besucher auf die Ebene der Pagode.
Mönchsgebete ertönen aus Lautsprechern, Mönche sind allerdings nicht zu erblicken. Eine Gruppe Birmanen verschwindet in das Innere der Pagode - ein weiterer Unterschied zum Original, dessen Inneres nicht betreten werden darf. Zum Umrunden der Pagode, an der Shwedagon-Pagode ist das an der Tagesordnung, ist es zu heiß.
Drinnen knien Birmanen auf dem Marmorboden vor blinkenden Buddha-Statuen und legen Blumen nieder. Andere fotografieren sich gegenseitig. "Wir sind nicht von hier", erzählt eine Familie. Es sind vor allem Touristen, die die Pagode besuchen. Bewohner von Naypyidaw kommen selten hierher.
Außerhalb der Pagode führen Treppenstufen zu einem offenen, mit grünen Dächern verzierten Gehege. Dort stehen fünf weiße Elefanten, einer davon ist ein Babyelefant. Die Birmanen beobachten entzückt durch das grüne Gatter die seltenen weißen Riesen.
Ein weißer Elefant gilt als heilig. Der Besitz des Symbols für Macht und Glück war traditionell nur Königen erlaubt. Gleich fünf zu besitzen ist eine ungeheuerliche Demonstration der Macht. Theit Pein Soe erklärt, dass ein Elefant aus Rangun stammt, drei weitere hat man im Dschungel "gefunden", einer wurde hier geboren.
Theit Pein Soe wirkt angespannt. Der Hochzeitstermin rückt näher, deshalb bringt er die Gäste zurück in die Hotelzone. Wieder ist es eine lange Fahrt. Gärtner gießen die akkurat am Straßenrand angelegten Bäume und Grünflächen, die genauso perfekt, aber künstlich wirken wie der Rest der Stadt.
Die Sonne geht unter, prächtige Straßenlaternen erleuchten nun die Fahrbahn. Jetzt wirkt die Leere der Straßen fast gespenstisch. Auf jeder Verkehrsinsel steht eine haushohe Lotusblumen-Skulptur, bunt illuminiert. Ein Springbrunnen schießt aus der Blüte. Den Kreisel umrunden bunte Lichterketten, die ständig ihre Farben ändern. Kitschig für den Europäer, schön für den Asiaten. Natürlich nennt sich der Kreisel "Royal Lotus Roundabout", königlicher Verkehrskreisel.
In der Hotelzone reiht sich Herberge an Herberge. Alle Anlagen sind groß, prunkvoll und so gut wie leer. Ein Elektroauto fährt uns zu unserem Hotelbungalow, denn selbst hier ist der Weg zu weit, um ihn zu Fuß zu gehen.
Ein Wachmann plaudert vor dem Bungalow aus, dass er lieber wieder nach Rangun möchte: "Sauber ist es hier, aber es gibt eben keine Menschen. Und auch keine öffentlichen Verkehrsmittel." Das Leben hier habe er sich anders vorgestellt.
Vor einem der Hotels steht ein Flugzeug, das jetzt als Café genutzt wird. Gäste sind nicht zu sehen.
Auch das "Gem Museum", das Edelsteinmuseum der Hauptstadt, das uns an der Rezeption empfohlen wurde, ist gähnend leer. 20 Angestellte öffnen den mit Vitrinen gefüllten Raum und schalten das Licht an.
Die Führung beginnt, man zeigt uns Rubine, Diamanten und die größte Perle der Welt. Unfassbare Schätze liegen hinter den Panzerglasscheiben, gehortet von der Militärjunta, die Birma von einem der reichsten Länder Asiens zum Armenhaus der Region gemacht hat.
Neue Ausstellungsstücke haben die Generäle dem Museum seit 2011 nicht mehr beschert. Das Land setzt nun andere Prioritäten. Zum Glück.
Erschienen in: Welt & Welt am Sonntag