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Die Lebensfreude der Insulaner

Die britischen Elektropopper Friendly Fires sind zurück. Mit "Pala", einem Album so bunt und vielfältig, als hätte Bob Ross ein Inselparadies auf die Leinwand geklatscht.

Eine verhuschte Stimme unter anschwellenden Pianoakkorden und pulsierenden Synthies ist das erste, was man von "Pala" wahrnimmt. "Live Those Days Tonight" nennt sich, pardon, nennen die Friendly Fires das Stück. Ein rhythmisch gewispertes "Don't hold back", Geklatsche und eine euphorische Singstimme lassen es zu einem prächtigen Crescendo anwachsen. Mit dem Post-Hardcore, den die drei Briten in ihrer Teeniezeit vor sich hin schrammelten, hat das nicht mehr viel gemein.

Spätestens als es an die Uni ging, ließen Frontmann Ed MacFarlane, Schlagzeuger Jack Savidge und Gitarrist Edd Gibson das verschlissene Hardcore-Outfit im Schrank hängen und tauschten es gegen den verlockenderen Disco-Anzug. Man machte fortan unter neuem Namen weiter, warf einige EPs auf den Markt und erregte die Aufmerksamkeit der Talentscouts von Musikzeitschriften und Labels, die sich in England ständig im Internet und auf Konzerten herumtreiben, auf der Suche nach dem nächsten großen Ding. So konzertierten die Friendly Fires Ende 2007 als erste Band ohne Plattenvertrag beim englischen Privatsender Channel 4 und schoben die Single "Paris" hinterher. Kurze Zeit später versüßte die nächste Auskoppelung "On Board" Nintendo- und PlayStation 3-Affictionados das Zocken. 2008 legten sie mit einer selbstbetitelten LP ihr Debüt ab, das nicht nur vom Hype-Generator NME jauchzend aufgenommen wurde.

Von der Garage in die Charts

In ihrer Anfangsphase waren die Burschen aus St. Albans bei London nur eine Band unter vielen, die auf der New-Rave-Welle ritten, eine Welle, die sich langsam über Großbritannien wälzte und die ersten Vorzeichen von Veränderungen in der Indieszene im Fahrwasser mitspülte. Veränderungen, die zwar nicht das gesamte System Pop aus den Angeln heben sollten, aber zumindest dem gitarrenhörigen Jungvolk eine Alternative zur Post-Strokes-Jüngerschar mit ihren Retrogitarren bot: Synthiekids voll neuer Ideen und Ideale, die im dunklen Kämmerlein an ihren Laptops herumschraubten. Ein paar Jahre später wateten die Friendly Fires aus diesen Wogen als eine der wenigen hervor, die es geschafft hatten. Von der Band ohne Vertrag, die in der elterlichen Garage an Songs bastelte, hatten sie sich gemausert zu Mercury Music Prize – und Brit Awards-Nominierten, die nachts als Hauptact Festivalbühnen bespielten und tagsüber im Radio auf Dauerrotation liefen.

Für die Friendly Fires-Buben kein Grund, den Boden unter den Füßen zu verlieren: "I wouldn't say we're mega rockstarry", meint Drummer Jack Savidge im Telefoninterview. "Es gibt schon diese gewissen Momente, wenn man auf der Bühne steht und denkt: 'Yeah, smashed it', aber generell sind wir ganz normale Leute, die einfach nur aufs Musikmachen stehen. Wir haben auch nicht besonders viele Prominente als Freunde oder stehen ständig auf Filmpremieren herum."

Und irgendwie ist Musikmachen auch nur ein Beruf wie jeder andere, mit Höhen und Tiefen: "Das Touren finde ich super. Wenn du gut drauf und in Form bist, dann gibt es nichts Erhebenderes als einfach Songs zu spielen, sie gut zu spielen und jede Nacht großartige Reaktionen darauf zu bekommen. Das Aufnehmen dagegen ist manchmal einfach nur harte Arbeit, wenn du zwar weißt, du hast etwas Gutes, musst aber noch an den letzten Details feilen. Das kann ganz schön frustrierend sein."

Für die Vorarbeiten für "Pala" verbrachte Frontmann Ed Macfarlane über einen Monat in einer abgelegenen Hütte in Nordfrankreich, um an neuen Songs zu schreiben. In der französischen Provinz nahmen die drei Briten das Album schließlich auch auf, weitere Stationen waren London und New York. Die vielen Tonstudios haben durchaus ihre Berechtigung, erzählt Jack: "Die Aufnahmen waren extrem abwechslungsreich. Dadurch klingt das Album wohl auch so frisch und vielfältig." Produziert wurde das Album gemeinsam mit dem schon für Bloc Party oder Florence And The Machine tätig gewordenen Paul Epworth, der bereits bei "Jump In The Pool" Hand anlegte.

Die knackige Seite des Pop

"Don't judge a book by its cover", heißt es ja immer. Hier halten die Songs aber, was die tropische Plattenhülle verspricht, die von Sølve Sundsbø stammt, einem der gegenwärtig renommiertesten Mode-Fotografen der Welt, Schräg instrumentierte, fiebrige Popmusik, die tanzbaren Indierock mit elektronischen Elementen verbindet, durchzieht das Album. Den sonnengestählten Sound hatte die Band auch dringend nötig als Bewältigungsstrategie für die beiden englischen Winter, während derer das Album hauptsächlich aufgenommen wurde, verrät Jack. Was auffällt, ist, dass "Pala" um einiges üppiger produziert ist als der Vorgänger. The Harlem Gospel Choir ist auf "Hurting" zu hören, Alex Frankel von Holy Ghost spielt Keyboard auf "True Love". Streckenweise sind die verspielten Stellen fast zu episch, um sie beim ersten Hören vollständig erfassen und entsprechend würdigen zu können. Pop wird hier auf jeden Fall groß geschrieben. Stellenweise fast zu groß, wie Jack meint: "Es gab während der Aufnahmen Momente, wo wir darüber diskutiert haben, ob der Sound nicht zu poppig wird. 'Show me Lights' erinnert mich manchmal sogar ein wenig an *NSYNC, aber mit extrem progressivem Gitarrensound."

"Show Me Lights" knüpft sicher am ehesten an das alte Album – vor allem was die Geschwindigkeit und den Mitklatschreiz betrifft. Und ja: Es bewegt sich gefährlich nahe am Boyband-Territorium. "Hurting" dagegen lässt 80er Elektrofunk raushängen. Die Quellen, aus denen das experimentierfreudige Trio ihre Inspiration schöpft, sind also vielfältig.

Das Beste auf der neuen Scheibe? Das ist, wenn es nach Jack geht, das mit treibenden Tribal-Beats gespickte "Hawaiian Air", das erst kurz bevor das Album endgültig fertig sein musste, geschrieben wurde: "Wir waren gerade von einer Welttournee heimgekommen, haben uns zusammengesetzt und versucht, noch einen Song zu schreiben, nur um zu schauen, was passiert. Wir dachten eigentlich nicht, dass wir fertig werden würden, weil wir normalerweise viel länger brauchen, um unsere Songs zu schreiben. Wenn ich das Lied höre, versetzt es mich zurück in die guten Zeiten des Recordens, als einfach alles gestimmt und funktioniert hat."

Hier und Jetzt statt Eskapismus

Benannt ist das Album übrigens nach dem Handlungsort von Aldous Huxleys "Island", in dem er einen utopischen Gegenentwurf zum schwarzmalerischen "Schöne neue Welt" ersinnt. Was "Pala", das Album, mit Pala, dem fantastischen Südseeidyll, gemein hat? Jack erklärt: "Wir versuchen im Grunde immer Musik zu machen, die die Leute glücklicher macht. Rein textlich hat Ed auf diese Idee des Utopia aber gepfiffen und sich eigenen Erfahrungen gewidmet. Eigentlich drehen sich die Lyrics darum, den Sinn, den utopischen Aspekt, in alltäglichen Begebenheiten zu finden, die sehr real und flüchtig sind, und nicht um Eskapismus wie das literarische Vorbild." Womit sie so weit doch nicht von Huxley weg sind: Der lässt nämlich Papageien durch das ganze Buch schwirren, die "Attention" in die Welt krächzen, um die Leute daran zu erinnern, dem was sie tun, bitte auch die nötige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Da passt das kunterbunte Federvieh am Plattencover natürlich hervorragend ins Konzept.

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