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Der hohe Norden von Wien

Foto: KURIER/Schraml

Kneipe, Laden und Grafikagentur: Mit weniger gibt sich der Hafenjunge nicht zufrieden. Und das ist auch gut so.


Für Hamburgfans liegt das Gute ja so nah: in der Esterhazygasse im sechsten Wiener Gemeindebezirk nämlich. Hier hat der "Hafenjunge" den sprichwörtlichen Anker geworfen: Ein blauer Neon-Anker über dem Eingang verspricht hanseatisches Flair, im Sommer kann man sich gemütlich mit einem Astra an der "Hafenkante" vor dem Lokal niederlassen. Der Laden selbst ist klein, aber fein: Drei weiße Holztischchen mit passenden Sesseln stehen herum. Design-Elemente aus dem Dunstkreis von Meer und Hafen locken mit Hamburgflair zum Mitnehmen.

Hinter dieser geballten Ladung Seeluft steckt Markus Handl, der in einer Ecke des Ladens auch einen Schreibtisch stehen hat, von dem aus er seine Grafikbasteleien betreibt. Er war mehr als zehn Jahre lang bei verschiedenen Agenturen beschäftigt, hatte aber irgendwann genug vom eintönigen 9-to-5-Job. Der Entschluss, sich selbstständig zu machen, war schnell gefasst. Aber wie? Ein halbes Jahr überlegte er, bevor er dann zum Hafenjungen mutierte: "Die Idee war, nicht alleine von zu Hause aus zu arbeiten. Deshalb wollte ich zusätzlich zur Agentur auch einen Laden aufmachen. Wenn Kundschaft kommt, unterbreche ich eben meine Grafikerarbeit." Und da es in Wien nicht reiche, einfach irgendein weiteres Geschäft aufzumachen, brauchte es zusätzlich ein Konzept dahinter: "Da es mich schon immer in den Norden gezogen hat – vielleicht, weil ich so blasse Haut habe –, stand Hamburg schnell als Thema fest."

Als Handl herausfand, dass der Import von Hamburger Bier gar nicht so schwer ist, machte er Ernst – und stieß prompt auf erste Hürden: "Mit meinem Businessplan wollte ich einen Jungunternehmerkredit beantragen. Die meinten zwar, dass der Plan super sei. Aber Geld gab es keines, weil der Bürge fehlte." Also überzog Handl kurzerhand sein Konto bis zum Anschlag und fing auf eigene Faust an. Damit hörten die Probleme nicht auf, am Gewerbeamt ging es weiter: "Wollen Sie sich nicht auf eine Sache beschränken?", wurde er dort gefragt. Das wollte Markus Handl nicht: "Heute brauche ich drei Gewerbescheine für den kleinen Laden und zahle Umlagen ohne Ende. Kreativgründungen versteht das österreichische Verbändesystem nicht."

Anfang 2010 machte der Laden allen Widrigkeiten zum Trotz auf: "Es lief von Anfang an sehr gut." Wer meint, dass nur Exil-Hamburger angeschwemmt würden, der irrt: Vor allem die Nachbarn seien ein treues Klientel, es kämen auch viele Studenten oder Wiener, die sich in Hamburg verliebt hätten. In Hamburg mit seiner Offenheit und Urbanität verliebt hat sich auch Markus Handl. Er wollte eigentlich auswandern, pendelte eine Zeit lang zwischen Wien und Hamburg: "Dann fand ich eine Freundin in Wien und sie hier einen sehr guten Job. Der Laden ist für mich auch eine Art Fernwehüberbrückung." Und so kommt es, dass Hamburger Bierspezialitäten und Limos auf der Speisekarte stehen, Hotdogs mit Kraut oder die klassischen Hamburger Franzbrötchen mit Zimt und Zucker.

Fernweh-Souvenirs

An der linken Wand kann man aus liebevoll gestalteten Büchern, Tassen oder Postkarten Mitbringsel aussuchen: "Das sind Dinge, die ich früher schon gerne aus Hamburg mitgebracht habe oder Selbstgemachtes, auch von befreundeten Designern, wie etwa die Ahoi-Kissen." Hafen und Meer sind dominierend, Assoziationen mit Freiheit werden wach: "Damit kann eigentlich jeder etwas anfangen", meint Handl.
Auch wenn ihn das Fernweh plagt, verwurzelt ist Markus Handl in Wien. Vor allem die Nachbarschaft hat es ihm angetan: "Es ist heimelig, man kennt sich, es gibt keine Konkurrenzsituation mit den anderen Läden." Vielmehr werde mit den Leuten aus der Gegend kooperiert. Die Franzbrötchen etwa kommen von "Bröselkeks", die Kissen von "Lotte näht": "Ich glaube, dieser Zusammenhalt ist etwas Wien-Untypisches." Ein toller Nebeneffekt des Ladens? "Er funktioniert super als Werbeträger für meine Grafikarbeiten. Letztes Jahr bekam ich zum Beispiel den Auftrag vom Bundeskanzleramt, die Broschüre für die Expo in Schanghai zu gestalten. Das kam zufällig über den Laden zustande."


Meilensteine – "Kann Zeit selbst einteilen" 
Wieso das Ganze? Um selbstständig zu arbeiten. Außerdem bin ich ein Morgenmuffel und wollte nicht mehr um 9 Uhr in der Arbeit sein müssen. Jetzt kann ich die Zeiteinteilung selbst bestimmen.
Die größte Hürde? Das war zu Beginn das österreichische Kammern- und Verbändesystem. Es ist einfach nicht auf kleine Läden ausgerichtet, Mischformen versteht es nicht.
Dein größtes Glück? Wenn der Laden voll ist und die Leute sogar draußen auf der "Hafenkante" sitzen. Dann macht der Job wirklich Spaß.
Die größte Stütze? Meine Freundin. Wenn die Tage lang werden, hilft sie mit. Sie liefert auch Ideen, zeichnet ...
Das habe ich gefeiert ... Weihnachten und Silvester in Hamburg. Oder vor der Sommerpause das Wochenende mit der Guerilla Bakery hier im Laden.
Wohin soll's gehen? Möglichst nach Hamburg. Falls es aber einmal Hausboote am Donaukanal gibt, bleibe ich gerne. Original