Der Instagram-Account „Schwalbenjahre" ist eine Zeitreise in die DDR. Die Fotografin Jessica Barthel hat ihn 2019 gegründet, weil sie dem oft einseitigen und negativen Bild der DDR etwas entgegensetzen wollte. Seitdem übernehmen Menschen, die in der früheren DDR aufgewachsen sind, jeweils für eine Woche den Account und posten Fotos mit Geschichten aus der Zeit vor der Wiedervereinigung.
Ich habe das Projekt „Schwalbenjahre" nicht nur für mich gestartet, sondern vor allem für die Generation nach der Wende, die die DDR selbst nicht erlebt haben. Der Instagram-Kanal „Schwalbenjahre" ist eine Plattform, auf der Menschen aus der ehemaligen DDR, Menschen aus Westdeutschland und jüngere Leute aufeinandertreffen. Die Menschen, die die DDR nicht miterlebt haben, können in den Kommentaren und in Direktnachrichten Fragen stellen und sich mit den Menschen aus der damaligen DDR austauschen. Diesen Dialog finde ich sehr wichtig.
Ja, ich sehe regelmäßig, dass in den Kommentaren kleine Unterhaltungen beginnen. Ich sehe, dass die Leute Fragen stellen oder beispielsweise kommentieren: „Ich wusste gar nicht, dass es das bei euch auch gab!". Die Take-over dauern jeweils eine Woche und in dieser Zeit dürfen die User den Account vollständig übernehmen: Beiträge schreiben, Nachrichten beantworten, etc.
Ich habe vor kurzem eine Zielgruppenanalyse durchgeführt und war positiv überrascht, wie durchmischt meine Follower sind. Alle Altersgruppen von 16 bis 50 Jahren sind in etwa gleich vertreten. Den Instagram-Account habe ich ursprünglich für die Digital Natives gegründet, um ihnen das meist triste Thema „DDR" zielgruppengerecht und möglichst authentisch nahezubringen. Es freut mich natürlich sehr, dass ich nun so viele unterschiedliche Menschen erreiche.
Es geht mir bei dem Projekt nicht darum, die DDR zu beschönigen oder ausschließlich positiv darzustellen. Aber ich wünsche mir, dass den gängigen Stereotypen von DDR-Bürgern und der DDR als Ort eine weitere Sichtweise hinzugefügt wird. Ich möchte gern dazu beitragen, das Bild der DDR ein bisschen bunter zu machen, als es oft dargestellt wird.
Bei „unser letzter Sommer" geht es um die Nachwendejahre, also die 1990er Jahre. Es geht darum, das Lebenswerk der Menschen anzuerkennen. Für den Großteil der Menschen war es wahnsinnig schwer, ihr Leben neu zu beginnen, egal in welcher Lebensphase sie waren. Das fängt damit an, dass Kinder in der Schule auf einmal ihre Bücher auswechseln mussten. Viele Erwachsene haben ihre Arbeit verloren, weil der Betrieb, in dem sie gearbeitet haben, geschlossen wurde. Manche, zum Beispiel Leute kurz vor der Rente, haben gar keine Arbeit mehr gefunden. Ich finde es sehr wichtig, den Leuten, die das nicht miterlebt haben, zu zeigen, wie viel sich im Leben der Menschen geändert hat.
Es wird schon sehr bald eine englischsprachige Version von Schwalbenjahre geben. Ich denke, vor allem außerhalb des deutschsprachigen Raums gibt es großen Aufklärungsbedarf. Auch das Buch „Schwalbenjahre - Ein Erinnerungsportrait der DDR" wird auf Englisch erscheinen.
Ich möchte, dass die Leute den Mensch hinter dem System DDR sehen. Ich wünsche mir, dass sie weniger Vorurteile haben und mehr Respekt vor der Lebensleistung einiger Menschen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sandra Schaftner, Chemnitz
Infobox:
Jessica Barthel wurde 1984 in Leipzig geboren und flüchtete wenige Tage vor dem Mauerfall mit ihren Eltern nach Westdeutschland. Anschließend lebte sie in Bayern, bis sie zum Studium nach New York ging. Inzwischen ist sie wieder in ihre Heimat Leipzig zurückgekehrt und arbeitet als Fotografin in Berlin. Auf ihren Insta-Accounts „Schwalbenjahre" und „unser letzter Sommer" berichten Zeitzeugen über ihre Erfahrung der DDR und der Nachwendejahre.
Foto Jessica Barthel: Jessica_Barthel_Presspicture_by_Daniel_Boeck