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Feature

Brûle ta fac! – #unibrennt à la française

Während die ÖsterreicherInnen wegen des Sparpakets der Regierung auf die Barrikaden steigen, gibt es in Frankreich ähnliche Probleme: Das Pensionsantrittsalter soll von 60 auf 62 Jahre angehoben werden. Streiks und Demos sind an der Tagesordnung, ein Erasmussemester gerinnt zum Klischee.

Ein Oktobermorgen wie jeder andere in der südfranzösischen Stadt Montpellier, möchte man meinen. Doch wer zur Uni will, wird schnell eines Besseren belehrt: Die Tore, die den Campus umgeben, sind eingerastet, bärbeißige Hausmeistertypen ganz in Schwarz stehen rauchend davor herum und sorgen pedantisch dafür, dass niemand das Unigelände betritt. „La fac est fermée“, heißt es. Eine Woche soll die geisteswissenschaftliche Fakultät geschlossen bleiben. Der Grund dafür findet sich wenig später im E-Mail-Posteingang: Das Rektorat stellt in einer offiziellen Aussendung klar, dass der Zutritt zum Campus aus Gründen der Sicherheit nicht mehr möglich ist.
Bereits seit Wochen war das Land wegen der geplanten Erhöhung des Pensionsantrittsalters von 60 auf 62 Jahre in Aufruhr gewesen. Jugendliche wie ArbeiterInnen begehrten öffentlich gegen die Reform der Regierung auf. Ausschreitungen mit brennenden Autos, zerbrochenen Schaufenstern und Straßenschlachten mit der Polizei dominierten Nachrichten und Stadtbild. In der Stadt Le Mans brannte gar eine Schule nieder. Die ausgeprägte Protestkultur der Französinnen und Franzosen, die sich nicht selten in handfesten Krawallen manifestiert, führt etwa der amerikanische Ethnologe Mark Lilla darauf zurück, dass Streiks neben der Tour de France das letzte verbleibende öffentliche Ritual seien, das den Franzosen das Gefühl gebe, französisch zu sein.

Paul-Valéry takes action

In der Nacht zuvor hatten schließlich auch Studierende der Université Paul Valéry in Montpellier beschlossen, sich möglichst französisch zu geben und dem Protestaufruf der UNEF, der größten StudentInnengewerkschaft, nachzukommen. In einer studentischen Vollversammlung hatten sie für die Besetzung der Universität gestimmt, einige richteten sich für die Nacht im größten Hörsaal ein. Schon nach wenigen Stunden wurde das Campusgelände allerdings auf Anordnung des Rektorats durch Sicherheitskräfte geräumt und abgeriegelt, um die Sicherheit für Studierende und Personal gewährleisten zu können, wie es hieß. Eine Woche sollte die Schließung der Hochschule dauern. Das Rektorat hatte die Rechnung aber ohne eine Gruppe Studierender gemacht, die nach der Wiedereröffnung der Uni die angedachte Besetzung schließlich in die Tat umsetzt, um ihrer Unzufriedenheit mit der konservativen Regierung Ausdruck zu verleihen. Die Eingänge der Vorlesungsgebäude werden mit Sesseln und Tischen verrammelt. Anfangs sieht man noch die eine oder andere verwirrte Gestalt vor verbarrikadierten Türen stehen, die sich dann aber recht schnell wieder trollt. Bald ist der Campus wie ausgestorben und alle scheinen halbwegs froh über die unerwarteten Ferien zu sein. Nur eine Handvoll BesetzerInnen hat sich im größten Hörsaal verschanzt, wo sie eifrig Plakate bekritzeln oder die Bänke und Wände mit Parolen beschmieren und der Aufforderung, die Uni niederzubrennen – „Brûle ta fac!“. „Uni brennt“ wird hier ein wenig radikaler ausgelegt als etwa in Österreich, wo die Studierendenproteste weitgehend friedlich verlaufen.

Protest ist Programm

Einer der rund zwanzig BesetzerInnen ist Olivier, Philosophiestudent im 5. Semester. Er ist gerade dabei ein Plakat an die Wand zu kleistern: „Es ist völlig schwachsinnig, alte Leute dazu zu zwingen, länger arbeiten zu gehen, wenn gleichzeitig die Jungendarbeitslosigkeit explodiert“, meint er, während er einen Pinsel in einen Kübel mit Leim taucht. „Die Reform sieht auch vor, dass wir 41,5 Jahre lang Beiträge entrichten sollen, um die volle Pension zu bekommen. Wie soll das gehen, wenn an die 23 Prozent der Jugendlichen keinen Job haben? Wenn die Alten künftig später in den Ruhestand gehen als bisher, werden ihre Stellen noch später frei, die Jungen kommen noch schwerer zum Zug. Die Reform ist ungerecht, sie benachteiligt die Jugend!“, verleiht er seiner Wut Ausdruck und pinselt weiter über das dicht beschriebene Blatt Papier. Darauf wird der Austritt aus dem Bolognaprozess gefordert, die Kommerzialisierung der Gesellschaft angeprangert. Auch die allgemeine Unzufriedenheit mit der Regierung kommt deutlich zum Ausdruck, zentraler Aufreger bleibt aber die Pensionsreform: „Wir werden die Proteste fortsetzen, damit die Regierung die Probleme der Jugend nicht länger ausblenden kann. Wir lassen uns nicht mehr mit vagen Versprechen abspeisen“, sagt Olivier. Obwohl die BesetzerInnen zahlenmäßig nicht besonders beeindrucken, wagt es das Rektorat nicht, gegen sie einzuschreiten: Im Notfall könnte über Social Networks und SMS schnell eine beträchtliche Anzahl an SympathisantInnen zusammengetrommelt werden und der Protest außer Kontrolle geraten. Immerhin gilt die Verbarrikadierung der Gebäude mit Wällen aus Tischen und Sesseln bereits als erstes Indiz für eine mögliche Radikalisierung des Konflikts. Und die Zündelfreudigkeit der französischen Jugend ist nur zu gut bekannt …

Der Blick von außen

Wegen der Proteste blieben seit September in ganz Frankreich immer wieder Post- und Arbeitsämter, Schulen, Kindergärten und zeitweise bis zu sieben Universitäten geschlossen. Raffinerien und Tankstellen wurden blockiert, öffentliche Verkehrsmittel standen still. Die meisten Französinnen und Franzosen nehmen die Aktionen gegen die Pensionsreform gelassen hin, viele billigen sie sogar ausdrücklich. Etwas ungehaltener, oder zumindest verwunderter, nehmen die ErasmusstudentInnen die Haudraufmentalität der Protestierenden wahr: Zu hitzig und rückhaltlos, zu wenig durchdacht und zielführend wirken die Aktionen auf diese, sorgen aber zumindest für verbale Ergüsse, wie viel produktiver im jeweiligen eigenen Land auf die Barrikaden gestiegen wird. Ähnliche Situationen kennen schließlich viele Nationen: Großbritannien, wo die Studiengebühren empfindlich angehoben werden sollen, Deutschland, das unter Bologna ächzt, Österreich, wo die Kürzung der Familienbeihilfe dräut. Verständnis für die Ausschreitungen in Frankreich haben die wenigsten. Zudem macht sich unter den Erasmusstudierenden eine gewisse Panik breit, was die Anrechenbarkeit ihrer ECTS-Punkte betrifft. Ähnliches gibt auch die Rektorin von Paul-Valéry, Anne Fraïsse, zu bedenken: „Anstatt zu einer wirklichen Mobilisierung hat die Blockade der Universität nur zu einem verwaisten Campus geführt, zu Spannungen und gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen BesetzerInnen und VertreterInnen der Universität. Diese Aktion beeinträchtigt in erster Linie die schwächsten StudentInnen: Erstsemester, arbeitende HochschülerInnen und GaststudentInnen aus dem Ausland.“ Diese Einwände lassen die BesetzerInnen nicht gelten. Auch dass die Nationalversammlung die umstrittene Pensionsreform inzwischen bereits genehmigt hat, stört sie wenig. Sie tun weiter ihren Unmut kund. Schließlich geht es um ihre Zukunft.


Hintergrund
Die Franzosen sollen künftig statt mit 60 mit 62 Jahren in Pension gehen. Die Zahl der nötigen Beitragsjahre wird sukzessive von momentan 40,5 auf 41,5 Jahre erhöht. Das im europäischen Vergleich immer noch niedrige Pensionsantrittsalter lässt sich nicht etwa durch etwaige höhere Einzahlungsbeträge erklären, sondern demografisch: Die Geburtenrate liegt in Frankreich bei 2,02 Kindern pro Frau (Österreich: 1,41) und damit deutlich über dem EU-Schnitt.


Foto (Sandra Bernhofer): Sarkos Pensionsreform sorgt für Empörung in ganz FrankreichSpät, aber doch regt sich auch im entspannten Süden Widerstand und sorgt für geschlossene Campus-Tore.