Trotz der vielen Reisen durch Europa liegt die Identität unserer Autorin irgendwo zwischen Sauerland, Mexiko und Düsseldorf. Über die schwierige Suche nach der Heimat in Europa.
Ich bin Europäerin, das ist Fakt. Denn jeder deutsche Staatsangehörige ist auch Bürger der Europäischen Union. Und ich bin dankbar dafür, dass ich das Glück hatte, in Deutschland und Europa aufgewachsen zu sein. Gäbe es die Europäische Union nicht, würden meine Reisen über den Kontinent sicherlich nicht so unkompliziert ablaufen.
Vereinigte Staaten von Europa bis 2025? Mehr als optimistisch.
Natürlich ist nicht nur das Reisen einfacher: Ich kann studieren und wohnen, wo ich will. Und, wovon ich vor kurzem zum ersten Mal profitiert habe und was in diesem Kontext so unwichtig klingt: Dank der EU bekomme ich keine dicke Handyrechnung mehr, wenn ich im europäischen Ausland mit dem Smartphone ins Internet gehe. Ja, das ist eine wahre Errungenschaft für meine Generation!
Das alles weiß ich zu schätzen und will, dass es so bleibt. Aber ich habe ein Problem: Ich fühle mich nicht europäisch. Zumindest nicht aktuell. Denn: Was momentan in der EU los ist, zeugt für mich nicht von gemeinsamen europäischen Werten und zeigt, dass es der EU nicht gelingt, in Krisenzeiten gemeinsame Lösungen zu finden.
Ich kenne kein Europa ohne Europäische Union. Genauso kenne ich Deutschland nur ohne die Mauer, die das Land einmal geteilt hat. Umso mehr sorge ich mich um die EU, wenn ich momentan die Nachrichten schaue. Die EU-Kommission hat ihre Mitgliedsländer Tschechien, Polen und Ungarn verklagt, weil sie keine Flüchtlinge aufnehmen wollen.
Überall in den europäischen Mitgliedsstaaten sind in den vergangenen Jahren eurokritische Parteien stark geworden. Die Verhandlungen über den Ausstieg Großbritanniens aus der EU sind in vollem Gange. Eine Lösung in der gemeinsamen Asyl- und Flüchtlingspolitik, ohne auf Staaten wie die Türkei angewiesen zu sein? Nicht in Sicht.
Die Vorteile der Vereinigten Staaten von Europa: Das Ende des Nationalismus
Und gerade jetzt, in all dem Ärger, fordert SPD-Chef Martin Schulz die „Vereinigten Staaten von Europa“. Der Vorschlag ist radikal. Doch wir sollten ihn nicht direkt als unrealistisch abstempeln, sondern ihn zum Anlass nehmen, über die Zukunft der EU zu diskutieren.
Ich fordere: Schluss mit der EU, in der gefühlt jeder Staat sein eigenes Süppchen kocht und sich ausschließlich auf seine eigenen Interessen konzentriert!
Ich habe nichts gegen nationale Identitäten, aber gegen Nationalismus. Jedes Land hat eine eigene Geschichte, eine eigene Kultur, eine eigene Sprache. Für meine Mutter, gebürtige Mexikanerin, ist Nationalbewusstsein etwas Positives, das verbindet, und in ihrem Heimatland normal ist.
Mein Vater, Deutscher, würde sich hingegen wohl nicht in erster Linie als Deutsch sehen, sondern als Sauerländer. Identität ist, was du draus machst. Und ich, ich bin also eine halb-mexikanische Sauerländerin, die es nach Düsseldorf verzogen hat. Oder so.
Es fällt mir schwer zu sagen, was Deutschsein ist und bedeutet. Gerade deshalb kann ich noch weniger sagen, was meine Identität als Europäerin ausmacht.
Ich will mich nicht nur dann europäisch fühlen, wenn ich in andere Staaten reise
Ich fühle mich deutsch, wenn ich im Urlaub die Einzige bin, die an einer roten Ampel stehen bleibt, obwohl alle anderen schon längst über die Straße sind. Ich fühle mich als Sauerländerin, wenn ich in Düsseldorf darauf angesprochen werde, wieso ich so schnell spreche und manchmal so komische Wörter benutze. Situationen, in denen ich mich europäisch fühle, gibt es kaum – außer, ich fahre über eine offene Grenze in einen anderen Staat. Ich fühle mich meiner Familie zugehörig, meinem Freundeskreis, dem Verband, in dem ich mich engagiere und sogar dem Büro, das ich morgens betrete. Ich fühle mich dem 700-Einwohner-Dorf zugehörig, in dem ich aufgewachsen bin, weil mir dort nicht egal ist, wie die Dinge ihren Lauf nehmen. Überall dort spüre ich Einheiten. Das tue ich aber nicht, wenn ich in diesem Moment an Europa denke.
Ich möchte, dass sich das ändert. Na klar, das fängt auch bei mir an. Ich sollte mir öfter ins Bewusstsein rufen, welche Vorteile mir die EU bietet. Aber auch die Art und Weise, wie in Europa Politik gemacht wird, kann dazu beitragen, wie sehr wir uns als Europäer sehen, oder nicht, ob wir gemeinsam Probleme lösen und ob wir in eine gute, gemeinsame Zukunft schauen können.
Auch wenn ich sicherlich nicht allem zustimme, was er sagt, hat der neue österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz doch in einer Sache Recht: „Für meine Generation ist Europa selbstverständlich, deshalb können wir die Diskussionen darüber vielleicht härter angehen“. Ich zähle mich zu dieser Generation. Daher lautet mein Vorschlag: Lasst uns streiten. Über das „Wie“, nicht über das „Ob“.
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